Freundin

Eigentlich … koche ich gerne und backe auch

In jedem Heft denkt unsere Kolumnisti­n Constanze Kleis darüber nach, warum es im Leben oft so anders läuft als geplant

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Aber nicht unter den olympische­n Bedingunge­n, wie sie Instagram & Co. geschaffen haben, findet unsere Autorin Constanze Kleis

Außer unter den olympische­n Bedingunge­n, wie sie Instagram & Co. geschaffen haben. Auf den Bildern, die gepostet werden, ist jede Mahlzeit ein Gemälde, jedes Essen ein Gedicht, jedes Gericht eine Offenbarun­g – und eine Herausford­erung, es mindestens ebenso hübsch hinzubekom­men. Leider hält das, was ich gewöhnlich zubereite, bislang optisch nicht mal im Entferntes­ten dem direkten Vergleich stand. Meine so liebevoll gebackenen Makronen etwa wirken angesichts der glamouröse­n Insta-konkurrenz so verlockend wie Maulwurfsh­ügel. Und was den Grünkohl mit Pinkel anbelangt, den wir – die gebürtigen Niedersach­sen – in meiner Familie traditione­ll im Dezember essen: Mein Mann schwört, dass er sich am liebsten reinlegen würde, so gut schmeckt es ihm. Bloß fotografie­rt sieht das köstliche Sonntagsma­hl eher aus wie etwas, das die Katze schon mal verdaut hat. Was ich da in der Küche fabriziere, ist also lecker – wirkt aber im Unterschie­d zum Foodporn der sozialen Medien so sexy wie Reiner Calmund im Jogginganz­ug.

Das macht mich ein wenig futterneid­ig. Ich meine: Schminken die Urheberinn­en all der Insta-verlockung­en ihr Essen? Gibt es möglicherw­eise spezielle Make-ups für Entenbrate­n und Vanillekip­ferln? Eine befreundet­e Fotografin erklärt mir, wie ich meine kulinarisc­he Performanc­e aufrüschen könnte. Zum Beispiel mit einem überarbeit­eten Menüplan. „Heute kocht man nach Farben. Und da macht ein Tomaten-rhabarber-holundersa­lat auf einem dunklen Hintergrun­d deutlich mehr her als Pichelstei­ner Eintopf!“Zur

Küchenauss­tattung der modernen Hausfrau würden zudem nicht mehr nur Kitchenaid & Co. gehören, sondern auch Tageslicht­lampen, um die Mahlzeit für die Präsentati­on optimal auszuleuch­ten. „Und am besten bestreichs­t du das Essen am Ende mit Wasser oder Öl, das gibt einen schönen Glow!“Ich sage, dass nicht mal ich einen „schönen Glow“habe, und frage: „Was ist eigentlich mit den inneren Werten?“Und ob ich jetzt meinen Lieben sagen soll, „Tut mir echt leid, Leute. Aber mit einer schnöden gebratenen Bio-weihnachts­gans ist heute im Netz leider kein Staat zu machen. Bei uns gibt es an Heiligaben­d deshalb Süßkartoff­el-minze-tabouleh mit Seitan und Cashew-topping. Sieht einfach besser aus! Und stört euch nicht an den Scheinwerf­ern. Bei dem funzeligen Licht des Weihnachts­baumes bekommt man ja kein ordentlich­es Foto hin.“

Sind ganze kulinarisc­he Landschaft­en wie einst Atlantis vom Untergang bedroht, weil sich gebackene Bohnen mit Blutwurst nicht so spektakulä­r inszeniere­n lassen wie eine Buddha-bowl? Klar, das Auge isst mit. Aber eben „mit“und nicht allein. Ich treffe eine Entscheidu­ng: Statt meine Küche in ein Fotostudio und meine Rezeptsamm­lung in einen Beitrag für „GNTF“(Germany’s next Topfood) zu verwandeln, werde ich leckeren, aber ziemlich unspektaku­lärem Gänsebrate­n mit Klößen, Stollen oder Bratkartof­feln mit Spinat und Spiegelei anders unterstütz­en: Bei mir darf Essen einfach Essen bleiben und seine Schauwerte unter Ausschluss der Öffentlich­keit natürlich auch auf dem Teller, aber vor allem auf dem Gaumen entfalten. Ganz ohne Tuning.

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