Schreib mal wieder
Star-autorin Cornelia Funke verrät im Interview, warum die Handschrift so wichtig ist – für uns alle
Am Computer zu tippen ist einfacher, schneller und leichter zu korrigieren. Trotzdem schreibt Autorin Cornelia Funke seit Jahren ihre Bücher zunächst mit der ist Hand. Warum das so wichtig und wie gut ihr das tut, verrät sie hier im Interview
Stimmt es, Frau Funke, dass Sie alle Ihre Bücher mit der Hand schreiben?
Seit etwa zwölf Jahren, ja. Ich bereue, dass ich nicht früher damit angefangen habe.
Ihren ersten großen internationalen Erfolg „Herr der Diebe“haben Sie also noch am Computer geschrieben?
Ja, 14 Fassungen. Ich wünschte, ich hätte Notizbücher davon. Darin sieht man, wie sich eine Geschichte entwickelt hat, wie ich Ideen verworfen, andere wieder aufgenom‑ men habe, woher die Inspirationen kamen.
Wie viele Notizbücher brauchen Sie pro Buch?
Zwei, drei für Vorbereitungen, Recherche, grobe Ideen, Zeichnungen, Entwürfe zu Figu‑ ren. Dann kommt das Manuskript. Das sind meist noch mal fünf, sechs Notizbücher. Ich fülle immer nur die rechte Seite, links skiz‑ ziere ich, klebe Collagen, schreibe Sätze neu. Danach übertrage ich den Text in den Com‑ puter, weil er für Überarbeitungen natürlich ein gutes Werkzeug ist. Manchmal passiert das nach einem, manchmal auch erst nach drei oder vier Kapiteln.
Es heißt, der erste Satz sei enorm wichtig. Wie sehen Sie das?
Er ist die Tür, die man dem Leser baut, um in die Geschichte reinzukommen. Manchmal ist er bei mir von Anfang an perfekt, manchmal durchgestrichen, korrigiert oder ganz neu.
Mit welchem Stift schreiben Sie?
Mit einem Montblanc‑rollerball. Ich mag sei‑ ne Flexibilität und kann gut mit ihm zeichnen.
Und Korrekturen? Nutzen Sie einen Rotstift?
Nee. Das erinnert zu sehr an Lehrer (lacht). Aber ich schreibe wichtige Sachen oft mit ro‑ tem oder grünem Buntstift. Für das Manu‑ skript nehme ich schwarze oder blaue Tinte.
Empfehlen Sie angehenden Schriftstellern, Erstfassungen mit der Hand zu schreiben?
Ich sage jungen Kollegen oft: „Ihr solltet auf keinen Fall die erste Fassung mit dem Compu‑ ter schreiben. Erstens täuscht der Computer vor, das sei alles schon druckreif, was ein ganz großer Irrtum ist. Und zweitens nehmt ihr der Hand die Gelegenheit zum Spielen.“
Was meinen Sie damit?
Wenn ich mit der Hand schreibe, bin ich mir sehr bewusst, dass ich noch weit entfernt vom Druckreifen bin. Ich schreibe unbefange‑ ner, unzensierter, spontaner, verspielt. Ich war beim ersten handgeschriebenen Kapitel selbst erstaunt, welchen Unterschied das macht. Das Geschriebene war deutlich besser als die erste Fassung, die ich vorher norma‑ lerweise in den Computer gehämmert hatte. Origineller und interessanter. Außerdem macht es mehr Spaß, weil man irgendwo sit‑ zen kann – nur mit Notizbuch und Stift. Man muss nicht überlegen, wann der Akku leer geht. Ich lebe in Los Angeles und gerade erst gab es wieder etliche Tage die Andro‑ hung, dass wegen der Feuer in Kalifornien der Strom abgeschaltet wird.
Wo sitzen Sie dann mit Notizbuch und Stift?
Ganz verschieden. Ich habe einen Tisch bei mir auf der Farm hinterm Haus, schreibe oft unter den Avocado‑bäumen.
Also nicht im Café?
Das habe ich früher viel gemacht. Aber mein Lieblingscafé hier in Malibu, das „Café de la Plage“, von zwei Franzosen gegründet, ist ziemlich rummelig – auf nette Weise, aber
nicht unbedingt eine ruhige, entspannte Schreib-atmosphäre.
Sieht man später am Schriftbild, wie Ihre Stimmung war?
Eher, ob der Text floss oder ob ich noch nicht so genau wusste, wo ich hinwill. Wenn ich plötzlich eine Idee habe, von der ich begeistert bin, egal ob aus gutem Grund oder nicht, dann fließt das nur so übers Papier. Ich komme mit der Hand kaum hinter den Ideen her. Ich bin sehr geübt in Schreibschrift, weil ich jahrelang Kinderbriefe beantwortet und mir Mühe gegeben habe, leserlich zu schreiben. Oft klagen mir jüngere Schriftsteller, ihre Handschrift könne keiner lesen. Ich sage dann: „Das ist reine Übungssache.“
Aber es gibt viele Menschen, deren Handschrift man wirklich nicht entziffern kann.
Ich habe auch so eine Freundin, deren Schrift ich nicht lesen kann. Seit 20 Jahren. Aber ich sehe ihren Worten immer an, was an Freude, Abenteuer und Freundschaft drinsteckt. Und das Entziffern macht natürlich auch Spaß!
Glauben Sie, dass die Schrift etwas über den Charakter des Menschen aussagt?
Ja. Aber ich sehe auch bei meiner eigenen Schrift, dass sie sich stark verändert. Ich schreibe heute schräger als früher, ausgeprägter und größer. Meine Schrift ändert sich auch manchmal von Tag zu Tag. Sie kann kindlich werden. Und wieder erwachsen. Wenn ich flüchtig schreibe, wird sie gerade, wenn ich bei Manuskripten im Flow bin, legt sie sich schräg. Jemand, der Schriftkunde betreibt, könnte da sicher Interessantes herauslesen. Aber ich selber weiß darüber nicht viel. Ich will einfach nur meine Handschrift genießen. Und ich mag es, wenn ich Papier und Stift anfassen kann. Mein Freund Thomas Gaehtgens, der das Getty Research Institute geleitet hat, sagt immer: „Zum Glück machst du das, Cornelia. Was sollen wir sammeln, wenn alle nur noch am Computer schreiben?“Was in Ausstellungen zu sehen ist, sind Notiz- und Skizzenbücher, Briefe. All das verschwindet, wenn wir nur noch digital tippen.
Es gibt die Diskussion, ob Kinder nur noch Druckbuchstaben lernen sollen – oder nur am Computer schreiben. Was halten Sie davon?
Da ich Schreibschrift so sehr liebe, kann ich mir das natürlich gar nicht vorstellen. Zum einen finde ich Schreibschrift demokratisch – nicht jedes Kind kann sich einen Computer leisten. Und bei Druckschrift kommt man nicht ins Fließen. Und auf all die neuen Gedanken, die einem dabei kommen. Es ist ein Austausch zwischen Hand und Kopf. Aber ich verstehe, dass viele Kinder Schreibschrift als Folter empfinden, deshalb bin ich da zwiespältig. Trotzdem denke ich, Schreibschrift ist ein unglaublich wertvolles Werkzeug.
Darf jemand Ihre Entwürfe lesen oder sehen?
Ich zeige meine Texte erst spät, brauche diese zweite Stimme beim Schreiben nicht. Ich sehe das oft bei jungen Autoren, die ein bisschen zu früh Rat oder Zustimmung suchen. Ich glaube, man muss erst die Stimme in einem Buch zum Klingen bringen und wissen, wo man hinwill, bevor man das Lesern gibt. Meine handschriftlichen Manuskripte liest niemand. Die Ersten, die den Text sehen, erhalten einen bearbeiteten Computerausdruck.
Auch Ihre Tochter sieht die Notizbücher nicht?
Nee. Anna kriegt den Ausdruck, wenn ich vier-, fünfmal drübergegangen bin. Ich
habe Respekt vor der Zeit anderer: Wenn jemand 500 Seiten liest, sollte das wirklich überarbeitet sein.
Tut Ihnen manchmal die Hand weh, wenn Sie den ganzen Tag schreiben?
Nein. Ich bin auch Illustratorin. Da muss ich manchmal zwölf Stunden zeichnen. Und ich schreibe nicht so lange an Erstfassungen, drei bis vier Stunden am Tag maximal. Wenn man länger schreibt, wird man oft zu schnell – oder zu schnell zufrieden mit seinen Ideen.
Haben Sie ein Lieblingsstück, das Sie mit der Hand geschrieben haben? Eine Stelle aus einem Buch oder einen Liebesbrief?
Ich bin kein großer Liebesbriefschreiber. Und Briefe schreibe ich meist per Mail, weil ich viele Freunde im Ausland habe. So kommen sie schneller an. Ich habe ein Notizbuch zum nächsten „Tintenherz“, in Edinburgh gebunden, mit Seiten aus braunem Packpapier. Da schreibe – und zeichne – ich unheimlich gern hinein. Das ganze Ding an sich ist schon ein Kunstwerk, auch der Umschlag wunderschön. Wenn man mit Handschrift arbeitet, wird man ein besessener Notizbuchliebhaber.
Sind die von Ihnen überwiegend Geschenke oder suchen Sie sie selber aus?
Ich mag die Notizbücher von Moleskine in DIN A4. Ich gestalte immer erst den Umschlag, schreibe, zeichne und klebe Bilder darauf. Manche sind mit mehr Zeichnungen gefüllt, zum Beispiel beim neuen „Drachenreiter – Die Feder eines Greifs“, da habe ich erst mal die Affen gezeichnet, um sie mir besser vorstellen zu können. So habe ich beim neuen „Tinten“-buch auch drei, vier Charaktere neu entwickelt.
Sie arbeiten gerade am neuen „Tintenherz“?
Ja. Und an einem Buch über das erste Jahr meines Künstlerprojektes. Ich freue mich schon sehr darauf, zwischen die Fotos und Zeichnungen, die ich von allen eingesammelt habe, mit der Hand etwas über die einzelnen Besucher zu schreiben.
Was ist das für ein Projekt?
Ich lade seit Januar Künstler aus aller Welt ein, um hier zu arbeiten, immer so zwischen einer Woche und drei Monaten. Ich bezahle Flug und Unterkunft. Auf meiner Farm befinden sich vier kleine Gästehäuser, jedes davon ist gerade bewohnt. Von Sarah etwa, einer unglaublichen Marionettenmacherin aus Leipzig. Inga, einer Illustratorin aus Hamburg, Aisha, einer Illuminatorin, die in der klassischen islamischen Buchkunst ausgebildet ist, und Helena, einer Malerin, beide aus England. Meine Farm ist wie ein Dorf – und durch all den Austausch für uns alle endlos inspirierend. Ich warte immer noch drauf, dass mich einer kneift, ich aufwache und feststelle, dass das alles nur ein Traum war.
Wenn man mit Handschrift arbeitet, wird man ein besessener Notizbuchliebhaber “