Eigentlich … sollte man sich über jeden runden Geburtstag freuen
Findet freundin-autorin Constanze Kleis
Es ist ein großes Glück, älter werden zu dürfen. Zumal gemessen an den Al‑ ternativen. Theoretisch. Praktisch sind runde Geburtstage wie eine Herde rosa Elefanten in der Fußgängerzone. Unmög‑ lich zu übersehen. Und man muss sich per‑ manent mit etwas auseinandersetzen, worü‑ ber man gar nicht so genau nachdenken will: dass Zeit vergeht. Natürlich wird man auch zwischen zwei Nullen älter. Aber da schenkt einem keiner lustige Karten mit Alterswit‑ zen schon für 40‑Jährige, in denen Rheuma‑ decken, Blasentee, Lesebrillen und Zahner‑ satz Rollen spielen. Niemand beugt sich besorgt herüber, um mit einer Stimme, mit der sonst Fernsehkommissare Angehörigen schlimme Nachrichten überbringen, zu fragen: „Na, wie fühlst du dich?“Dazu braucht man nicht mal ins beste Geschenkekorb‑alter zu kom‑ men. Jeder runde Geburtstag wird gehandhabt, als hätte man bis dahin ein bestimmtes Klas‑ senziel im Leben erreichen müssen. Am besten mit exzellenten Noten in so drögen Fächern wie Vernunft, Disziplin, Besonnenheit, Alters‑ vorsorge, Weisheit. Es genügt schon, eine drei vor der Null zu haben, um die ganze Last des Jubiläums zu spüren. Ich erinnere mich jedenfalls noch gut an Bemerkungen zum 30sten wie „Wann willst du eigentlich heira‑ ten?“, „Als ich in deinem Alter war, hatte ich schon fünf Kinder!“oder eine „Eigen‑ tumswohnung“. „Hast du schon über eine Lebensversicherung nachgedacht?“Deshalb möchte ich mir nicht mal vorstellen, was mir bei der nächsten Null – dem 60sten – blüht. Am Ende muss ich mir anhören, dass ich „für mein Alter“und also „noch“ganz passabel aussehe, und Gespräche darüber führen, was ich so für die Rente plane. Wer nullt, der be‑ kommt vom Leben immer auch Hausauf‑ gaben dazu. Das kann ganz schön stressen. Vor allem, weil sich beim Abgleich zwischen Soll‑ und Istzustand zuverlässig ergibt, dass unsere inneren Uhren stets um mindestens ein Jahrzehnt nachgehen. Dass Seele und Psyche eine ganz andere Zeitrechnung haben, in der nicht Jahre, sondern Gefühle wie Lebenslust, Neugier, Leidenschaft den Takt vorgeben. Auch deshalb ist eigentlich nicht die Null selbst, sondern die Aussicht auf das, was uns da blühen könnte, der große Angst‑ macher, so eine amerikanische Studie. Ihr Ergebnis: Wer einen runden Geburtstag vor sich hat, neigt im Jahr davor eher zum Fremdgehen, aber auch dazu, sich ein Mara‑ thonleibchen überzuziehen. Vermutlich um sich und der Welt zu beweisen, was da noch alles geht und dass man sich von einer Null nicht auf die Spurrinne des Alterns nötigen lässt. Ob meine Tante Inge da was zu beich‑ ten hätte? Sie wird demnächst 90. Und hat vorher die örtliche Zeitung angerufen und sich jegliche Erwähnung ihres runden Geburts‑ tages verbeten. Ebenso wie den Besuch des Pfarrers und des Bürgermeisters. „Wie sieht das denn aus? Am Ende erwartet alle Welt von mir Weisheit und Altersmilde!“, argu‑ mentiert sie. Feiern wird sie selbstverständlich trotzdem. Denn am Ende, so meint Inge, zählt bei den Rundungen im Leben doch vor allem eines: „Sie erinnern daran, wie lange man schon jung geblieben ist.“Ich glaube, eigentlich freue ich mich doch schon sehr auf meinen nächsten Runden.