Freundin

„Ich wollte auf etwas stolz sein“

- Interview: Julia Rothhaas

Sara Nuru, ehemalige „Germany’s Next Topmodel“-gewinnerin, über ihr Engagement für Frauen in Äthiopien

Sara Nuru wurde 2009 als Gewinnerin von „Germany’s Next Topmodel“bekannt. Heute unterstütz­t sie Frauen in Äthiopien, der Heimat ihrer Eltern, auf ihrem Weg in die Unabhängig­keit – und lernt dabei viel über sich selbst. Wir trafen die 30-Jährige zum Interview

Frau Nuru, Ihre Eltern stammen aus Äthiopien. Mit 14 fuhren Sie das erste Mal hin. An was erinnern Sie sich?

An den Geruch, der mir am Flugha‑ fen in die Nase stieg: eine Mischung aus verbrannte­m Holz, frisch ge‑ röstetem Kaffee, Gewürzen wie Zimt, Nelken, Ingwer. Wir haben damals viele touristisc­he Sachen gemacht, unsere Eltern wollten meinen Schwes‑ tern und mir ein schönes Äthiopien zeigen. Dabei habe ich gemerkt, wie deutsch ich bin.

Wie meinen Sie das?

Ich habe mich dort fremder gefühlt als in Deutschlan­d. Dabei dachte ich, ich würde in Äthiopien nicht wei‑ ter auffallen. Aber wir waren die aus dem Westen – mit unserer Klei‑ dung und Sprache.

Sprechen Sie Amharisch?

Mittlerwei­le ja, damals konnte ich es nicht. Spannend war zu sehen, wie selbstvers­tändlich sich meine Eltern in ihrer Heimat bewegten. Sie spre‑ chen gut Deutsch, trotzdem schwingt hier immer eine gewisse Unsicher‑ heit mit, missversta­nden zu werden.

Sechs Jahre später reisten Sie als Botschafte­rin der Organisati­on „Men‑ schen für Menschen“nach Äthio‑ pien. Fühlten Sie sich wieder fremd?

Nein, aber mir wurde bewusst, wie gut es mir geht. Ich hatte gerade „Germany’s Next Topmodel“gewon‑ nen und ein sehr privilegie­rtes Leben. Zu sehen, wie in Äthiopien Men‑ schen in Strohhütte­n leben, wie viele Kilometer Frauen mit schweren Ton‑ krügen laufen müssen, um Wasser zu holen – das war kaum auszuhalte­n.

Was haben Sie davon mitgenomme­n?

Ein anderes Verhältnis zu meinem Job. Als junge Frau lässt man sich

schnell vom Business blenden. Bei der Reise habe ich gemerkt: Der Job definiert mich nicht. Wenn ein Agent sagte, ich wäre zu dick, hat mich das nicht mehr persönlich getrof‑ fen. Nicht ich war das Problem. Sondern die Modeindust­rie. Und ich hatte jetzt eine Ah‑ nung davon, was es bedeutet, wenn Menschen wirklich hungern müssen.

War diese neue Einsicht auch der Grund, wa‑ rum Sie anderen Frauen helfen wollten?

Ich wollte etwas finden, auf das ich stolz sein, wo ich Verantwort­ung übernehmen kann – und was mit Äthiopien zu tun hat. Deshalb habe ich 2018 mit meiner Schwester den Verein „nuruwomen“gegründet. Wir verge‑ ben Mikrokredi­te an Frauen, die ein Geschäft aufbauen wollen – als Hühnerzüch­terin, Getränkeli­eferantin oder Café‑besitzerin.

Also Hilfe zur Selbsthilf­e.

Ja. Wir schaffen Arbeitsplä­tze, von denen die Frauen profitiere­n. Sie arbeiten hart, verdienen aber oft am wenigsten.

Wie wählen Sie die Projekte aus?

Die Frauen brauchen eine Starthilfe und nicht uns, damit wir ihnen sagen, was sie tun sollen. Also überlassen wir die Auswahl einem Komitee vor Ort. Weil wir nur zweimal im Jahr in Äthiopien sind, haben wir „Men‑ schen für Menschen“gefragt, ob sie unser Partner sein wollen. So können wir auf bestehende Strukturen zurückgrei­fen, das Geld geht direkt an die Frauen, ohne hohe Verwaltung­skosten.

Wie viele Frauen unterstütz­en Sie?

Seit unserer Gründung haben 93 Frauen je einen Kredit zwischen 4000 und 6000 Birr, das sind ca. 120 und 180 Euro, bekommen. Dass sie das Geld zurückzahl­en, ist wichtig für ihr Selbstwert­gefühl. Wir glauben fest daran, dass man Menschen hilft, wenn man Perspek‑ tiven schafft. Dann haben sie es auch nicht nötig, aus ihrer Heimat zu fliehen.

Ihre Mutter kam 1986 mit Ihren beiden älteren Schwestern im Kleinkinda­lter und zunächst ohne Mann nach Deutschlan­d. Hat Ihre Fami‑ liengeschi­chte Einfluss auf Ihr Engagement?

In all den Frauen, denen wir helfen können, sehe ich auch ein Stück weit meine Mutter. Meine Eltern haben sehr viel auf sich genom‑ men, um uns Kindern ein anderes Leben zu ermögliche­n. Jetzt schließt sich der Kreis.

Seit 2016 importiere­n Sie auch Kaffee aus Äthiopien nach Deutschlan­d. Was macht nurucoffee anders als andere Importeure?

Wir erfinden das Rad mit fairem und biolo‑ gisch angebautem Kaffee nicht neu, aber ach‑ ten darauf, dass diejenigen, die hart arbei‑ ten, anständig verdienen. Wir beziehen unseren Kaffee aus Kooperativ­en und unterstütz­en so Kleinbauer­n, die am Gewinn beteiligt sind.

Welche Rolle spielt Kaffee in Ihrer Familie?

Meine Mutter erzählt immer, dass er ihr ge‑ holfen hat, in Deutschlan­d Fuß zu fassen. Sie hält jede Woche eine Kaffeezere­monie ab. Mittwochs, dem Tag ihrer Ankunft.

Wie läuft eine solche Zeremonie ab?

Über glühender Kohle werden die Bohnen ge‑ röstet, im Mörser zu Mehl zerstoßen und in einem bauchigen Gefäß aus Ton mit Wasser aufgebrüht. Anfangs saß meine Mutter vor dem Haus in Grünbach, einem 400‑Seelen‑

Dorf nordöstlic­h von München, und hat die Bohnen auf offenem Feuer zubereitet.

Da haben die Grünbacher sicher gestaunt.

Meine Mutter wurde anfangs schief ange‑ guckt. Doch der Kaffeegeru­ch hat die Nach‑ barn angelockt, die wollten wissen: Was macht die afrikanisc­he Frau da? Das hat ihr viele Türen geöffnet.

Ein Beispiel gelungener Integratio­n?

Begegnung im Alltag ist wichtig. Das geht in einem Dorf leicht, weil man sich schlecht aus dem Weg gehen kann. Andere Ausländer gab es nicht, meine Eltern konnten sich nicht ver‑ stecken. Integratio­n funktionie­rt aber nie einseitig. Man darf nicht nur nach der Politik schreien. Wir müssen dafür sorgen, dass der Nachbar Anschluss findet. Sich über Ausländer beschweren, ohne selbst was zu tun, ist doof.

Als Sie 1989 geboren wurden, titelte die Lokal‑ zeitung: „Das erste schwarze Baby in Erding“. Wie fanden Ihre Eltern das?

Sie waren stolz. Noch stolzer waren sie, als ich mich Jahre später ins Goldene Buch der Stadt eintragen durfte. Meine Eltern haben viel zurückstec­ken müssen. Dass aus uns vier Schwestern etwas geworden ist, weil wir die Chance dazu hatten, ist für sie das Schönste. Ihr harter Weg hat sich gelohnt.

In Ihrem Buch „Roots“schreiben Sie: „Ich, die selten Diskrimini­erung erfahren hat, dachte bislang immer, es wäre undankbar, wenn ich Rassismus anprangern würde.“Mittlerwei‑ le aber haben Sie dazu ein neues Bewusstsei­n. Was hat sich geändert?

Ich wollte das Problem nicht abtun, nur weil ich es selbst nie erlebt habe. Aber ich wollte auch nicht, dass mich meine Hautfarbe defi‑ niert. Ich wollte nie das schwarze Model sein, sondern einfach nur Sara, das Model. Mittlerwei­le ist mir aber meine Verantwor‑ tung bewusst geworden. Deswegen habe ich auch das Buch geschriebe­n. Ich kann an‑ deren Migrantenk­indern zeigen: Ich bin eine von euch. Ihr könnt es auch schaffen.

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 ??  ?? Unten: Sara (li.) und Sali Nuru trafen in Äthiopien die Gemüsehänd­lerin Yergadu Ayelu (Mitte), die sie mit einem Mikrokredi­t unterstütz­t haben
Unten: Sara (li.) und Sali Nuru trafen in Äthiopien die Gemüsehänd­lerin Yergadu Ayelu (Mitte), die sie mit einem Mikrokredi­t unterstütz­t haben
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 ??  ?? 1 Sara mit ihren Eltern Hsen und Molu, die 1986 nach Deutschlan­d kamen 2 Der Zeitungs‑ artikel der Lokalzeitu­ng in Erding: „Das erste schwarze Baby“3 Sara und ihre Schwester Sali bei einer kurzen Pause während einer 12‑stündigen Autofahrt nach Borena, ein Pro‑ jektgebiet ihres Vereins nuruwomen e. V. 3
1 Sara mit ihren Eltern Hsen und Molu, die 1986 nach Deutschlan­d kamen 2 Der Zeitungs‑ artikel der Lokalzeitu­ng in Erding: „Das erste schwarze Baby“3 Sara und ihre Schwester Sali bei einer kurzen Pause während einer 12‑stündigen Autofahrt nach Borena, ein Pro‑ jektgebiet ihres Vereins nuruwomen e. V. 3
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 ??  ?? 1 Sara und ihre Schwester Sali Nuru zu Be‑ such bei einer Kaffeekoop­erative für ihren Kaffeeimpo­rt nurucoffee 2 Ein Teil der Erlöse von nurucoffee fließt in den Verein nuruwomen, der Mikrokredi­te vergibt 3 Sara sichtlich gerührt bei der Einweihung einer Schule in De‑ gele, die ihren Namen trägt 4 Die Schwes‑ tern im Gespräch mit Mikrokredi­tnehmerinn­en 1
1 Sara und ihre Schwester Sali Nuru zu Be‑ such bei einer Kaffeekoop­erative für ihren Kaffeeimpo­rt nurucoffee 2 Ein Teil der Erlöse von nurucoffee fließt in den Verein nuruwomen, der Mikrokredi­te vergibt 3 Sara sichtlich gerührt bei der Einweihung einer Schule in De‑ gele, die ihren Namen trägt 4 Die Schwes‑ tern im Gespräch mit Mikrokredi­tnehmerinn­en 1
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„Roots. Wie ich meine Wurzeln fand und der Kaffee mein Leben veränderte“ist Sara Nurus erstes Buch (Goldmann)
Model, Unternehme­rin und Autorin „Roots. Wie ich meine Wurzeln fand und der Kaffee mein Leben veränderte“ist Sara Nurus erstes Buch (Goldmann)
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