Das fällt auf: Es gibt noch viel zu klären
Frauen üben gerade das Neinsagen. Aber ist das genug für eine gleichberechtigte, lustvolle Sexualität?
So viel Freiheit und Offenheit gab es noch nie. Wir dürfen Sex haben, mit wem wir wollen und wie wir wollen. Wir könnten zwei oder mehr Männer lieben. Wir könnten sie fesseln oder uns fesseln lassen. Wir könnten in Swingerclubs oder zu Sex‑partys gehen. Wir könnten das auch alles bleiben lassen, auf jeden Fall ist es unsere freie Entscheidung. Alles ist Verhandlungs‑ sache. Eigentlich gute Voraussetzungen für gleichberechtigten, lustvollen Sex. Doch ver‑ handeln heißt, auszusprechen, was man will. Im Moment üben wir Frauen vor allem das Neinsagen. Der Satz „Nein heißt Nein“ist so etwas wie das Grundgesetz unserer Ver‑ handlungsmoral. Sogar das neue Sexualstrafrecht basiert darauf. Es ist gut, das große Nein in die Welt zu tragen, damit in Zukunft kein Regisseur mehr eine Kollegin zum Casting im Bademantel empfängt; damit kein Date mehr glaubt, ein kurzer Rock oder ein tiefes Dekolleté seien allein schon das Ja für eine ganze Nacht. „Nein heißt Nein“ist wichtig und richtig, aber es kann nur ein Anfang sein, denn es ist keine Aktion, sondern nur eine Re‑ aktion auf männliches, sexistisches Verhalten. Es setzt berechtigte Grenzen, aber sprengt keine. Es befreit uns nicht aus alten Rollen. Immer noch passten sich Frauen den Wünschen der Männer zu sehr an, kritisiert etwa die Psychologin Sandra Konrad, Autorin des Buches „Das beherrschte
Das Nein ist wichtig, aber es ist nur eine Reaktion auf Sexismus”
Geschlecht. Warum sie will, was er will“. Vor allem da, wo Partnersuche oder Sex etwa durch das Internet öffentlich werden, folgten Frauen „der Tradition des Gefallen-wollens“. Bin ich wild genug? Bin ich sexy genug? Bin ich schön genug? Auch in festen Partnerschaften setzen sich Frauen unter Druck: „Bin ich spießig, wenn ich das nicht mag?“, hört unsere Expertin Beatrice Wagner
(S. 53) immer wieder. Ständig wird verglichen, frei nach dem Motto: Wer ist die Gefälligste im Land? Leider ist das eine sehr schlechte Verhandlungsposition, wo bleibt denn hier das Nein? Und vor allem das ehrliche Ja. Das setzt voraus, dass wir über unsere Wünsche sprechen. „Eine potente Frau wertet die Sexualität des Mannes nicht ab, sondern die eigene auf“, so die Philosophin und bekannte Kritikerin der #metoo-bewegung Svenja Flaßpöhler. Da ist was dran. Denn diese neue „potente Frau“würde nicht nur sagen, was sie nicht will, sondern auch, was sie will, und fordern, das auch zu bekommen. Ob Blümchen-sex oder BDSM. Selbstverständlich hätten die Männer das Recht, Nein zu sagen. So beginnen Verhandlungen. Das wäre Gleichberechtigung. Dazu müsste das Schweigen gebrochen werden. Denn während in der Anonymität des Internets viele sehr offen mit Träumen, Kritik oder Unzufriedenheit herausrücken (S. 52), reden Paare immer noch zu wenig über Sex, hat Expertin Wagner in ihrer Praxis erfahren, wo sie oft das Gespräch zwischen den Liebenden wieder in Gang bringen muss. 42 Prozent der Paare, so eine aktuelle Studie (S. 52), haben Wünsche, die sie einander verheimlichen. Emanzipiert wäre es, wenn Frauen hier den Anfang machten. Um schließlich womöglich herauszufinden, dass die meisten Männer beim Sex sehr gerne Verhandlungspartnerinnen auf Augenhöhe haben. Also: Lass uns reden, Schatz!