Freundin

Liebe Larissa,

- Autorin Lea Bredenstei­n schreibt an ihre Putzhilfe

wenn Du bei mir gewesen bist, schicke ich Dir hinterher meist eine Nachricht. Ich bedanke mich und versuche, in Zeichen‑ sprache zu erklären, wie leicht es mich macht, nach einem langen Tag in einer aufgeräum‑ ten und sauberen Wohnung auf‑ und abzulaufen. Ich glaube, Emojis wurden nur für uns erfunden, damit wir uns nächt‑ liche Grüße schreiben kön‑ nen, in denen hinter lachenden Gesichtern, tanzenden Frauen und pinken Herzen eigentlich nur eines steht: Wie schön, dass es Dich gibt. Deine Mutterspra­che ist Polnisch, meine Deutsch, wir kommen gerade so durch. In Wahrheit komme ich viel besser durch, seit Du mir hilfst. „Per‑ le“nennen Dich Deine anderen Arbeitgebe­r, es sind Freunde von mir. Für mich bist Du eine Glücksbrin­gerin, mehr noch, eine Komplizin. Niemand außer Dir und mir entscheide­t, eine neue Tischdecke aufzulegen. Ich lebe allein, jede zweite Woche mit meinen Kindern. An dem Tag im März, als ich im Dunkeln nach Hause kam und sah, dass Du meinen Küchentisc­h her‑ gerichtet hattest, musste ich wei‑ nen. Ich fühlte mich umarmt. Du hattest in meinem Sinne ge‑ handelt, so wie das Menschen machen, die mich lieben. Du hattest mitgedacht, fürsorglic­h gehandelt. Manchmal räumst Du sogar etwas um. Ich freue mich über jede Deiner Ideen und gehe durch meine drei Zim‑ mer wie ein Tier, das Witte‑ rung aufnimmt. Ach, so würdest Du es machen, sage ich manch‑ mal laut. Ich rufe: „Larissa hat die Bettwäsche sortiert, schaut mal.“Und dann stehen meine Töchter und ich eine andächtige, stille Minute vorm Schrank. Du bist mit uns, weißt du das? Ich weiß wenig über Dich. Alle drei Monate kehrst Du nach Polen zurück, um bald darauf wiederzuko­mmen. Jedes Mal lässt Du Kinder zurück, sie sind inzwischen fast erwachsen. Mehr‑ mals im Jahr musst Du Dich von ihnen verabschie­den – wie ich mich von meinen. Das Verab‑ schieden mussten wir beide ler‑ nen. Auf welche Weise vermisst Du sie, wann? Und was ist mit dem Mann, den Du einmal gehei‑ ratet hast – liebst Du ihn noch immer? Bist Du hier eine andere als zu Hause? Wie nimmst Du die Stadt wahr, in der wir leben? Was machst Du in Deiner frei‑ en Zeit, liest Du? Für diese Fra‑ gen fehlen mir die passenden Emojis, und dass Du mir nah sein kannst, liegt vielleicht auch daran, dass Du sie mir nie be‑ antworten wirst. Wir sind unver‑ bindlich und gleichzeit­ig intim, als hätten wir eine Affäre. Deine letzte Nachricht: „Ich grüße von ganzem Herzen.“Ja, Larissa, das mache ich auch, Glücksbrin‑ gerin, kostbar bist Du mir.

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