„Die richtige Zahnbürste kann Leben retten“
Kopfweh, Rückenschmerzen, immer müde: Eine Expertin erklärt, wie Zähne uns krank machen können und was man dagegen tun kann
Wie wichtig unsere Zähne tatsächlich für unsere Gesundheit sind, hat man lange unterschätzt. Erst in den letzten Jahren sind immer mehr Zusammenhänge mit schwer‑ wiegenden Krankheiten wie Diabetes und Herzinfarkt entdeckt worden. Wir spra‑ chen mit der Zahnärztin Dr. Annette Jasper aus München, welche Folgen Zahnfleisch‑ entzündungen haben können, wie die opti‑ male Mundhygiene aussieht und wie man den Stresslevel seines Lebens auch an der Zun‑ ge ablesen kann.
Frau Dr. Jasper, Sie sind Zahnärztin mit ganzheitlichem Ansatz. Was bedeutet das genau?
Mein Ziel ist, nicht nur das Gebiss, sondern den ganzen Menschen zu behandeln und Zusammenhänge im Körper zu erkennen. Da‑ für gibt es je nach Zahnarzt verschiedene Konzepte, etwa mit Schwerpunkt Homöopa‑ thie, Kinesiologie oder Naturheilkunde.
Und was heißt das konkret für mich als Patient?
Kommen Sie zum Beispiel mit Schmerzen am Schneide‑ zahn zu mir und ich finde keine Ursache dort, schicke ich Sie nicht wieder weg, sondern werde fragen, ob es Probleme mit den Stirn‑ höhlen gibt oder ob Nieren und Blase womöglich eine Schwachstelle sind. Um‑ gekehrt werde ich mir bei einer Patientin, die sagt, dass sie unter chronischer Blasenentzündung leidet – und vorausgesetzt der Uro‑ loge hat nichts gefunden –, die Schneidezähne genau anschauen. Denn bestimmte Zähne stehen in festen Wechselbeziehungen mit inneren Organen. Ich versuche, die Patienten wirk‑ lich kennenzulernen, meine Aufgabe ist es, die richtigen Fragen zu stellen – der Patient kennt die Zusammen‑ hänge selber ja meist nicht.
Wenn wir bei der chronischen Blasenentzündung bleiben: Was ist dann mit dem Schneidezahn?
Häufig kommt es vor, dass er wurzelbehandelt wurde. Im Röntgenbild kann man Entzün‑ dungsanzeichen an den Wurzel‑ spitzen erkennen. Natürlich muss der Herd beseitigt werden. Manchmal reicht eine antibiotische Behandlung oder der Zahn erhält für drei Monate eine soge‑ nannte medikamentöse Einlage. Manch‑ mal muss man die Wurzelspitzen auch chi‑ rurgisch entfernen oder der Zahn muss gezogen werden. Ich erlebe oft, dass dann chronische Beschwerden – wie die Blasen‑ entzündung – damit ein Ende finden.
Wie gehen Sie bei der Untersuchung vor?
Natürlich untersuche ich die Zähne genau, taste zudem die Muskulatur und das Kie‑ fergelenk auf Schwellungen und Verspannun‑ » gen ab, fertige 3‑D‑röntgenbilder an.
Zahlt das die Kasse?
Leider nicht, und für manche Praxen sind die Geräte zu kostenintensiv. Zweidimensio‑ nale Aufnahmen sind oft Interpretationsbilder,
man zieht leicht falsche Schlüsse.
Wieso sind versteckte Entzündungen so tückisch?
Man muss sich das so vorstellen: Unsere Zähne sind über Nerven und Blutgefäße mit dem Körper verbun‑ den. Bei einer entzündeten Zahnwur‑ zel gelangen die Keime über den Blutkreislauf überallhin. Auch Zahn‑ fleischentzündungen können den ganzen Organismus beschäftigen. Ab 35, 40 Jahren bekommen die meis‑ ten Probleme damit.
Woran kann man selbst erkennen, wie es um sein Zahnfleisch bestellt ist?
Da empfehle ich einen einfachen Tipp, denn ob das Zahnfleisch, das eigentlich hellrosa sein soll, geschwollen oder gerötet ist, sieht man selber gar nicht so gut. Zwischen den Zähnen gibt es eine Mulde im Zahnfleisch, da geht das Zahnfleisch etwas runter. Hier sammeln sich die Bakterien gern. Mit Zahnseide kommt man da allerdings nicht ran. Das Einzige, was funktioniert, ist das Zahnzwischenraum‑ oder Interdentalbürstchen. Verwenden Sie eines, das genau in den Zwischenraum passt, und wischen Sie zweimal hin und her. Wenn das Zahnfleisch dann innerhalb von 30 Sekunden blutet, weist das auf eine Entzündung hin.
Und wenn es blutet, ab zum Zahnarzt?
Ich rate immer: Reinigen Sie Ihre Zähne sehr gründlich, vor allem den Zahnfleischsaum zwischen Zahn und Zahnfleisch – auch wenn es blutet – und beobachten Sie, ob es weni‑ ger wird. Erkennt man nach vier Tagen keine Besserung, sollte man zum Zahnarzt gehen.
Wie behandelt er die Entzündung?
Bei einer Parodontitis‑behandlung werden zu‑ nächst die Zahnfleischtaschen gründlich mechanisch gesäubert, etwa auch mithilfe von
Ultraschall und antibakterieller Spülung. Es ist aber nicht sinnvoll, ständig zu desinfizieren oder Antibiotika in die Zahnfleischtaschen zu geben. Um zu verhindern, dass Entzündungen wieder aufflackern, kann man zum Beispiel gut mit dem Laser arbeiten, mit seiner Hilfe wer‑ den Keime an hochaktiven Sauerstoff oder Ozon gebunden und so unschädlich gemacht und dann beseitigt.
Was können Patienten tun, damit es nicht so weit kommt?
Es gibt nur zwei Krankheiten, mit denen wir Zahnärzte zu tun haben: Karies und Paro‑ dontitis. Für beides sind drei Faktoren verant‑ wortlich: Bakterien, Zucker und Zeit. Wenn man es schafft, einen davon auszu‑ schalten, haben die Krankheiten keine Chance. Bei den Bakterien können wir an‑ setzen und sie beseitigen.
Also nach jedem Essen die Zähne putzen, fädeln …
Dreimal am Tag putzen kann man sich sparen – so schnell werden Bakterien gar nicht pathogen, also krankheitserregend. Zweimal macht Sinn, aber theoretisch reicht schon einmal gründlich reini‑ gen innerhalb von 24 Stunden aus. Wer manuell putzt, muss motorisch schon sehr präzise arbeiten. Elektro‑ und Schallzahnbürsten machen es einem einfacher. Und unbedingt Zahnsei‑ de und Zahnzwischenraumbürstchen in verschiedenen Größen verwenden. Gerade Letztere können Leben retten.
Zahnzwischenraumbürstchen können Leben retten?
Ja, das ist so. Wenn an den Zähnen Entzündungen entstehen, die durch Bakterien ausgelöst wurden, kann das weit‑ reichende Folgen für den ganzen Körper haben: Auf Dauer schwächen Entzündungen das Immunsystem, zudem gibt es direkte Zusammenhänge mit Rheuma, Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes, Depressionen und Frühgeburten. Und wer schon länger erfolglos versucht, schwanger zu werden, dem emp‑ fehle ich, sich auf Parodontitis untersuchen zu lassen. Die Zähne beeinflussen tatsäch‑ lich unseren ganzen Körper.
Ist es sinnvoll, nach dem Zähneputzen zusätzlich eine Spülung zu verwenden?
Meiner Meinung nach braucht man gar keine. Gerade die aggressiven chemischen Mittel wirken ja wie Domestos im Mund – tödlich für die Mundflora. Aber gerade Männer wollen unbedingt spülen …
Gibt es da eine sanfte Alternative?
Ja, natürliche Lösungen enthalten etwa Kamil‑ le, Sole und Salbei, manche auch Zimt‑ und Nelkenöl. Sinnvoller als Spülungen ist für mich aber die Zungenreinigung. Die Zunge ist ein wichtiges Ausscheidungsorgan, am Morgen tummeln sich da Unmengen von Bakterien. Wenn man den Belag mechanisch entfernt, lässt sich die Mundflora auf einfachste Art regulieren. Wer Probleme mit Zahnfleischent‑ zündungen hat, dem rate ich unbedingt dazu.
Wie funktioniert das?
Nach dem Aufstehen wird die Zunge mit einem speziellen Schaber bearbeitet, den be‑ kommt man etwa in Apotheken oder Drogerien. Dauert keine Minute. Auch Öl‑ ziehen, ein ayurvedisches Morgenritual, beseitigt Bakterien aus der Mundhöhle und kräftigt das Zahnfleisch.
Manche Karies- und Parodontitis-geplagte meinen, ihr Zahnschmelz sei genetisch bedingt anfällig – und Schäden nicht zu vermeiden.
Leider nein, sorry, diese Ausrede zählt nicht. In meinen vielen Praxisjahren habe ich noch nie jemanden mit so einer Veranlagung getroffen. Dafür habe ich zig Patienten mit unfassbaren Bakterienbelägen gesehen – eindeutig das Ergebnis einer unzureichen‑ den Mundhygiene. Familiäres spielt natürlich eine große Rolle, allerdings geht es dabei um die Ernährungsgewohnheiten in der Fami‑ lie, sie spiegelt sich meistens an den Zähnen wider. Oft werden Kariesbakterien von den Eltern an die Kinder übertragen, zum Bei‑ spiel durch gemeinsam benutztes Besteck.
Welche Ernährung ist denn besonders zahnfreundlich?
Die Zähne wollen was zu beißen haben, harte Sachen wie Karotten, Nüsse oder Vollkorn‑ brot. Das reinigt die Zähne von bakteriellen Belägen und regt die Speichelbildung an. Die Spucke remineralisiert den Schmelz. Hart‑ käse wie Parmesan neutralisiert das Mund‑ milieu. Gefährlich sind säurehaltige Säfte und Smoothies, aber auch Cappuccino oder Latte macchiato, wenn man ewig an ihnen nippt und
alle halbe Stunde mal einen Schluck nimmt. Besser: zügig trinken, wenn möglich hinterher mit Wasser spülen oder einen zuckerfreien Kaugummi kauen. Ich sehe übrigens viele Frau‑ en um die 30 mit sehr empfindlichen Zäh‑ nen. Oft stellt sich heraus, dass sie viel Cola light oder Diät‑limos trinken. Viele wissen nicht: Auch ohne Zucker schädigen etwa die darin enthaltenen Phosphor‑ und Zitronen‑ säuren den Zahnschmelz.
Wirkt sich auch Stress auf unsere Zahngesundheit aus?
Da gibt es klare Zusammenhänge. Sind wir gestresst, wird viel Adrenalin ausgeschüttet, und das lockert das Bindegewebe auf. Die Zahnfleischpforten werden dadurch geöffnet, die Anfälligkeit für Entzündungen nimmt zu. Gleiches passiert übrigens auch in Zeiten von Hormonumstellungen wie während der Schwangerschaft oder den Wechseljahren. Wenn man unter Druck ist, pressen und knirschen zudem viele Menschen mit den Zäh‑ nen. Es kommt zu Muskelspannungen, auch an der Kau‑ und Nackenmuskulatur. Manch‑ mal treten die Beschwerden erst Jahre später auf. Ob viel Druck da ist, kann jeder an seiner Zunge ablesen.
Was kann man da erkennen?
Schauen Sie sich morgens Ihre Zunge an. Wie sieht sie aus? Sind da viele Dellen an den Seiten? Ein sicheres Zeichen, dass die Zunge stark gegen die Zähne gepresst wird!
Und das heißt?
Es kann ein Hinweis dafür sein, dass man stark unter Strom steht. Ein Beispiel: Vor Kurzem kam eine Frau in meine Praxis, die in einer stressigen Führungsposition arbei‑ tet. 20 Jahre Pressen und Knirschen haben ihr Kiefergelenk regelrecht zerstört. Natürlich hilft eine Schiene dabei, dass Zähne und Ge‑ lenk nicht noch weiter geschädigt werden, aber vielmehr müsste sie, vielleicht auch mit therapeutischer Hilfe, reflektieren, was sie da die ganze Zeit unterdrücken will, warum sie die Zähne so zusammenbeißen muss. Und dann dort ansetzen.