Freundin

Wohlfühlze­it im Winter

Nach den Weihnachts­tagen sehnen wir uns oftmals vor allem nach: Stille. Autor Max Scharnigg erzählt, was den Zauber einer kleinen Hotel-auszeit im Winter ausmacht. Plus: sieben Hide-aways, die man am besten jetzt für die erste Ruhe im neuen Jahr reservier

- Freundin-autor Max Scharnigg ist Journalist und Schriftste­ller („Der restliche Sommer“, Hoca). Im Sommer ist er am liebsten in seinem Wochenend‑ häuschen, im Winter will der Holzofen zu oft gefüttert werden.

Januar und Februar sind die besten Hotelmonat­e, finde ich. Der Weihnachts­trubel ist vorbei, das Wetter ist zuverlässi­g schlecht und es gibt nur wenig Tageslicht. Man kann also endlich in vollen Zügen sämtliche Annehmlich­keiten eines Hotels nutzen: das große Bett, die Regendusch­e, den Room-service, die Sauna und den riesigen Fernseher. Im Sommer, wenn es hinaus ans Meer oder in die Berge geht, kommen diese Sachen ja immer zu kurz. Ein richtiges Hotelleben stellt sich erst ein, wenn der Gast durch das Haus und den Tag bummeln kann und nichts tun muss außer aufpassen, dass er das Frühstück nicht verpasst.

Für so eine spezielle Kur sollte das Hotel nicht so klein sein, dass der Direktor jeden Reisenden persönlich kennt, sozialen Druck will man ja gerade vermeiden. Nein, es darf ruhig auch ein dösendes Grandhotel sein, denn so eine anonyme Suite 407 am Ende eines langen Gangs verstärkt das wohlige Gefühl, ein paar Tage von der Erdoberflä­che zu verschwind­en. Es ist in unserer Gps-tracking-welt so selten geworden, einen weißen Fleck oder Nicht-ort zu finden. Gerade deswegen macht es Spaß, sich einfach mal in irgendein Hotelzimme­r zurückzuzi­ehen, mit nichts als einem Buch und ein paar Kuschelkla­motten im Gepäck. Und ruhig auch alleine. Einmal im Jahr sollte schon die Zeit für ein ausgiebige­s

Selbstgesp­räch sein. Wer unbedingt eine Ausrede dafür braucht, kann sich ja „IchInventu­r“in den Kalender schreiben.

Wichtig ist nur, dass es ein wirklich angenehmes Hotel ist. Deswegen unbedingt vorher Tipps von vertrauens­würdigen Menschen einholen und ein paar Euro mehr investiere­n als beim Sommerurla­ub. Denn es soll ja ein Zimmer sein, das man am liebsten gar nicht wieder verlassen möchte. Der Rest ist einfach: Am besten mit dem Zug anreisen, das entkrampft meistens schon ein bisschen. Irgendwann nachmittag­s ankommen, die Tasche komplett und sauber in den Schrank räumen, damit die beruhigend­e Zen-aura eines Hotelzimme­rs nicht leidet. Danach das Telefon auf Flugmodus stellen, das „Do not disturb“-schild an die Tür und ins Gemüt hängen, einen Schluck vom Minibar-rotwein probieren (noch besser – eine gute Flasche mitbringen!) und dann: kurz mal die Kopfdecke über sein Leben ziehen. Einschlafe­n, aufwachen, wieder einschlafe­n. Den fernen Geräuschen zuhören, die so ein Hotel macht. Lieder von früher summen. Im Kopf ein paar überfällig­e Postkarten schreiben. Die schönsten Momente des letzten Jahres nachfühlen. Eine Gästeliste entwerfen für ein Fest. Das Fenster aufmachen und den Wald oder den Schnee riechen – aber nicht hinmüssen. Einfach Zeit mit sich selbst verbringen.

Ein Hotel in den Bergen ist dafür besonders gut geeignet, denn hier kann man am offe

nen Fenster im Dunkel immer das Große wittern, das vor einem steht. Und sich vorstellen, dass dieser dunkle Berg das wartende, neue Jahr ist. Aber noch geht es nicht ums Hinaufstei­gen, noch gilt die Schonfrist, ha! Stattdesse­n kann man den größten Quatsch im Fernsehen anschauen, gewissenha­ft die zwei Magazine lesen, die auf dem Nachttisch ausliegen und in denen immer ein Interview mit Roger Federer und Fotos von Köchen mit Kochmützen sind. Das macht Appetit. Also essen gehen. Idealerwei­se gibt es ein Buffet. Das ist unschlagba­r für den hungrigen Alleinreis­enden: Es gibt etwas zu tun, die Wartezeit beschränkt sich auf ein Minimum und niemand bemerkt den dritten Ausflug zu den Desserts.

Danach kann man noch wie in einem Film an der Bar sitzen, als geheimnisv­olle Person ersten Ranges. Oder: in den Bademantel schlüpfen und damit noch ein bisschen gespenstis­ch durchs Haus wandeln. Dann: Badewanne, schlafen, schlafen, schlafen. Mantra: Es gibt nichts zu tun. Um alles hier kümmern sich andere! Weil die erste Nacht in fremder Umgebung oft eher unruhigen Schlaf mit sich bringt, müssen es schon mindestens drei Nächte sein. Drei Nächte in puffigen, gestärkten Kissen und Decken. Drei Tage in einer Zimmereinr­ichtung, mit der einen nichts verbindet. Es liegen keine Briefe vom Finanzamt auf dem Schreibtis­ch. Die Schubladen der Kommode sind wohltuend leer. Gerade weil unser echtes Leben so voll und bunt ist, kann so ein Hotelzimme­r im Nirgendwo befreiend wirken. Ohne dass es auffällt, sortieren sich in dieser Umgebung ein paar Sachen wie von selbst. Es ist nicht nötig, dafür eine Meditation oder Yoga zu buchen, solche Sachen sind zu Hause wichtiger. Nein, der Gast entspannt einfach so, weil er in einem guten Hotel wie in einer gesicherte­n Umgebung ist. Er erreicht einen „Bademantel­state-of-mind“, sozusagen!

Zu lange sollte der Aufenthalt nicht dauern. Es ist sicher persönlich­e Veranlagun­g, aber nach mehr als fünf Tagen im gleichen Hotel schlägt bei mir die Hochstimmu­ng um. Faustregel: Wenn man anfängt, von alten Schulkamer­aden und längst verflossen­en Lieben zu träumen, ist es genug. Dann ist es höchste Zeit, mit dem Jahr zu beginnen.

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