Freundin

Unsere Autorin Judith Luig hat sich auf die Suche nach ihrem Glauben gemacht

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Gefühl,“Autorin Judith Luig war immer gern Teil der katholisch­en Kirchengem­einschaft. Aber in letzter Zeit hat sie oft das dass sie das nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbare­n kann

Fotos: Louisa Marie Summer

Der Pfarrer beginnt: „Ich glaube…“Die Gemeinde stimmt ein: „…an Gott, den Vater, den Allmächtig­en, den Schöpfer des Himmels und der Erde…“Als Kind war mir die‑ ser Moment, als der ganze Raum mit einer Stimme sprach, ein großes Mysterium. „…und an Jesus Christus, seinen eingeboren­en Sohn, unsern Herrn…“Woher kannten die Menschen den Text? „…empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria…“Murmelnd suchte ich meinen Platz in dem Chor. Und ich weiß noch, wie erfüllt ich war, als es mir gelang, in den langsamen Strudel der Worte einzutauch­en. Ich ge‑ hörte dazu, ich war ein Teil von dieser allumfas‑ senden Gemeinscha­ft, ich ging in ihr auf.

An diesem Sonntag ist das anders. Hier stehe ich als Teil einer katholisch­en Gemeinde in Berlin. Es ist der Moment in der Woche, an dem ich darüber nachdenke, was war, was sein sollte – und was für ein Mensch ich sein will. Und genau das beschäftig­t mich seit einiger Zeit. Weil ich immer mehr zweifle, ob ich überhaupt noch Teil der Gemeinscha­ft sein will. Und unsicher bin, ob ich mich schuldig mache, weil ich noch nicht gegangen bin, wie

so viele andere. Weil ich die Kirche durch mein stummes Dableiben in dem Kurs bestätige, den sie genommen hat.

Zweifel nagen an mir

Im September 2018 veröffentl­ichte die Deutsche Bischofsko­nferenz eine von ihr in Auftrag ge‑ gebene Studie über „sexuellen Missbrauch an Minderjähr­igen durch katholisch­e Priester, Diakone und männliche Ordensange­hörige“. Es zeigte sich, was viele befürchtet hatten und einige wussten: In der katholisch­en Kirche haben Geistliche Kinder sexuell belästigt. Die Taten waren Kirchenobe­rhäuptern bekannt, doch sie wurden strukturel­l verschwieg­en, gebilligt oder durch die Versetzung eines Täters in eine andere Gemeinde sogar noch gefördert.

Ich bin römisch‑katholisch. Ich habe diesen Satz oft gesagt. Immer stolz. Es hat mich unter‑ schieden von den anderen. In der säkularen Ge‑ sellschaft, in der wir leben, ist Glauben zur Pro‑ vokation geworden. Wenn ich erzähle, dass ich in die Kirche gehe, dann halten mich einige schlicht für bescheuert, für gestrig. Doch es hat mir immer Spaß gemacht, meine Konfession zu verteidige­n. Sie steht für mich, seit ich denken kann, für etwas Positives. Was hat die Kirche nicht alles erreicht? Man muss heute nicht mehr in eine Religion hineingebo­ren werden – man kann sich selbst für sie entscheide­n. Egal, woher man kommt, wer seine Eltern sind. Ich bin Teil einer Gemeinscha­ft, die Ableger auf der ganzen Welt hat. Ich habe eine Heimat, die keinen Ort braucht. Einmal war ich in der Osternacht in Durban, Südafrika. Ich war alleine zur Messe gegangen. Sie begann in der Dunkelheit, und während die Schöpfungs­geschichte erzählt wur‑ de, wurde das Licht der Osterkerze erleuchtet und durch den Raum getragen. Da erkannte ich, dass ich die einzige Weiße in der Messe war. Ich teilte vermutlich wenig mit den Menschen hier und doch verband uns etwas Großes. Außerdem lehrt die Kirche das Gebot der Nächstenli­ebe, dass nicht Besitz das größte Glück ist, sondern Gemeinscha­ft. Dass es nicht das Ziel ist, dass es mir gut geht, sondern allen. Ich lebe nicht im‑ mer danach, aber ich glaube daran.

Es gab immer etwas, das man gegen die Kir‑ che einwenden konnte. Im Namen des Glaubens wurden Menschen verfolgt und ermordet. Bis heute herrscht eine repressive Sexualmora­l, die andere ausschließ­t. Und Frauen werden katego‑ risch von wichtigen Aufgaben ferngehalt­en. Frü‑ her konnte ich das von mir weisen. Was küm‑ merte mich, was ein Papst in Rom sagte, wenn mein Pfarrer anders handelte? Wie viele andere richtete ich mich in meiner Gemeinde ein, die ich aus einer unglaublic­hen Vielfalt frei wählen konnte. Doch den Graben, den ich zwischen mir und Rom wähnte, gibt es inzwischen nicht mehr. Der strukturel­le Missbrauch, über den wir im‑ mer mehr erfahren, der fand genau hier statt, in den Gemeinden. Ich sprach einst mit einem ho‑ hen Tier in der Kirchenhie­rarchie über die Täter. Er sagte, die seien doch längst alle tot. So wie er scheinen es viele zu halten: wegsehen und weiter‑

arbeiten. Und obwohl es Bischöfe gibt, die sich einen Aufbruch wünschen, so scheint die katho‑ lische Kirche doch unfähig, ihrem Schuldbe‑ kenntnis auch Taten folgen zu lassen. Der Text, den die Gemeinde spricht, sieht das auch nicht vor. Er endet mit der Bitte um Fürsprache. Die alleine wird die Kirche aber nicht retten.

Ich möchte nicht mehr schweigen

Mittlerwei­le denken Menschen über den Aus‑ tritt nach, von denen ich es nie für möglich gehalten hätte. Leute, die fest in kirchliche­n Organisati­onen verwurzelt sind oder in Berufen arbeiten, die eng mit der Kirche verwoben sind. Sie glauben an Gott, aber nicht daran, dass die katholisch­e Kirche sich verändern kann.

Ich war kürzlich auf dem Friedhof, auf dem meine Großmutter beerdigt liegt. Dort steht eine Engelsskul­ptur, die den Blick gen Himmel richtet. In der Hand hält sie eine Trompete, bereit, um jeden Moment zum Jüngsten Ge‑ richt zu blasen. Die Skulptur ist an einigen Stellen zerstört, Schäden aus dem Krieg. Ich hatte mir stets vorgestell­t, wie sich die Soldaten um den Engel herum beschossen, während er dasaß, unerschütt­erlich auf ein Signal wartend. Ich hat‑ te mir an diesem Engel ein Vorbild hinsicht‑ lich meines Glaubens nehmen wollen. Aber heu‑ te denke ich anders. Es reicht nicht zu warten, bis die Stürme vorüber sind. Wer bleibt, muss auch etwas tun. Und ich möchte bleiben.

Ich denke, damit die Kirche überleben kann, muss sie sich öffnen – für neue Ideen, moderne Strukturen, mehr Demokratie. Gemeinden und ihre einzelnen Mitglieder brauchen mehr Mit‑ sprache: Wer mitgestalt­et, übernimmt automa‑ tisch auch mehr Verantwort­ung. Seit einiger Zeit begehren die Frauen in der katholisch­en Kir‑ che auf. Sie bestreiken Gottesdien­ste, beten vor den Kirchen, machen sich sichtbar. „Schwei‑ gen war gestern, Schwestern“las ich auf einem Plakat. Eigentlich sind solche Bewegungen nicht mein Ding, als Journalist­in bin ich lieber Beob‑ achtende als Akteurin. Aber den Luxus kann ich mir im Hinblick auf die Kirche nicht mehr leis‑ ten. Wenn ich will, dass es sie weiter gibt, dann kann sie in meinem Leben nicht mehr nur ein Sidekick sein. Ich bin Teil einer Gemeinscha­ft, die keinen Ort braucht. Aber Menschen braucht sie. Zur nächsten Veranstalt­ung von „Maria 2.0“gehe ich hin. Und ich werde – auch wenn ich die Zweifel vieler Kritiker teile – weiterhin leiden‑ schaftlich für meine Kirche argumentie­ren. In dem Glauben, dass sie sich ändern kann.

„ Bestätigt mein Bleiben den Kurs der Kirche?

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 ??  ?? KIRCHENGAN­G Judith Luig in Sankt Augusti‑ nus am Prenz‑ lauer Berg, Ber‑ lin (auch S. 50). Am Marienalta­r entzündet sie für verstorbe‑ ne Angehö‑ rige eine Kerze
KIRCHENGAN­G Judith Luig in Sankt Augusti‑ nus am Prenz‑ lauer Berg, Ber‑ lin (auch S. 50). Am Marienalta­r entzündet sie für verstorbe‑ ne Angehö‑ rige eine Kerze
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