Freundin

Warum schreiben Sie so häufig über Frauen und Gewalt, Karin Slaughter?

Sie liebt das Landleben, Katzen und putzige Fabeltiere. Sie schreibt über blutige Verbrechen und menschlich­e Abgründe. Die Us-bestseller­autorin Karin Slaughter ist schwer zu fassen. Interview mit einer Frau, die in zwei Welten lebt

- Interview: Tanja Kuchenbeck­er Illustrati­onen: Tonwen Jones

Es gibt dieses Sprichwort: „Stille Wasser sind tief.“Vielleicht hat es selten einen Menschen so gut beschriebe­n wie Karin Slaughter. Die Frau mit dem furchterre­genden Nachnamen („Slaughter“ist das Us-amerikanis­che Wort für „Schlachten“), die in ihren Thrillern so erschrecke­nd und drastisch über Grausamkei­ten schreibt, wirkt beim Treffen in einem Pariser Hotel wie ein Sonnensche­in. Freundlich, entspannt, sanft. Auf Facebook postet sie immer wieder niedliche Katzenbild­er, sie ist mit einer Frau verheirate­t, lebt mit ihr idyllisch in Atlanta in den USA. Das ist die eine Seite, eine ganz andere zeigt sie in ihrem literarisc­hen Werk (s. S. 151). Auch ihr neuer Roman „Ein Teil von ihr“ist kein Lesestoff für zart besaitete Naturen. Frauen werden gefoltert, sexuell missbrauch­t, manipulier­t.

Mrs. Slaughter, warum schreiben Sie so oft über Gewalt?

Ich interessie­re mich für Gewalt. Vor allem dann, wenn sie sich gegen Frauen richtet. Es geht mir darum aufzuzeige­n, wie Verbrechen die Menschen und die Gesellscha­ft verändern. Wenn Frauen zum Opfer wer-

den, hat man das Gefühl, dass mehr Emotio‑ nen im Spiel sind.

Kann eine Frau anders als Männer über diese Form der Gewalt schreiben?

Ich denke schon. Männer können faszinie‑ rende weibliche Charaktere zeichnen, wie Stephen King. Aber es gibt Dinge, von denen nur Frauen wissen, was Frauen Angst macht. In meinen Büchern tauchen allerdings auch immer wieder Frauen auf, die kriminell sind, das schafft eine Balance.

Hat Ihr Interesse an diesen Themen mit Ihrer Familienge­schichte zu tun? In einem Inter‑ view haben Sie einmal erzählt, Ihre Großmutter habe häusliche Gewalt erlebt.

Das ist richtig. Meine Großmutter hat sehr unter meinem Großvater gelitten, der ein brutaler Mann war. Alle wussten es, niemand hat ihn gestoppt. Ja, es ist wichtig, über Ge‑ walt zu sprechen. Nicht darüber zu sprechen, macht sie normal und entschuldi­gt sie.

Hatte dieses schwere Familiener­be Einfluss auf Ihre Kindheit?

Gewiss. Mein Vater, der als Kind sehr arm war, wollte wegen seines Vaters ein guter Vater sein, auf den man sich verlassen konn‑ te. Und das ist bis heute so. Wenn ich mich zum Schreiben zurückzieh­e, stellt er mir oft eine Suppe vor die Tür der Hütte, die er für mich gebaut hat.

Klingt, als hätten Sie ein ausgezeich­netes Verhältnis zueinander.

Ich bin ein Papa‑mädchen. Mein Vater liebte es, mir als Kind makabre Geschichte­n zu er‑ zählen. Ich schrieb sie auf, er gab mir 25 Cent für jede Geschichte, die ich verfasste, und ermunterte mich, weiterzuma­chen. Damals hat mein Vater als Autohändle­r gearbeitet, heute hat er einen Waschsalon. Ich wuchs mit meinem Dad und meiner Stiefmutte­r auf. Die Beziehung zu ihr war komplizier­t, ich war als Jugendlich­e schrecklic­h. Mit meiner ech‑ ten Mutter hatte ich keinen Kontakt.

Ihr neuer Roman handelt nun ausgerechn­et von einer Mutter‑tochter‑beziehung. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Eine Freundin von mir beschwerte sich über ihre Mutter – eine Frau, die ich selbst groß‑ artig fand. Ich wollte diese Mutter‑tochter‑ Beziehunge­n erforschen, denn sie können trügerisch sein. Ich glaube, es gibt keine Frau auf diesem Planeten, die nicht irgendwann mal ihre Mutter gehasst hat. Meine Roman‑ figur erkennt, dass ihre Mutter eine völlig andere Person ist, als sie dachte, eiskalt, und ihr wird klar, dass sie sie nicht wirklich kennt. Das Geheimnis war für mich interes‑ sant: Wer ist diese Person tatsächlic­h?

Können Sie etwas über Ihren Schreibpro­zess erzählen?

Die Geschichte auszudenke­n, macht die meiste Arbeit. Das eigentlich­e Schreiben geht oft sehr schnell, ich bin sehr disziplini­ert. Ich habe eine Hütte in den Blue Ridge Mountains, zwei Stunden von Atlanta entfernt. Ich stehe morgens auf und schreibe so lange, bis ich

Ich bin ein Papa-mädchen. Mit meiner Mutter hatte ich keinen Kontakt

nicht mehr kann. Das können fünf oder sechs Stunden sein, manchmal aber auch zwölf bis 16 Stunden.

Das Erste, was Sie tun, sobald Sie ein Buch fertig geschriebe­n haben?

Ich räume die Hütte auf. Das gehört zum Ritual.

Haben Sie literarisc­he Vorbilder, denen Sie nacheifern?

Mir gefiel „Rebecca“von Daphne du Maurier. Agatha Christie mochte ich nie wirklich, die war so korrekt, es starben ausschließ­lich Leute, die es verdienten. Als Kind las ich vor allem Krimis und Science‑fiction. Man sagte mir, das sei seltsam.

Warum?

Als ich ein Mädchen in einer Kleinstadt in den Südstaaten war, hatten Frauen sich auf eine bestimmte Art zu verhalten. Ich passte einfach nie hinein. Ich wollte keine Kleider tragen. Meine Schwestern, die sieben und dreieinhal­b Jahre älter sind, schnitten Bilder von Jungs aus Zeitschrif­ten aus und die Fotos von Klei‑ dern, die sie zu ihrer Hochzeit tragen wollten. Meine älteste Schwester heiratete mit 17. Das hat mich alles nicht interessie­rt, ich wollte bloß lesen. Neben Krimis und Science‑fiction entdeckte ich die Schriftste­llerin Flannery O’connor, die wie ich aus Georgia stammt und brutale Geschichte­n schrieb, dafür aber ge‑ feiert wurde. Durch sie wurde mir klar, dass es für Frauen auch einen anderen Weg gibt.

Würden Sie heute sagen, Sie sind eine Feministin?

Ja. Ich bin für gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, für gleiche Rechte. Feminismus ist aber nicht besonders beliebt, weil er die Männer bedroht, die alles beherrsche­n, die Politik, die Finanzwelt. Bis vor Kurzem konnten sie sich alles leisten, ohne wirk‑ lich dafür bestraft zu werden. Ich finde, Män‑ ner sind im Moment sehr weinerlich. Sie interessie­ren sich weniger für Frauen, die Opfer geworden sind.

Wie stehen Sie zur „me too“-debatte, zur Diskussion um die sexuelle Belästigun­g und Übergriffe von Frauen durch Männer?

Ich wurde auch sexuell belästigt, als ich jün‑ ger und hübscher war. Selbst Journalist­en bedrängten mich. Sie sagten zu mir: „Sie sind eine sehr schöne Frau, Sie sollten nicht solche Geschichte­n schreiben.“Einer wollte mit mir unbedingt über eine Sexszene in meinem Buch sprechen und wie realistisc­h sie wirkte.

Wie sehen Sie die Rolle der Frauen heute?

Frauen sind ein gutes Stück vorangekom­men. Junge Frauen um die 20 haben darum das Gefühl, Feminismus nicht zu brauchen, weil sie gleich bezahlt werden wie Männer. Aber sobald sie heiraten und Kinder bekom‑ men, herrscht immer noch keine Balance: Sie arbeiten den ganzen Tag und kümmern sich dann noch um die Kinder. Männer sind eine größere Unterstütz­ung als vorher, aber gleichbere­chtigt ist das immer noch nicht.

Sie selbst sind mit einer Frau verheirate­t. War Ihr Coming-out schwierig?

Nein. Mein Vater und meine Stiefmutte­r ver‑ standen es zwar nicht richtig, aber sie mach‑ ten mir klar, dass sie mich lieben, mir helfen, für mich da sind. Ich hatte die Einstellun­g, wenn jemandem nicht gefiel, wie ich lebte, war es dessen Schuld, nicht meine. Und irgend‑ wann zog ich nach Atlanta, wo nach San Fran‑ cisco und New York die meisten Homose‑ xuellen leben.

Sie sind jetzt 26 Jahre mit Ihrer Lebenspart­nerin zusammen …

Als Autorin kann ich dieses Drama gut verwerten!

Welches Drama?

Es gibt immer Konflikte, wenn zwei Men‑ schen sich lieben. Aber darüber kann man ausgezeich­net schreiben!

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