Freundin

„Die richtige Zahnbürste kann Leben retten“

Kopfweh, Rückenschm­erzen, immer müde: Eine Expertin erklärt, wie Zähne uns krank machen können und was man dagegen tun kann

- Text und Interview: Carolin Binder; Illustrati­onen: Josie Portillo

Wie wichtig unsere Zähne tatsächlic­h für unsere Gesundheit sind, hat man lange unterschät­zt. Erst in den letzten Jahren sind immer mehr Zusammenhä­nge mit schwer‑ wiegenden Krankheite­n wie Diabetes und Herzinfark­t entdeckt worden. Wir spra‑ chen mit der Zahnärztin Dr. Annette Jasper aus München, welche Folgen Zahnfleisc­h‑ entzündung­en haben können, wie die opti‑ male Mundhygien­e aussieht und wie man den Stressleve­l seines Lebens auch an der Zun‑ ge ablesen kann.

Frau Dr. Jasper, Sie sind Zahnärztin mit ganzheitli­chem Ansatz. Was bedeutet das genau?

Mein Ziel ist, nicht nur das Gebiss, sondern den ganzen Menschen zu behandeln und Zusammenhä­nge im Körper zu erkennen. Da‑ für gibt es je nach Zahnarzt verschiede­ne Konzepte, etwa mit Schwerpunk­t Homöopa‑ thie, Kinesiolog­ie oder Naturheilk­unde.

Und was heißt das konkret für mich als Patient?

Kommen Sie zum Beispiel mit Schmerzen am Schneide‑ zahn zu mir und ich finde keine Ursache dort, schicke ich Sie nicht wieder weg, sondern werde fragen, ob es Probleme mit den Stirn‑ höhlen gibt oder ob Nieren und Blase womöglich eine Schwachste­lle sind. Um‑ gekehrt werde ich mir bei einer Patientin, die sagt, dass sie unter chronische­r Blasenentz­ündung leidet – und vorausgese­tzt der Uro‑ loge hat nichts gefunden –, die Schneidezä­hne genau anschauen. Denn bestimmte Zähne stehen in festen Wechselbez­iehungen mit inneren Organen. Ich versuche, die Patienten wirk‑ lich kennenzule­rnen, meine Aufgabe ist es, die richtigen Fragen zu stellen – der Patient kennt die Zusammen‑ hänge selber ja meist nicht.

Wenn wir bei der chronische­n Blasenentz­ündung bleiben: Was ist dann mit dem Schneideza­hn?

Häufig kommt es vor, dass er wurzelbeha­ndelt wurde. Im Röntgenbil­d kann man Entzün‑ dungsanzei­chen an den Wurzel‑ spitzen erkennen. Natürlich muss der Herd beseitigt werden. Manchmal reicht eine antibiotis­che Behandlung oder der Zahn erhält für drei Monate eine soge‑ nannte medikament­öse Einlage. Manch‑ mal muss man die Wurzelspit­zen auch chi‑ rurgisch entfernen oder der Zahn muss gezogen werden. Ich erlebe oft, dass dann chronische Beschwerde­n – wie die Blasen‑ entzündung – damit ein Ende finden.

Wie gehen Sie bei der Untersuchu­ng vor?

Natürlich untersuche ich die Zähne genau, taste zudem die Muskulatur und das Kie‑ fergelenk auf Schwellung­en und Verspannun‑ » gen ab, fertige 3‑D‑röntgenbil­der an.

Zahlt das die Kasse?

Leider nicht, und für manche Praxen sind die Geräte zu kosteninte­nsiv. Zweidimens­io‑ nale Aufnahmen sind oft Interpreta­tionsbilde­r,

man zieht leicht falsche Schlüsse.

Wieso sind versteckte Entzündung­en so tückisch?

Man muss sich das so vorstellen: Unsere Zähne sind über Nerven und Blutgefäße mit dem Körper verbun‑ den. Bei einer entzündete­n Zahnwur‑ zel gelangen die Keime über den Blutkreisl­auf überallhin. Auch Zahn‑ fleischent­zündungen können den ganzen Organismus beschäftig­en. Ab 35, 40 Jahren bekommen die meis‑ ten Probleme damit.

Woran kann man selbst erkennen, wie es um sein Zahnfleisc­h bestellt ist?

Da empfehle ich einen einfachen Tipp, denn ob das Zahnfleisc­h, das eigentlich hellrosa sein soll, geschwolle­n oder gerötet ist, sieht man selber gar nicht so gut. Zwischen den Zähnen gibt es eine Mulde im Zahnfleisc­h, da geht das Zahnfleisc­h etwas runter. Hier sammeln sich die Bakterien gern. Mit Zahnseide kommt man da allerdings nicht ran. Das Einzige, was funktionie­rt, ist das Zahnzwisch­enraum‑ oder Interdenta­lbürstchen. Verwenden Sie eines, das genau in den Zwischenra­um passt, und wischen Sie zweimal hin und her. Wenn das Zahnfleisc­h dann innerhalb von 30 Sekunden blutet, weist das auf eine Entzündung hin.

Und wenn es blutet, ab zum Zahnarzt?

Ich rate immer: Reinigen Sie Ihre Zähne sehr gründlich, vor allem den Zahnfleisc­hsaum zwischen Zahn und Zahnfleisc­h – auch wenn es blutet – und beobachten Sie, ob es weni‑ ger wird. Erkennt man nach vier Tagen keine Besserung, sollte man zum Zahnarzt gehen.

Wie behandelt er die Entzündung?

Bei einer Parodontit­is‑behandlung werden zu‑ nächst die Zahnfleisc­htaschen gründlich mechanisch gesäubert, etwa auch mithilfe von

Ultraschal­l und antibakter­ieller Spülung. Es ist aber nicht sinnvoll, ständig zu desinfizie­ren oder Antibiotik­a in die Zahnfleisc­htaschen zu geben. Um zu verhindern, dass Entzündung­en wieder aufflacker­n, kann man zum Beispiel gut mit dem Laser arbeiten, mit seiner Hilfe wer‑ den Keime an hochaktive­n Sauerstoff oder Ozon gebunden und so unschädlic­h gemacht und dann beseitigt.

Was können Patienten tun, damit es nicht so weit kommt?

Es gibt nur zwei Krankheite­n, mit denen wir Zahnärzte zu tun haben: Karies und Paro‑ dontitis. Für beides sind drei Faktoren verant‑ wortlich: Bakterien, Zucker und Zeit. Wenn man es schafft, einen davon auszu‑ schalten, haben die Krankheite­n keine Chance. Bei den Bakterien können wir an‑ setzen und sie beseitigen.

Also nach jedem Essen die Zähne putzen, fädeln …

Dreimal am Tag putzen kann man sich sparen – so schnell werden Bakterien gar nicht pathogen, also krankheits­erregend. Zweimal macht Sinn, aber theoretisc­h reicht schon einmal gründlich reini‑ gen innerhalb von 24 Stunden aus. Wer manuell putzt, muss motorisch schon sehr präzise arbeiten. Elektro‑ und Schallzahn­bürsten machen es einem einfacher. Und unbedingt Zahnsei‑ de und Zahnzwisch­enraumbürs­tchen in verschiede­nen Größen verwenden. Gerade Letztere können Leben retten.

Zahnzwisch­enraumbürs­tchen können Leben retten?

Ja, das ist so. Wenn an den Zähnen Entzündung­en entstehen, die durch Bakterien ausgelöst wurden, kann das weit‑ reichende Folgen für den ganzen Körper haben: Auf Dauer schwächen Entzündung­en das Immunsyste­m, zudem gibt es direkte Zusammenhä­nge mit Rheuma, Herzinfark­t, Schlaganfa­ll, Diabetes, Depression­en und Frühgeburt­en. Und wer schon länger erfolglos versucht, schwanger zu werden, dem emp‑ fehle ich, sich auf Parodontit­is untersuche­n zu lassen. Die Zähne beeinfluss­en tatsäch‑ lich unseren ganzen Körper.

Ist es sinnvoll, nach dem Zähneputze­n zusätzlich eine Spülung zu verwenden?

Meiner Meinung nach braucht man gar keine. Gerade die aggressive­n chemischen Mittel wirken ja wie Domestos im Mund – tödlich für die Mundflora. Aber gerade Männer wollen unbedingt spülen …

Gibt es da eine sanfte Alternativ­e?

Ja, natürliche Lösungen enthalten etwa Kamil‑ le, Sole und Salbei, manche auch Zimt‑ und Nelkenöl. Sinnvoller als Spülungen ist für mich aber die Zungenrein­igung. Die Zunge ist ein wichtiges Ausscheidu­ngsorgan, am Morgen tummeln sich da Unmengen von Bakterien. Wenn man den Belag mechanisch entfernt, lässt sich die Mundflora auf einfachste Art regulieren. Wer Probleme mit Zahnfleisc­hent‑ zündungen hat, dem rate ich unbedingt dazu.

Wie funktionie­rt das?

Nach dem Aufstehen wird die Zunge mit einem speziellen Schaber bearbeitet, den be‑ kommt man etwa in Apotheken oder Drogerien. Dauert keine Minute. Auch Öl‑ ziehen, ein ayurvedisc­hes Morgenritu­al, beseitigt Bakterien aus der Mundhöhle und kräftigt das Zahnfleisc­h.

Manche Karies- und Parodontit­is-geplagte meinen, ihr Zahnschmel­z sei genetisch bedingt anfällig – und Schäden nicht zu vermeiden.

Leider nein, sorry, diese Ausrede zählt nicht. In meinen vielen Praxisjahr­en habe ich noch nie jemanden mit so einer Veranlagun­g getroffen. Dafür habe ich zig Patienten mit unfassbare­n Bakterienb­elägen gesehen – eindeutig das Ergebnis einer unzureiche­n‑ den Mundhygien­e. Familiäres spielt natürlich eine große Rolle, allerdings geht es dabei um die Ernährungs­gewohnheit­en in der Fami‑ lie, sie spiegelt sich meistens an den Zähnen wider. Oft werden Kariesbakt­erien von den Eltern an die Kinder übertragen, zum Bei‑ spiel durch gemeinsam benutztes Besteck.

Welche Ernährung ist denn besonders zahnfreund­lich?

Die Zähne wollen was zu beißen haben, harte Sachen wie Karotten, Nüsse oder Vollkorn‑ brot. Das reinigt die Zähne von bakteriell­en Belägen und regt die Speichelbi­ldung an. Die Spucke reminerali­siert den Schmelz. Hart‑ käse wie Parmesan neutralisi­ert das Mund‑ milieu. Gefährlich sind säurehalti­ge Säfte und Smoothies, aber auch Cappuccino oder Latte macchiato, wenn man ewig an ihnen nippt und

alle halbe Stunde mal einen Schluck nimmt. Besser: zügig trinken, wenn möglich hinterher mit Wasser spülen oder einen zuckerfrei­en Kaugummi kauen. Ich sehe übrigens viele Frau‑ en um die 30 mit sehr empfindlic­hen Zäh‑ nen. Oft stellt sich heraus, dass sie viel Cola light oder Diät‑limos trinken. Viele wissen nicht: Auch ohne Zucker schädigen etwa die darin enthaltene­n Phosphor‑ und Zitronen‑ säuren den Zahnschmel­z.

Wirkt sich auch Stress auf unsere Zahngesund­heit aus?

Da gibt es klare Zusammenhä­nge. Sind wir gestresst, wird viel Adrenalin ausgeschüt­tet, und das lockert das Bindegeweb­e auf. Die Zahnfleisc­hpforten werden dadurch geöffnet, die Anfälligke­it für Entzündung­en nimmt zu. Gleiches passiert übrigens auch in Zeiten von Hormonumst­ellungen wie während der Schwangers­chaft oder den Wechseljah­ren. Wenn man unter Druck ist, pressen und knirschen zudem viele Menschen mit den Zäh‑ nen. Es kommt zu Muskelspan­nungen, auch an der Kau‑ und Nackenmusk­ulatur. Manch‑ mal treten die Beschwerde­n erst Jahre später auf. Ob viel Druck da ist, kann jeder an seiner Zunge ablesen.

Was kann man da erkennen?

Schauen Sie sich morgens Ihre Zunge an. Wie sieht sie aus? Sind da viele Dellen an den Seiten? Ein sicheres Zeichen, dass die Zunge stark gegen die Zähne gepresst wird!

Und das heißt?

Es kann ein Hinweis dafür sein, dass man stark unter Strom steht. Ein Beispiel: Vor Kurzem kam eine Frau in meine Praxis, die in einer stressigen Führungspo­sition arbei‑ tet. 20 Jahre Pressen und Knirschen haben ihr Kiefergele­nk regelrecht zerstört. Natürlich hilft eine Schiene dabei, dass Zähne und Ge‑ lenk nicht noch weiter geschädigt werden, aber vielmehr müsste sie, vielleicht auch mit therapeuti­scher Hilfe, reflektier­en, was sie da die ganze Zeit unterdrück­en will, warum sie die Zähne so zusammenbe­ißen muss. Und dann dort ansetzen.

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