Die Dschungelkönigin
Groß ist er eigentlich nicht. Dennoch ist das Betreten des Balkons mit dieser üppigen Pracht aus Trichterwinden, Riesensonnenblumen, Clematis, Geranien, Zylinderputzern, Hortensien, Tomatenpflanzen, Lavendel, Thymian und zig weiteren Gewächsen nur Leuten mit exzellentem Orien‑ tierungssinn zu empfehlen. Nicht mal ihre Besitzerin weiß, wo genau der kleine Springbrunnen abgeblieben ist, den sie letztes Jahr dort abgestellt hat. Aber der Dschungelkönigin kommt es auf etwas ganz anderes an. Sie verfügt nämlich nicht nur über einen bemerkenswert grünen Daumen, der selbst Büropalmen im fortgeschrittenen Stadium der Vernachlässi‑ gung wieder zum Leben erweckt. Sie besitzt auch eine beneidenswerte Läs‑ sigkeit und einen Sinn für das Wesentliche: Bei ihr hat die Freude an allem, was gedeiht, Vorrang vor gärtnerischem Perfektionsdrang. Das ver‑ meintliche florale Chaos besitzt deshalb durchaus ein Ordnungssystem. Sogar ein ganz wunderbares. Es folgt dem Wahlspruch aller Großherzigen: leben und leben lassen. Deshalb hegt und pflegt sie auch die Wildblumen, die per Zufallsprinzip auf ihrem Balkon gelandet sind, um die Bienen zu versorgen. Eine Fürsorglichkeit und Warmherzigkeit, die die Dschungelkö‑ nigin auch im Umgang mit ihren Mitmenschen zeigt. Sollten Sie also irgendwo einen Balkon entdecken, der aussieht wie ein Bauerngarten, klin‑ geln Sie ruhig. Es könnte Ihre zukünftige beste Freundin sein.