SIND GEMEINSAM WIR STARK
Wir finden: Mit guten Freundinnen an der Seite ist alles besser. Gerade heute, in einer Zeit voller Unbeständigkeiten. Aber was macht eine Freundschaft aus – und wie können wir uns gegenseitig noch besser unterstützen?
DDu hast mir beigebracht, zu weinen und weich zu sein.(…)kennst keinen Neid, keine Rache, keinen Hass.(…) Ich liebe dich.“Das schrieb die Auto‑ rin Charlotte Roche auf Instagram, unter einem Foto von sich und Sänge‑ rin Lena Meyer‑landrut. Die beiden sind beste Freundinnen. Lenas Ant‑ wort folgte sofort: „Das finde ich das Coolste an dir: Dass dir alles egal ist. (…) Ich bin richtig mutig durch dich geworden.“
Freundinnen lernen voneinander, beflügeln sich. Helfen einander, mutiger zu sein oder sich von ihrer weicheren Seite zu zeigen. Sie leihen sich die Lieblingsclutch für Dates, beruhigen vor einem wichtigen Job‑ gespräch, trösten bei Beziehungs‑ krisen, diskutieren zum 100. Mal die Psyche der Männer, bauen zusammen Ikea‑schränke auf und whatsappen sich Faultier‑videos zum guten Wochenstart.
Freunde geben Sicherheit
„Wir erleben seit ungefähr 20 Jahren eine zunehmende Bedeutung von Freundschaft“, sagt der Berliner Diplom‑psychologe Wolfgang Krüger, Autor des Buchs „Freundschaft: beginnen – verbessern – gestalten“.
Das liegt zum einen an Nachrichten über Wirtschaftskrisen, Klimawandel oder Coronavirus, die allgegenwärtig sind und uns auf unterschiedlichsten Kanälen erreichen. Sie lassen Men‑ schen immer mehr die Sicherheit im Privaten suchen. Aber: Auch dort gibt es immer mehr Konflikte, die offen ausgetragen werden. Die Fami‑ lie ist nicht nur an Weihnachten schwierig. Es wird mehr angesprochen und reflektiert als noch vor 20 Jah‑ ren, das führt zu mehr Streitigkeiten.
Auch Partnerschaften verändern sich, sind unbeständiger. „Die Bin‑ dungsrate ist in den letzten 20 Jah‑ ren gleich geblieben, aber die Art der Bindung hat sich geändert“, sagt Krüger. „Immer mehr Paare leben nicht in einer Wohnung, nicht mal in der gleichen Stadt, heiraten nicht. Gleichzeitig suchen wir nach Bezie‑ hungen, die verlässlich sind.“Und genau das bieten heute Freundschaf‑ ten. Gerade Frauen führen häufig emotionalere Beziehungen mit Freun‑ dinnen als Männer. Psychologen sprechen von „Face to face“‑freund‑ schaften bei Frauen im Gegensatz zu „Side by side“‑freundschaften bei Männern. Freundinnen wollen Nähe und Wärme spüren, mal schwach, mal stark sein dürfen und sich aufei‑ nander verlassen können, in guten und schlechten Tagen.
Vielleicht ist das der Grund, warum Frauen heute nicht mehr nur Liebes‑ briefe schreiben, sondern auch Freundschaftsbriefe wie Charlotte und Lena auf Instagram. Freund‑ schaften sind intimer geworden. „80 Prozent der Frauen sagen, sie können sich mit ihrer Freundin bes‑ ser unterhalten als mit ihrem Mann“, sagt Psychologe Krüger. „70 Prozent aller Frauen unterhalten sich mit der besten Freundin über ihre Ehe, 50 Prozent über Sexualität, 30 Pro‑ zent über Geld. Das war in den 70ern undenkbar.“Denn früher waren Familie und Partnerschaft abgezirkel‑ te Bereiche, aus denen nichts nach draußen drang.
Freundinnen sind das soziale Dorf, das Frauen brauchen
Denn gemeinsam ist man stärker als alleine. Die meisten Frauen haben ein Netzwerk aus verschieden inten‑ siven Bindungen zu anderen Frauen. Da sind zum einen die Bekannten: Mädels aus der Yogaklasse, die Nach‑ barinnen, die Kita‑mamas. Man trifft sie gerne auf einen Kaffee und kann sich jederzeit um Hilfe bitten: wenn man sich dringend eine
80% der Frauen unterhalten sich Freundin mit ihrer besser als mit ihrem Partner Herzensfreundschaften halten im Schnitt 30 Jahre mehr als
Heißklebepistole leihen muss, krank im Bett liegt und etwas von der Apotheke braucht oder das Kind für eine Stunde betreut wissen muss.
Dann gibt es die „Durchschnittsfreundinnen“, wie Wolfgang Krüger sie nennt. „Sie erzählen sich vieles, aber nicht alles. Trotzdem sind sie so vertraut, dass sie einander zum Geburtstag einladen.“Durch die größere Emotionalität sind diese Freundschaften krisenanfälliger, vor allem im Alter zwischen 30 und 40. „Innerhalb von sieben Jahren scheitern 50 Prozent dieser Durchschnittsfreundschaften an Umzügen, Lebensveränderungen wie Kind oder Karriereaufstieg. Die Gründe sind vielfältig“, sagt Psychologe Krüger. „Frauen in meiner Praxis sagen mir immer, dass eine größere Sachlichkeit von Männerfreundschaften da guttäte. Aber Frauenfreundschaften sind nicht sachlich, sie sind emotional.“
Neid? Streit? Nicht mit der einen. Der engsten Vertrauten. Zwei Drittel aller deutschen Frauen haben mindestens eine beste Freundin. Die, zu der man fährt, wenn man sich ausheulen muss. Die man als Erstes anruft, wenn es etwas zu feiern gibt. „Diese sogenannte Herzensfreundschaft definiert sich über eine große emotionale Innigkeit“, sagt Krüger. „Sie dauert durchschnittlich mehr als 30 Jahre und überlebt große Distanzen. Hier ist es egal, ob Kinder dazukommen oder die eine Karriere macht und die andere nicht.“Herzensfreundinnen gönnen einander alles. Deshalb sind sie schwer zu finden. Krüger: „Würde man drei Jahre lang jedes Jahr mindestens zehn neue Menschen kennenlernen, wäre nur mit Glück die eine dabei.“Denn bei Herzensfreundschaften sind wir unendlich wählerisch. „Mehr als bei der Suche nach einem Partner“, so der Psychologe. Während in der Liebe zu einem Mann die Erotik eine Rolle spielt und aufgrund von Hormonen auch irrational entschieden wird, achten Frauen bei der Suche nach einer Freundin vor allem auf gemeinsame Werte. „Die Vorstellungen von Nähe müssen passen, von Humor“, so Krüger. Die Freundin muss das Innerste, Tiefste verstehen. Dann macht sie das Leben der anderen besser. Und die ihres.
Freundinnen tun uns gut – sogar gesundheitlich
Freunde verringern das Risiko für Herz-kreislauf-erkrankungen und Depressionen. Mit ihnen an unserer Seite schütten wir weniger Stresshormone aus, spüren weniger Schmerz. „Viele internationale Studien zeigen, dass durch gute Freunde unser Selbstwertgefühl stabiler ist, wir länger leben und glücklicher sind“, sagt Wolfgang Krüger.
Doch: Laut einer Yougov-studie von 2019 haben nur 40 Prozent der Deutschen ein bis zwei enge Freunde, elf Prozent gar keine. An den Gelegenheiten, eine Freundin zu finden, mangelt es eigentlich nicht. Neben Job, Hobbys oder Spielplatz bieten auch Medien wie Facebook-gruppen Möglichkeiten zum Kennenlernen. „Aber die Deutschen tun sich nicht leicht damit, auf Fremde zuzugehen. Es fehlt an Selbstvertrauen“, sagt Krüger. Zweifel, etwa, dass man sich aufdränge oder der andere eh keine Zeit habe, hielten die meisten davon ab, neue Kontakte zu knüpfen. „Ich arbeite mit vielen meiner Patientinnen daran, ihre Sicht darauf zu ändern. Dass sie ein Geschenk für jemand anderen sind, weil man sich auf sie verlassen kann, weil sie gut zuhören können. Wenn sie das verinnerlicht haben und akzeptieren, dass selbst eine Absage nicht das Ende der Welt bedeutet, haben sie die richtige Unbekümmertheit. Wie Kinder, die fragen: ‚Magst du mit mir spielen?‘“