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Nie wieder Diät Warum ständiges Abnehmen Körper und Seele schadet und wie man ein gesundes Verhältnis zu seinem Körper aufbaut

Sich jahrelang wegen der Figur das Essen verkneifen? Keine gute Idee. Der permanente Verzicht schadet Körper und Seele. Besser ist es, ein gesundes Verhältnis zum Körper aufzubauen. Nur, wie kann das gelingen?

- Text: Barbara Sonnentag

Während die einen genussvoll Sahne zum Erdbeerkuc­hen essen können, verkneifen sich andere aus Sorge um das Gewicht jedes Stück Schokolade. Das Abnehmen, oder Nicht-zunehmen, begleitet jede Entscheidu­ng darüber, was gegessen wird, und ist so prägend im alltäglich­en Leben. Einzelfäll­e? Keineswegs. Wie sehr die Gedanken vieler Menschen um das Thema Gewicht kreisen, zeigen nicht zuletzt diese Zahlen: Als das Marktforsc­hungsinsti­tut appinio letztes Jahr wissen wollte, ob jemand abnehmen möchte, sagten 71 Prozent der Frauen und 48 Prozent der Männer „Ja“. Aber hat uns Figurbeses­senheit jemals glückliche­r gemacht? Nein! „Ich habe in 20 Jahren Tätigkeit als BodyMind-trainerin noch nie beobachtet, dass Frauen, die rapide Gewichtsve­rluste erzielten, langfristi­g zufriedene­r wurden. Meist beobachte ich eher das Gegenteil“, sagt Katrin Jonas aus London, die Frauen hilft, sich mit dem eigenen Körper zu versöhnen.

„Body Positivity“heißt das Schlagwort der Stunde

Das Bedürfnis nach einem entspannte­ren Umgang mit der Figur ist groß – das zeigt auch die „Body Positivity“Bewegung. Die Aktivistin­nen machen sich zusammen mit prominente­n Vorbildern wie Selena Gomez oder Lena Dunham dafür stark, dass auch üppigere Körper schön sind. „Mittlerwei­le zeigen Millionen runder Frauen unter den Hashtags #bodypositi­vity und #bopo ihren Körper. Und auf #wokeuplike-this erscheinen unzählige Fotos, auf denen sich Menschen ganz natürlich und unbearbeit­et zeigen“, sagt Trendforsc­herin Orkide Daniel aus Berlin. Der „Body Neutrality“-bewegung, die seit Ende letzten Jahres immer mehr Anhänger findet, geht das aber noch nicht weit genug: „Sie verwehrt sich komplett dem Zurschaust­ellen des Körpers und setzt nur noch auf die inneren Werte: Du bist, wer du bist, und nicht, wie du aussiehst. Jeder soll so sein, wie er sich wohlfühlt“, sagt die Trendforsc­herin. Eine der ersten Kämpferinn­en für Body Neutrality auf Instagram war die britische Fernsehmod­eratorin Jameela Jamil. Sie weiß, wovon sie spricht: Aufgrund des gesellscha­ftlichen Drucks rutschte sie in eine Essstö

rung und aß viel zu wenig. Bis heute sind ihr Herz und ihre Nieren geschädigt, die Knochen brüchig, wie sie selbst offen zugibt. Und damit ist sie nicht alleine: Der jahrelange Kalorienve­rzicht hat viele Körper und Seelen ganz schön zugerichte­t.

Der ganze Organismus wird leichter krank

Um Missverstä­ndnissen vorzubeuge­n: Nicht bei jedem sehr schlanken Körper kommt es zu gesundheit­lichen Problemen und nicht alle Schlanken essen unbedingt wenig. „Wenn jemand aber weniger als 1000 Kalorien am Tag zu sich nimmt, ist die Versorgung mit lebenswich­tigen Nährstoffe­n nicht mehr gewährleis­tet“, erklärt Ernährungs­mediziner Dr. Matthias Riedl vom medicum Hamburg und Autor von „Iss dich gesund“. Man braucht kein Experte zu sein, um sich auszumalen, dass das langfristi­g Folgen für den ganzen Körper hat: Wem etwa Zink und Vitamin C fehlen, wird infektanfä­lliger; bei Kalium- und Magnesiumm­angel kommt das Herz aus dem Rhythmus und bei einem Kalziumdef­izit werden die Knochen brüchiger. Ärzte schlagen bereits Alarm, dass aufgrund extremer Diäten immer mehr junge Frauen an Osteoporos­e leiden. Dass teilweise bei der Geburt ihrer Kinder ihr Becken bricht – bislang trat der Knochensch­wund vor allem jenseits der Menopause auf. Denn normalerwe­ise baut der Körper bis zum 30. Lebensjahr mit viel Kalzium (und unterstütz­ender Bewegung) Knochenmas­se auf, danach sinkt sie ganz natürlich. Wenn Menschen in den ersten Lebensjahr­zehnten aber zu wenig Kalzium aufnehmen, wird die kritische Schwelle früher erreicht und die Knochen brechen eher.

Dazu kommen die Auswirkung­en, die eine Mangelernä­hrung auf den ganzen Hormonhaus­halt hat: Die Libido lässt nach, der Zyklus wird unregelmäß­iger und bleibt irgendwann ganz aus. Damit schützt sich der Körper vor einer möglichen Schwangers­chaft. Wenn er schon zu schwach ist, um richtig für sich selbst zu sorgen, kann er nicht noch Verantwort­ung für ein Baby übernehmen. Die Fruchtbark­eit kehrt mit einer steigenden Kalorienza­hl zwar wieder zurück, aber das kann bis zu fünf Jahre dauern.

Wer zu wenig isst, kann sogar aggressiv werden

Und die Psyche? Die ist bei zu wenig Kalorien am Tag auch instabil. Das wird jeder bestätigen, der schon mal schnell viel abnehmen wollte. „Weil der Kreislauf schwächelt, wird man müde und antriebslo­s, man kann sich nicht richtig konzentrie­ren, leidet unter regelrecht­en Stimmungss­chwankunge­n und wird manchmal sogar aggressiv“, weiß Dr. Riedl. Eine kurze Zeit hält das jeder mal durch, langfristi­g können dadurch aber Kopfschmer­zen, Schlafprob­leme und regelrecht­e Depression­en entstehen. „Ein rigides Essverhalt­en mit auferlegte­n Verboten führt auf Dauer nämlich zu einer starken psychische­n Belastung“, sagt der Ernährungs­mediziner. „Je mehr man sich

Weil der Kreislauf schwächelt, wird man müde und antriebslo­s

Je mehr man sich bestimmte Lebensmitt­el verbietet, desto präsenter werden sie

bestimmte Lebensmitt­el verbietet, desto präsenter werden sie. Und man entwickelt einen Heißhunger darauf.“Gibt man dem nach, meldet sich prompt das schlechte Gewissen, wodurch die mentale Belastung noch mal steigt. Schnell kommt man dann in die „Jetzt ist auch schon alles egal“laune und schlägt richtig zu. Was folgt: der Jojoeffekt, eine neue Diät und so weiter. Es ist kein Zufall, dass nur 30 Prozent der Menschen, die mit ihrem Gewicht unzufriede­n sind, noch nie eine Diät gemacht haben. Und dass umgekehrt 69 Prozent derjenigen, die mit ihrer Figur im Reinen sind, noch nie eine ausprobier­t haben.

Der Stoffwechs­el verlangsam­t sich

Extreme Diäten schaden schneller der Linie, als man denkt. „Wenn der Körper mit weniger Energie auskommen muss, sucht er nach Möglichkei­ten, wo er sie einsparen kann. Als Erstes baut er die Muskeln ab, die auch im Ruhezustan­d Energie verbrauche­n“, erklärt Dr. Riedl. „Verstärkt wird der Prozess noch dadurch, dass die meisten Menschen bei Diäten zu wenig Eiweiß essen. Der Körper zieht es dann aus den Muskelfase­rn, die daraus bestehen.“

Die Folge: Der Stoffwechs­el erlahmt immer stärker, man kann immer weniger essen, ohne wieder zuzunehmen. Viele haben so nach langen Diäten Probleme, das Gewicht zu halten (siehe rechts). Das Nervensyst­em torpediert das Gewichthal­ten zusätzlich: „Es wacht über unser inneres Gleichgewi­cht. Wenn ihm durch eine Crashdiät Nährstoffe entzogen werden, reagiert es und wehrt sich: Der Körper speichert dann, so viel er kann, um für die Zukunft vorzusorge­n“, erklärt Bodymindtr­ainerin Katrin Jonas. „Das ist eine gesunde Reaktion. Je gesünder Sie sind, desto stärker wird der Körper nach extremen Diäten rebelliere­n.“

Was man tun kann, wenn man dem Kreislauf der Dauerdiäte­n entkommen will, ohne sofort wieder zu

zunehmen? Den Stoffwechs­el aktivieren! „Das gelingt, indem man zwei-, dreimal die Woche ein Muskelaufb­autraining macht und genügend Eiweiß isst“, weiß Ernährungs­mediziner Dr. Matthias Riedl. Pro Kilo Körpergewi­cht braucht eine erwachsene Frau täglichhom­ö0op,a8th–is1che,2einzgelmr­iatteml m Eiweiß. Bei 60 Kilo Körpergewi­cht entspricht die Menge einem 200 Gramm schweren Lachsfilet, 400 Gramm Brokkoli und einem kleinen Becher Naturjoghu­rt; oder 400 Gramm Linsen, einer Handvoll Nüssen und einem Glas Milch. „Zudem sollte man nach einer Diät auf eine kohlenhydr­atarme Ernährung achten, die die Fettverbre­nnung fördert“, rät der Experte.

Leichtes Übergewich­t ist am gesündeste­n

Am besten kommt man aber gar nicht erst in den Hungerstof­fwechsel. Wozu auch? Ein leichtes Übergewich­t ist ohnehin am gesündeste­n, fand die Hamburger Gesundheit­swissensch­aftlerin Prof. Ingrid Mühlhauser nach der Analyse von 42 Studien heraus. Menschen mit einem Bodymass-index von 25 bis 29,9 werden älter und sind seltener krank als dünnere. Bei zu viel Fettgewebe am Bauch müsse man aber aufpassen, warnt Dr. Riedl: „Es fördert krank machende Hormone. Wenn der Bauch an seiner dicksten Stelle bei Frauen mehr als 88 und bei Männern mehr als 102 Zentimeter misst, sollte man aus gesundheit­licher Sicht etwas

dagegen tun. Sonst steigt zum Beispiel das Risiko für Bluthochdr­uck und Diabetes.“Body-mind-trainerin Katrin Jonas will am liebsten gar nichts von Zahlen hören: „Das Einzige, was zählt, ist, dass sich eine Frau in ihrem Körper wohlfühlt. Jeder hat eine andere Körperstru­ktur, anderes Gewebe und andere Knochen, pauschale Vorgaben zum Gewicht werden dem nicht gerecht.“Während der Schreibpha­se zu ihrem Buch („nackt. Das Körper-versöhnbuc­h für Frauen“) ließ die Expertin 119 Frauen den Nacktspieg­eltest (siehe oben) machen: 84 Prozent davon beurteilte­n ihren Körper kritisch, ablehnend. Fünf Prozent fanden ihn okay und nur elf Prozent äußerten sich positiv über ihren Körper. Wie auch, wenn einem jahrzehnte­lang suggeriert wurde, dass ein makelloser Körper erstrebens­wert sei? Oder wenn man wegen seiner Rundungen immer geneckt wurde? „Natürlich kann man sich nicht von heute auf morgen mit seinem Körper aussöhnen“, sagt Katrin Jonas. „Das geht auch nicht alleine durch eine andere Denkweise.

Das funktionie­rt nur, wenn man die Beziehung zu seinem Körper verbessert und ihm mehr Aufmerksam­keit schenkt. Das bestätigt auch eine Untersuchu­ng der britischen Angliarusk­in-universitä­t: Je mehr die Studientei­lnehmer die Aufmerksam­keit in das Innere ihres Körpers lenkten und auf Signale wie Herzschlag oder Hunger hörten, desto positiver war das eigene Körperbild. Damit es sich verbessert, schlägt die Expertin konkrete Übungen (siehe Kasten oben) vor. „Als Erstes sollte man den Blick auf den Körper ändern, ihn als Freundin betrachten. Allein dieser Fokuswechs­el verändert sehr viel“, sagt Jonas. Dazu ist es wichtig, sich mit seinem Körper zu beschäftig­en: Fühlen Sie Ihre nackte Haut. Lauschen

Sie den Geräuschen des Körpers. Und hören Sie auf seine Bedürfniss­e. Bald spüren Sie ihn wieder besser und lernen, sorgsamer mit ihm umzugehen. Wer sich immer wieder Zeit für seinen Körper nimmt, wird freier von gesellscha­ftlichen Normen und sieht statt Problemzon­en auf einmal die Körperteil­e, die schon immer besonders schön waren. Sie sollte man dann betonen, um sich noch wohler zu fühlen. Zu enge Kleidung? Hat im Kleidersch­rank nichts mehr zu suchen. „Viele Frauen fühlen sich nur dick, weil sie sich in zu kleine Kleider zwängen“, weiß Expertin Jonas. All jenen Menschen, die ständig nur vom Abnehmen reden, sollte man außerdem aus dem Weg gehen. Alleine dadurch kann sich schon ein positivere­s Körperbild entwickeln, ergab eine Studie der Universitä­t Waterloo. Katrin Jonas’ Appell zum Schluss: „Frauen, hört endlich auf, anderen gefallen zu wollen. Gefallt als Erstes euch selbst!“

Frauen, hört endlich auf, anderen gefallen zu wollen. Gefallt als Erstes euch selbst!

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Foto: Ashley Armitage
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