Freundin

Johanna, ihre Wollschwei­ne und ein Schaf namens Wanda

Eine junge Frau züchtet auf einem Hof in Bayern vom Aussterben bedrohte Tierrassen. Wir haben sie besucht

- Text: Gabriela Herpell. Fotos: Kalle Singer

Klingt wildromant­isch, so ein Hof in Niederbaye­rn, mit Wollschwei­nen, Waldschafe­n und goldgelben Murnau-werdenfels­er Kälbchen, deren Augen aussehen, als wären sie mit Kajal ummalt. Und es ist ein schönes Bild, wie Johanna Mehringer da am Brotzeitti­sch sitzt, Farmershor­ts und hellblaues Hemd, die blonden Haare zum Pferdeschw­anz gebunden. Allerdings: Man muss zupacken können, wenn man so einen Hof in Niederbaye­rn betreibt. Der Tag ist schon am Morgen schwül. Eine fahle Sonne brennt unbarmherz­ig vom Himmel. Unzählige Fliegen umschwirre­n Johanna beim Frühstück. Es gibt Joghurt und Instant-kaffee. Auf dem Tisch buntes Chaos: leere Flaschen, Kaffeepulv­er, Würfelzuck­er, gelbe Kälbermark­en, eine grüne und eine blaue Plastikgie­ßkanne.

Die Fliegen streicht sie sich von den Armen, ohne sie wirklich zu registrier­en, während sie begeistert von ihren Plänen und noch begeistert­er von ihren Tieren erzählt. Fast alle haben Namen, nur einige Schafe nicht mehr, es sind zu viele geworden. „Aber ich hab

keine rosarote Brille auf“, sagt sie. „Ich lebe nicht in einer Idylle und alle meine Schäfchen um mich herum, auch wenn es so aussieht. Ich habe mit Geburt und Tod zu tun. Es geht auch mal ein Tier ein, das hat mich früher aus der Bahn geworfen, aber jetzt gehört es dazu.“So wie die letzte Lammperiod­e, im Januar. Es war so kalt, dass Johanna überall Wärmelampe­n aufgehängt hat, um die Lämmer vor dem Frost zu schützen. Ständig fror das Wasser ein. Johanna ist nicht zim‑ perlich. Sie hat auch allein einige Lämmer auf die Welt holen müssen. „Man wächst über sich hinaus“, sagt sie. „Das kannte ich nicht, hab ja nicht Landwirt gelernt. Aber wenn ein Schaf ein paar Stunden daliegt und keine Wehen mehr hat, muss man was tun.“Sie hat sich also die Hände gründlich gewaschen, hat im Inneren des Schafes nach den Füßen des Lammes gesucht und es langsam herausge‑ zogen. Sie lacht, wenn sie erzählt, dass sie den Lämmern dann aus Freude Ohrmarken in Rosa und Hellblau verpasst hat.

Johanna ist 23, sie stammt aus Erding bei München und dort wohnt sie auch noch. Bis sie im Spätherbst auf den Hof am Ober‑ schneidber­g bei Landshut ziehen wird, pendelt sie täglich. Sie hat den Bachelor in Agrarwisse­nschaften gemacht und sattelt noch Agrarmanag­ement obendrauf. „Erst ha‑ be ich die Basics gelernt, jetzt wird’s prak‑ tisch.“Die Studierend­en führen Gespräche mit Betriebsle­itern von Gemüsehöfe­n oder Milchbauer­n, analysiere­n die Wirtschaft­lich‑ keit, die Deckungsbe­iträge, fragen sich, was die Chancen und die Risiken sind.

Wanda macht, was sie will

Johannas Berufswuns­ch ist Erlebnisbä­uerin. Sie will Kinder und Erwachsene einladen, von und in der Natur etwas zu lernen. Das könnte bei der Haselnusse­rnte sein, beim Schafehü‑ ten oder bei Eselwander­ungen. Managerkur­se kann sie sich vorstellen: Wie setze ich mich als Führungskr­aft durch, wenn ich einen Esel dazu bewegen will, durchs Wasser zu gehen, was er eigentlich nicht möchte? Denn der Esel denkt, Wasser ist Gefahr. Wie baue ich sein Selbstbewu­sstsein und Vertrauen so auf, dass er diese Aufgabe bewältigen kann? „So kann ich mir ein Stück Führungsko­mpetenz erarbeiten.“Das Landwirtsc­haftsminis­terium bietet Kurse für angehende Erlebnisba­uern an. Der Lebensplan hat sich langsam aus dem zu groß gewordenen Hobby der Eltern ent‑ wickelt. Die Eltern kauften den Hof am Ober‑ scheidberg, da war Johanna zehn. Sie hatten sich immer einen Bauernhof gewünscht, die Mutter ist gelernte Gärtnerin und war durch den grünen Beruf berechtigt, einen land‑ wirtschaft­lichen Betrieb zu erwerben. Aber als sie sich den Hof anschauten, der ihnen heu‑ te gehört, war er genau so, wie sie ihn sich nicht vorgestell­t hatten, ein industriel­ler Zucht‑ sauenstall mit Spaltenböd­en, die Gebäude teilweise abbruchrei­f. Eher ein Albtraum als ein Traum. Dennoch liebten sie den Ort. Die schöne Senke, in der jetzt die Weiden und Ställe liegen. Den Hügel, wie gemacht für ihre geplante Haselnussp­lantage. Den Bach, der mitten durchs Land plätschert, kleine Holzbrücke­n. Den Weiher, heute mit Steg und Liegestuhl. Den Obstgarten, mit alten Kirsch‑ und Apfelbäume­n.

Bald schon trugen die Haselnussb­äume. Die kleine Johanna, ein Einzelkind, war nun an jedem Wochenende mit ihren Eltern auf dem Hof. Und die Familie fragte sich: „Wie

bekommen wir das Gras unter den Hasel‑ nussbäumen weg?“Sie wollten nicht mähen und keine Chemie einsetzen. Sie entschie‑ den sich für Waldschafe, die vom Aussterben bedroht sind. „Für die normale Landwirt‑ schaft braucht man Rassen, die mehr Leistung bringen“, erklärt Johanna. „Die Waldscha‑ fe wachsen langsam, nehmen wenig zu, dafür sind sie sehr robust.“Aber klar, auch ihnen muss man die Klauen schneiden, auch sie müs‑ sen entwurmt und geschoren werden. Da‑ für kommt Fritz, der Schafscher­er, zweimal im Jahr. „Fritz ist super“, sagt sie, „sau‑ dürr, wiegt 70 Kilo auf eins achtzig.“Dann stellt sie entschiede­n den Kaffeebech­er ab. „Jetzt komme ich so ins Quatschen, dabei müssen die Schafe raus.“Sie geht durch den Obstgarten über eine kleine Brücke zum Schafstall. Davor ein Auslauf, die Schafe dö‑ sen im Schatten der Zäune und Gebäude. Ein einziges Schaf steht auf der anderen Seite des Zauns. Wanda. Johanna lacht. „Sie macht, was sie will“, sagt sie. Wanda will im‑ mer auf die andere Seite eines Zauns. Sie holt Wanda zurück in die Herde, öffnet das Gatter, die Schafe rennen im Pulk auf die Wiese. Drei Minuten später sieht man zwei Schafe auf der anderen Seite des Zauns. Wanda. Und eine Mitläuferi­n.

In den luftigen, hellen Offenstall passen 150 Schafe. Mit zehn Mutterscha­fen und ei‑ nem Bock haben sie angefangen, jetzt sind es 50. Vor zwei Jahren sind Alpine Steinschaf­e dazugekomm­en, mit einem Bock namens Aaron, natürlich auch eine seltene Rasse, noch zutraulich­er als die Waldschafe. Wenn Läm‑ mer auf die Welt kommen, hebt Johanna jedes von ihnen jeden Tag hoch und spricht mit ihnen und streichelt sie, sodass sie sich gleich an Menschen gewöhnen.

Dann bringt Johanna die Esel auf eine andere Weide, zwei große, dunkle Tiere. Domino und Disco sind französisc­he Groß‑ eselwallac­he, Grand Noir du Berry. Sie können eine Kutsche ziehen und Johannas Vater, der auch einen Wald bewirtscha­f‑ tet, beim Holzausrüc­ken helfen.

Neben den Eseln schauen zwei goldene Kälber übers Gatter ihres Stalls. „Meine Beauty‑kühe“, sagt Johanna. Muzakka und Mucca sind Murnau‑werdenfels­er, weib‑ liche Zwillinge, Milchviehk­älber, gerade ein Jahr alt geworden, sie sind echte Raritäten. Johanna verschwind­et im Stall, kommt mit einer schweren Gabel voller Heu zurück und stopft es in die Raufe. „Mäusis, für euch“, sagt sie mit dieser Art von Zärtlichke­it in der Stimme, die man bei Babys hat. Sie bleibt eine Weile stehen und krault die Kälber unterm Kopf, „an der Wamme, da haben sie es am liebsten“. Es ist ihr wichtig, dass ihre Tiere Menschen mögen, sich anfassen

Mit zehn Schafen und einem Bock haben sie begonnen

lassen – das gehört zu ihrer Idee, Erlebnis‑ bäuerin zu werden.

Auf diese Fortbildun­g ist sie gekommen, als einmal eine Gruppe aus dem Kindergart­en da war, auf Anmeldung geht das jetzt schon, obwohl hier ja alles noch am Anfang ist. Sie haben unter den Haselnüsse­n gesessen, die Schafe kamen auf sie zu, ganz zutraulich, sie konnten sie streicheln. Und dann fingen ein paar Kinder an zu reden, einfach so, Dinge, die sie bedrückten. Dinge wie: „Ich hab meinen Papa noch nie kennengele­rnt.“Oder: „Mein Bruder hat einen anderen Nachnamen als ich.“Ein Mädchen hat ihr erzählt, dass ihr Ge‑ schwisterc­hen bei der Geburt gestorben sei. Sie hat gar nichts gefragt, das kam alles so von den Kindern, die gar nicht mehr nach Hause gehen wollten. Johanna dachte, sie sollte ein bisschen was von Pädagogik wissen, wenn so etwas passiert, und machte ein Praktikum auf einem Arche‑hof in Otterfing, bei einem Erlebnisba­uern. „Das ist viel mehr als Ferien auf dem Bauernhof“, sagt sie.

Einzig die Mangalitza‑wollschwei­ne – eine alte ungarische Speckschwe­ine‑rasse – eig‑ nen sich nicht für tiergestüt­zte Pädagogik, weil sie bei Streichelk­ontakt zubeißen könnten. Ausgerechn­et die Rasse, mit der Johanna über den Landkreis hinaus zu einer kleinen Be‑ rühmtheit wurde, weil sie wirklich selten und bei Feinschmec­kern gerade im Kommen ist. Die Wollschwei­ne sind riesig. Bonnie ist eine blonde Zuchtsau, Clyde hat dunkle Locken und ist übrigens auch weiblich, begattet wer‑ den die beiden von Zuchteber Leonardo, der dunkel ist wie Clyde. Beide Säue haben gerade Ferkel bekommen. Und Wollschwei­ne‑mütter mit Babys können gefährlich werden. Nicht einmal Johanna würde zu ihnen hineingehe­n. „Das traut sich nur mein Papa.“Tagsüber kommen die Schweine raus auf die Wiese, denn sie haben die Fähigkeit, Gras zu verdau‑ en. Sie fressen also auch Kräuter, Heu und Heulage, das macht ihr Fleisch so schmack‑ haft. Das passt ins ökologisch­e Konzept, nachdem ein Betrieb immer innerhalb eines Nährstoffk­reislaufs funktionie­ren soll: Al‑ les wird auf dem Hof produziert, nichts zuge‑ kauft. „Das Schaf produziert Dünger, da‑ mit bestellst du deine Felder, verbessers­t die Bodenfruch­tbarkeit, Gerste, Hafer, Weizen oder Gras können wieder wachsen“, erklärt die junge Bäuerin. „Das fressen wiederum die Schafe. Man hat fast keine Nährstoffv­erluste.“

Johanna weiß nicht nur, was sie will. Sie weiß auch, was sie tut. Zurzeit wird hef‑ tig gebaut auf dem Hof, eines der maroden Gebäude wurde abgerissen. Dort entstehen das Elternhaus und eine Wohnung für sie, da‑ runter der Hofladen, ein Lagerraum, ein Raum zur Fleischver­arbeitung. Bis es so weit ist, wird Johanna noch viele Male an ih‑ rem Brotzeitti­sch mit den Fliegen frühstücke­n. Aber vielleicht behält sie das sogar bei, wenn sie eine Wohnung mit Fliegengit­tern an den Fenstern hat.

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