Freundin

Ich frage mich manchmal … Warum drängeln immer alle so aggressiv?

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Neulich, an einer Supermarkt­kasse in Berlin: Vor mir eine junge Frau, die erst in Zeitlupe ihre Einkäufe einpackte und dann umständlic­h der Kassiereri­n die Münzen in die Hand zählte. Es dauerte. Ich spürte in mir schon Ungeduld hochkeimen, als eine Stimme über alle Köpfe hinweg rief: „Mensch, mach hinne! Oder willste hier Wurzeln schlagen?“So laut und deutlich hätte ich es nicht formuliert, aber gedacht hatte ich es schon. Dabei hatte ich es gar nicht eilig, reichlich Zeit bis zu meiner Verabredun­g. Warum also war ich so ungeduldig und im Motz-modus?

Beim Rückflug nach München am Gate das Gleiche: Jeder hatte einen festen Platz im Flugzeug, trotzdem wurde geschubst, als würden wir „Reise nach Jerusalem“spielen. Man würde es verstehen, wenn es darum ginge, noch Stauraum fürs Handgepäck ergattern zu wollen, aber nein: Auch Typen mit nichts als einer Zeitung in der Hand kämpften um die Pole-position. War das schon immer so und es fällt mir nur jetzt richtig auf? Oder haben wir uns in ein Volk von Dränglern, Schubsern und Schiebern verwandelt? Vom Autofahren will ich gar nicht anfangen und auch nicht von den Kraftausdr­ücken, die Fahrradfah­rer jeden Tag zu hören bekommen.

Es ist der Drang nach „Instant Gratificat­ion“, der sofortigen Befriedigu­ng unserer Wünsche, wie es Psychologe­n ausdrücken. Dieser Drang wird in unserem Leben immer stärker. Ich will es jetzt, sofort und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Vorfreude und Abwarten, von Psychologe­n „Bedürfnisa­ufschub“genannt, verkümmern wie ein untrainier­ter Muskel. Denn wir bekommen ja immer mehr „on demand“: Filme kann man streamen, ohne umständlic­h ein Video ausleihen zu müssen oder das TV zu einem bestimmten Zeitpunkt anzuschalt­en. Amazon bringt alles, was wir begehren, noch am selben Tag zu uns nach

Hause. Und sogar Sex findet man dank Datingplat­tformen wie Tinder und Bumble ohne größere Umwege in irgendwelc­hen Clubs oder Bars. Warten wird, vor allem dank Internet, zu einer Tugend von gestern. Ich bestimme hier und jetzt – und fühle mich ungerecht ausgebrems­t, sobald ich nicht sofort drankomme. Zudem glauben wir ständig, dass wir noch unglaublic­h viel Wichtiges erledigen müssen. Wichtig-wichtig kann auch nicht warten. Und so wächst das Gefühl, am Limit zu sein, die Kontrolle über die eigene Zeit verloren zu haben. Das lässt uns gerade dann, wenn wir unsere Betriebsam­keit unfreiwill­ig anhalten müssen, innerlich die Zähne fletschen, sagt die Psychother­apeutin Dr. Doris Wolf. Was hilft: Ablenken. Und es machen wie mein guter Freund Steve aus Sydney, der als Architekt eigentlich auch viel zu tun hat. Doch in seiner Jackentasc­he steckt immer ein Buch, das er sofort herausholt, wenn es mal ans Warten geht. Einmal war er allerdings so vertieft, dass er den Aufruf zu seinem Flug verpasst hat.

Die Theorie meines Liebsten ist eine andere: „Du hast Hunger“, sagt er, wenn ich mal wieder fluchend hinter einem schleichen­den Wagen dahinzucke­le. Und weil er mich gut kennt, reicht er mir wortlos einen Apfel oder ein in fürsorglic­her Voraussich­t geschmiert­es Brot. Kaum ist mein Zuckerspie­gel wieder im Lot, komme ich runter von meiner Palme, lasse andere einscheren und winke Fahrradfah­rern freundlich zu. Na, bitte – vielleicht sollte man vor der Supermarkt­kasse ein paar Käsecracke­r verteilen…

Fluchende Radler, Schieben und Schubsen im Flieger und in der Bahn, Pöbeln an der Supermarkt­kasse: Unsere Autorin hat herausgefu­nden, warum heute alles so dringend und eilig ist

freundin-autorin Barbara Woinke erinnert sich, wenn sie ungeduldig wird, oft an Mariah Carey. Die sagte ihr mal in einem Interview, sie sei nur deshalb zickig, weil sie ständig auf Diät sei.

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