„Cliquen sind lebendiger als Freundschaften“
Der Berliner Psychotherapeut und Autor Wolfgang Krüger über die Bedeutung von verschworenen Gemeinschaften in unruhigen Zeiten
Herr Krüger, Sie haben sich anlässlich Ihres Buchs „Freundschaft: beginnen, verbessern, gestalten“lange mit den Cliquen beschäftigt. Menschen haben immer schon Gruppen gebildet, allerdings, um zu überleben. Wofür brauchen wir sie heute noch?
Wir leben in einer Welt der Mobilität, in der wir viele Freiheiten haben, aber auch in einer Welt der Entsolidarisierung. Als Gegenpol suchen wir Stabilität im Privaten, in kleinen Verbünden, in denen wir uns aufgehoben fühlen. Familie und Ehe bieten das nicht mehr so exklusiv wie früher – sie sind oft schwierig, Liebesbeziehungen nicht selten kompliziert und selbst Ehepartner führen heute aus beruflichen Gründen häufig Fernbeziehungen.
Aber wir haben doch auch beste Freundinnen. Warum reichen die uns nicht?
Jeder braucht heute drei Dinge im Leben: die beste Freundin, der ich immer mein ganzes Herz ausschütte. Dann die Clique, eine Gruppe, der ich vertraue und mit der ich persönliche Dinge teile. Und zusätzlich Netzwerke wie Tennisclub oder Nachbarschaft, die unterstützen, aber anonymer sind. Die Cliquen insbesondere schützen uns dabei vor zwei Dingen: Einsamkeit und Unsicherheit – in Bezug auf das Selbstwertgefühl. Hier ist man durch viele Beziehungsseile mit anderen verbunden, erfährt eine Vielfalt an Echo und unterschiedliche Ansichten. Dazu verstärken sich Ideen und Spaß. Cliquen sind auch lebendiger als Freundschaften zu Einzelpersonen – und weniger anstrengend, anspruchsvoll oder aufwendig: Ich muss nicht immer aktiv sein, kann mitschwimmen und profitiere auch, selbst wenn ich mal nichts sage.
Stichwort Selbstwertgefühl: Das Wort „Clique“stammt von „claquer“, französisch für „klatschen“. Dem anderen also Bestätigung zeigen. Inwie‑ fern steigert ein Freundeskreis meinen Wert?
Eigentlich spielt das vor allem in der Jugend eine Rolle: Da sind Cliquen verschworene Gemeinschaften mit Ritualen, in die man nur unter bestimmten Bedingungen hineinkommt. Aber auch Erwachsene können durch den Stolz, einer anzugehören, durch Anerkennung von außen („Da kommt die Partytruppe“) wie von innen durch gegenseitigen „Beifall“eine Wertsteigerung erfahren.
Wieso findet man Cliquen häufiger unter Frauen?
Männer sind in Freundschaften eher sachlich, mit weniger emotionaler Tiefe – und sie neigen zum Konkurrenzdenken, jeder kann es besser, ist der Größte. Frauen funktionieren in Gruppen so gut, weil sie Schwächen zugeben und darüber erzählen, das wirkt bestätigend. Sie solidarisieren sich mehr und sind emotionaler. In Einzelfreundschaften kann diese Emotionalität natürlich auch zu Problemen führen, etwa, wenn die eine ein Kind bekommt und die andere sich schon lange eines wünscht. In einer Clique aber gleicht der Rest der Gruppe so eine Problematik aus.