Nie wieder Diät Warum ständiges Abnehmen Körper und Seele schadet und wie man ein gesundes Verhältnis zu seinem Körper aufbaut
Sich jahrelang wegen der Figur das Essen verkneifen? Keine gute Idee. Der permanente Verzicht schadet Körper und Seele. Besser ist es, ein gesundes Verhältnis zum Körper aufzubauen. Nur, wie kann das gelingen?
Während die einen genussvoll Sahne zum Erdbeerkuchen essen können, verkneifen sich andere aus Sorge um das Gewicht jedes Stück Schokolade. Das Abnehmen, oder Nicht-zunehmen, begleitet jede Entscheidung darüber, was gegessen wird, und ist so prägend im alltäglichen Leben. Einzelfälle? Keineswegs. Wie sehr die Gedanken vieler Menschen um das Thema Gewicht kreisen, zeigen nicht zuletzt diese Zahlen: Als das Marktforschungsinstitut appinio letztes Jahr wissen wollte, ob jemand abnehmen möchte, sagten 71 Prozent der Frauen und 48 Prozent der Männer „Ja“. Aber hat uns Figurbesessenheit jemals glücklicher gemacht? Nein! „Ich habe in 20 Jahren Tätigkeit als BodyMind-trainerin noch nie beobachtet, dass Frauen, die rapide Gewichtsverluste erzielten, langfristig zufriedener wurden. Meist beobachte ich eher das Gegenteil“, sagt Katrin Jonas aus London, die Frauen hilft, sich mit dem eigenen Körper zu versöhnen.
„Body Positivity“heißt das Schlagwort der Stunde
Das Bedürfnis nach einem entspannteren Umgang mit der Figur ist groß – das zeigt auch die „Body Positivity“Bewegung. Die Aktivistinnen machen sich zusammen mit prominenten Vorbildern wie Selena Gomez oder Lena Dunham dafür stark, dass auch üppigere Körper schön sind. „Mittlerweile zeigen Millionen runder Frauen unter den Hashtags #bodypositivity und #bopo ihren Körper. Und auf #wokeuplike-this erscheinen unzählige Fotos, auf denen sich Menschen ganz natürlich und unbearbeitet zeigen“, sagt Trendforscherin Orkide Daniel aus Berlin. Der „Body Neutrality“-bewegung, die seit Ende letzten Jahres immer mehr Anhänger findet, geht das aber noch nicht weit genug: „Sie verwehrt sich komplett dem Zurschaustellen des Körpers und setzt nur noch auf die inneren Werte: Du bist, wer du bist, und nicht, wie du aussiehst. Jeder soll so sein, wie er sich wohlfühlt“, sagt die Trendforscherin. Eine der ersten Kämpferinnen für Body Neutrality auf Instagram war die britische Fernsehmoderatorin Jameela Jamil. Sie weiß, wovon sie spricht: Aufgrund des gesellschaftlichen Drucks rutschte sie in eine Essstö
rung und aß viel zu wenig. Bis heute sind ihr Herz und ihre Nieren geschädigt, die Knochen brüchig, wie sie selbst offen zugibt. Und damit ist sie nicht alleine: Der jahrelange Kalorienverzicht hat viele Körper und Seelen ganz schön zugerichtet.
Der ganze Organismus wird leichter krank
Um Missverständnissen vorzubeugen: Nicht bei jedem sehr schlanken Körper kommt es zu gesundheitlichen Problemen und nicht alle Schlanken essen unbedingt wenig. „Wenn jemand aber weniger als 1000 Kalorien am Tag zu sich nimmt, ist die Versorgung mit lebenswichtigen Nährstoffen nicht mehr gewährleistet“, erklärt Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl vom medicum Hamburg und Autor von „Iss dich gesund“. Man braucht kein Experte zu sein, um sich auszumalen, dass das langfristig Folgen für den ganzen Körper hat: Wem etwa Zink und Vitamin C fehlen, wird infektanfälliger; bei Kalium- und Magnesiummangel kommt das Herz aus dem Rhythmus und bei einem Kalziumdefizit werden die Knochen brüchiger. Ärzte schlagen bereits Alarm, dass aufgrund extremer Diäten immer mehr junge Frauen an Osteoporose leiden. Dass teilweise bei der Geburt ihrer Kinder ihr Becken bricht – bislang trat der Knochenschwund vor allem jenseits der Menopause auf. Denn normalerweise baut der Körper bis zum 30. Lebensjahr mit viel Kalzium (und unterstützender Bewegung) Knochenmasse auf, danach sinkt sie ganz natürlich. Wenn Menschen in den ersten Lebensjahrzehnten aber zu wenig Kalzium aufnehmen, wird die kritische Schwelle früher erreicht und die Knochen brechen eher.
Dazu kommen die Auswirkungen, die eine Mangelernährung auf den ganzen Hormonhaushalt hat: Die Libido lässt nach, der Zyklus wird unregelmäßiger und bleibt irgendwann ganz aus. Damit schützt sich der Körper vor einer möglichen Schwangerschaft. Wenn er schon zu schwach ist, um richtig für sich selbst zu sorgen, kann er nicht noch Verantwortung für ein Baby übernehmen. Die Fruchtbarkeit kehrt mit einer steigenden Kalorienzahl zwar wieder zurück, aber das kann bis zu fünf Jahre dauern.
Wer zu wenig isst, kann sogar aggressiv werden
Und die Psyche? Die ist bei zu wenig Kalorien am Tag auch instabil. Das wird jeder bestätigen, der schon mal schnell viel abnehmen wollte. „Weil der Kreislauf schwächelt, wird man müde und antriebslos, man kann sich nicht richtig konzentrieren, leidet unter regelrechten Stimmungsschwankungen und wird manchmal sogar aggressiv“, weiß Dr. Riedl. Eine kurze Zeit hält das jeder mal durch, langfristig können dadurch aber Kopfschmerzen, Schlafprobleme und regelrechte Depressionen entstehen. „Ein rigides Essverhalten mit auferlegten Verboten führt auf Dauer nämlich zu einer starken psychischen Belastung“, sagt der Ernährungsmediziner. „Je mehr man sich
Weil der Kreislauf schwächelt, wird man müde und antriebslos
Je mehr man sich bestimmte Lebensmittel verbietet, desto präsenter werden sie
bestimmte Lebensmittel verbietet, desto präsenter werden sie. Und man entwickelt einen Heißhunger darauf.“Gibt man dem nach, meldet sich prompt das schlechte Gewissen, wodurch die mentale Belastung noch mal steigt. Schnell kommt man dann in die „Jetzt ist auch schon alles egal“laune und schlägt richtig zu. Was folgt: der Jojoeffekt, eine neue Diät und so weiter. Es ist kein Zufall, dass nur 30 Prozent der Menschen, die mit ihrem Gewicht unzufrieden sind, noch nie eine Diät gemacht haben. Und dass umgekehrt 69 Prozent derjenigen, die mit ihrer Figur im Reinen sind, noch nie eine ausprobiert haben.
Der Stoffwechsel verlangsamt sich
Extreme Diäten schaden schneller der Linie, als man denkt. „Wenn der Körper mit weniger Energie auskommen muss, sucht er nach Möglichkeiten, wo er sie einsparen kann. Als Erstes baut er die Muskeln ab, die auch im Ruhezustand Energie verbrauchen“, erklärt Dr. Riedl. „Verstärkt wird der Prozess noch dadurch, dass die meisten Menschen bei Diäten zu wenig Eiweiß essen. Der Körper zieht es dann aus den Muskelfasern, die daraus bestehen.“
Die Folge: Der Stoffwechsel erlahmt immer stärker, man kann immer weniger essen, ohne wieder zuzunehmen. Viele haben so nach langen Diäten Probleme, das Gewicht zu halten (siehe rechts). Das Nervensystem torpediert das Gewichthalten zusätzlich: „Es wacht über unser inneres Gleichgewicht. Wenn ihm durch eine Crashdiät Nährstoffe entzogen werden, reagiert es und wehrt sich: Der Körper speichert dann, so viel er kann, um für die Zukunft vorzusorgen“, erklärt Bodymindtrainerin Katrin Jonas. „Das ist eine gesunde Reaktion. Je gesünder Sie sind, desto stärker wird der Körper nach extremen Diäten rebellieren.“
Was man tun kann, wenn man dem Kreislauf der Dauerdiäten entkommen will, ohne sofort wieder zu
zunehmen? Den Stoffwechsel aktivieren! „Das gelingt, indem man zwei-, dreimal die Woche ein Muskelaufbautraining macht und genügend Eiweiß isst“, weiß Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl. Pro Kilo Körpergewicht braucht eine erwachsene Frau täglichhomö0op,a8th–is1che,2einzgelmriatteml m Eiweiß. Bei 60 Kilo Körpergewicht entspricht die Menge einem 200 Gramm schweren Lachsfilet, 400 Gramm Brokkoli und einem kleinen Becher Naturjoghurt; oder 400 Gramm Linsen, einer Handvoll Nüssen und einem Glas Milch. „Zudem sollte man nach einer Diät auf eine kohlenhydratarme Ernährung achten, die die Fettverbrennung fördert“, rät der Experte.
Leichtes Übergewicht ist am gesündesten
Am besten kommt man aber gar nicht erst in den Hungerstoffwechsel. Wozu auch? Ein leichtes Übergewicht ist ohnehin am gesündesten, fand die Hamburger Gesundheitswissenschaftlerin Prof. Ingrid Mühlhauser nach der Analyse von 42 Studien heraus. Menschen mit einem Bodymass-index von 25 bis 29,9 werden älter und sind seltener krank als dünnere. Bei zu viel Fettgewebe am Bauch müsse man aber aufpassen, warnt Dr. Riedl: „Es fördert krank machende Hormone. Wenn der Bauch an seiner dicksten Stelle bei Frauen mehr als 88 und bei Männern mehr als 102 Zentimeter misst, sollte man aus gesundheitlicher Sicht etwas
dagegen tun. Sonst steigt zum Beispiel das Risiko für Bluthochdruck und Diabetes.“Body-mind-trainerin Katrin Jonas will am liebsten gar nichts von Zahlen hören: „Das Einzige, was zählt, ist, dass sich eine Frau in ihrem Körper wohlfühlt. Jeder hat eine andere Körperstruktur, anderes Gewebe und andere Knochen, pauschale Vorgaben zum Gewicht werden dem nicht gerecht.“Während der Schreibphase zu ihrem Buch („nackt. Das Körper-versöhnbuch für Frauen“) ließ die Expertin 119 Frauen den Nacktspiegeltest (siehe oben) machen: 84 Prozent davon beurteilten ihren Körper kritisch, ablehnend. Fünf Prozent fanden ihn okay und nur elf Prozent äußerten sich positiv über ihren Körper. Wie auch, wenn einem jahrzehntelang suggeriert wurde, dass ein makelloser Körper erstrebenswert sei? Oder wenn man wegen seiner Rundungen immer geneckt wurde? „Natürlich kann man sich nicht von heute auf morgen mit seinem Körper aussöhnen“, sagt Katrin Jonas. „Das geht auch nicht alleine durch eine andere Denkweise.
Das funktioniert nur, wenn man die Beziehung zu seinem Körper verbessert und ihm mehr Aufmerksamkeit schenkt. Das bestätigt auch eine Untersuchung der britischen Angliaruskin-universität: Je mehr die Studienteilnehmer die Aufmerksamkeit in das Innere ihres Körpers lenkten und auf Signale wie Herzschlag oder Hunger hörten, desto positiver war das eigene Körperbild. Damit es sich verbessert, schlägt die Expertin konkrete Übungen (siehe Kasten oben) vor. „Als Erstes sollte man den Blick auf den Körper ändern, ihn als Freundin betrachten. Allein dieser Fokuswechsel verändert sehr viel“, sagt Jonas. Dazu ist es wichtig, sich mit seinem Körper zu beschäftigen: Fühlen Sie Ihre nackte Haut. Lauschen
Sie den Geräuschen des Körpers. Und hören Sie auf seine Bedürfnisse. Bald spüren Sie ihn wieder besser und lernen, sorgsamer mit ihm umzugehen. Wer sich immer wieder Zeit für seinen Körper nimmt, wird freier von gesellschaftlichen Normen und sieht statt Problemzonen auf einmal die Körperteile, die schon immer besonders schön waren. Sie sollte man dann betonen, um sich noch wohler zu fühlen. Zu enge Kleidung? Hat im Kleiderschrank nichts mehr zu suchen. „Viele Frauen fühlen sich nur dick, weil sie sich in zu kleine Kleider zwängen“, weiß Expertin Jonas. All jenen Menschen, die ständig nur vom Abnehmen reden, sollte man außerdem aus dem Weg gehen. Alleine dadurch kann sich schon ein positiveres Körperbild entwickeln, ergab eine Studie der Universität Waterloo. Katrin Jonas’ Appell zum Schluss: „Frauen, hört endlich auf, anderen gefallen zu wollen. Gefallt als Erstes euch selbst!“
Frauen, hört endlich auf, anderen gefallen zu wollen. Gefallt als Erstes euch selbst!