HINTERGRUND DER GESCHICHTE
möchte sie das Risiko nicht eingehen und hat für sich ein komplettes Reanimationsverbot bestimmt. Das mag für Außenstehende kurz gedacht sein, doch Boguslawa nimmt ein Ende ihres Lebens konsequent an. Auch wenn sie mit der Kirche nichts anfangen kann, ist sie eine gläubige Frau. Sie sagt dazu: „Das richtige Leben findet woanders statt. Hier auf Erden sind wir nur zu Besuch.“
(K)eine Familiensache
gute Patientenverfügung bedarf weniger Kriterien, eine Vorlage sollte aber von offizieller Stelle, wie dem bayerischen Justizministerium, stammen. Zeugen braucht es beim Verfassen oder Unterschreiben zwar keine, doch Rechtsanwältin Unger rät dringend dazu, innerhalb der Familie das Gespräch zu suchen und den Angehörigen von der Patientenverfügung zu erzählen. Auch um Streitigkeiten zu vermeiden. Die meisten Auseinandersetzungen gibt es innerhalb der Familie aus emotionalen Gründen. „Vermittelt man rechtzeitig, was genau der eigene Wille ist, gibt das auch Familienangehörigen im Ernstfall Sicherheit“, weiß Rechtsanwältin Unger aus ihrer Praxis. „Gib es nichts Schriftliches, bedeutet das ein Stochern im Nebel, das im schlimmsten Fall auch vor Gericht landen kann. Dann wird in einem Prozess, durch Zeugen und Sachverständige, ermittelt, was für ein Mensch der Patient war und was er gewollt haben könnte.“Viele Rechtsstreitigkeiten könnten sich durch offene Kommunikation vermeiden lassen.
Davon ist auch Dr. Lena Wolff überzeugt, zu deren Alltag Patientenverfügungen gehören. Sie arbeitet als Internistin in der Notaufnahme eines Hamburger Krankenhauses. Sobald ein Patient in die Notaufnahme eingeliefert wird, beginnt sie mit der Versorgung und Reanimation. Während sie sich um den Patienten kümmert, bemühen sich ihre Kollegen um weitere Informationen. Bei Patienten aus Pflegeheimen wird häufig eine Patientenverfügung mitgeschickt oder es gibt die Notiz, dass es keine gibt. Dass viele Menschen sich zu wenig mit dem Thema Tod auseinandersetzen, erlebt die Ärztin täglich und würde sich mehr Aufklärung wünschen. „Wenn etwas natürlich ist, dann dass wir sterben müssen. Und es passiert häufig, dass ältere Patienten eingeliefert werden, die mir nicht mehr adäquat antworten können. Doch wenn ich mit der Familie telefoniere und nach dem Willen frage, sagen die Angehörigen, dass sie sich darüber keine Gedanken gemacht haben.“
Im persönlichen Gespräch mit Familien stößt die Ärztin immer wieder auf verhaltene Reaktionen oder gar Fehlinformationen. „Wenn ich nach lebenserhaltenden Maßnahmen frage, merke ich oft, dass nicht klar ist, dass ein hoher Prozentsatz von Patienten nie wieder von diesen Maßnahmen wegkommen wird. Viele sagen mir dann, dass sie das nicht für ihre Liebsten gewollt hatten“, sagt Dr. Wolff. Die Ärztin hat sich ihre eigene Patientenverfügung zum Geburtstag geschenkt. Einer Tätowierung, wie sie Boguslawa hat, ist sie bislang noch nicht begegnet. „Ich finde es schade, dass Menschen sich gezwungen sehen, ihren Wunsch auf die Brust stechen zu lassen, weil sie Sorge haben, dass sie sonst nicht gehört werden.“
Boguslawa Bornemann hat ihre Familie in ihre Wünsche eingeweiht. „Das war eher eine Ansage, weniger eine Diskussion“, erinnert sich die 52-Jährige. „Mein Sohn und meine Tochter wissen, dass ich eine resolute Frau bin und meine Entscheidung feststeht.“Beide haben die Verfügung gelesen, bevor Boguslawa sie bei ihrem Hausarzt hinterlegt hat – sie kennen auch das Tattoo. Für ihre Familie gibt es damit keine Unsicherheiten, sollte der Fall der Fälle eintreten. „Vor dem Tod habe ich keine Angst“, sagt Boguslawa. „Ich empfinde meine Patientenverfügung und mein Tattoo als große Erleichterung. Ich weiß, dass ich alles dafür getan habe, damit meine Wünsche respektiert werden.“Und sie einmal so selbstbestimmt sterben kann, wie sie auch gelebt hat.
Autorin Yvonne Dewerne stieß auf Facebook zufällig auf ein Foto von Bugoslawas Tätowierung, das ihr Tattoo-studio gepostet hatte. Noch auf dem Bahnsteig schrieb sie eine Mail mit der Bitte, die Dame kennenlernen zu dürfen. Nach vielen Gesprächen mit der 52-Jährigen hat die Autorin beschlossen, sich schnellstmöglich um ihre eigene Patientenverfügung zu kümmern.