Nicht reanimieren! Bitte!
Diese drei Wörter hat sich eine Frau auf ihre Brust tätowieren lassen. Das ist ihre Geschichte
denken, dass ich nebenan im Bett gestorben bin. Und ich will nicht wiederbelebt werden, möchte nicht an Maschinen hängen oder nur daliegen müssen. Wenn ich nicht mit meiner Familie sprechen oder mit ihr lachen könnte, dann wäre das kein Leben mehr für mich.“Die Entscheidung, nicht künstlich am Leben gehalten zu werden, hat Boguslawa schon vor langer Zeit gefällt. Damals fuhr das Paar noch viel Motorrad und wurde Zeuge eines schrecklichen Unfalls. „Uns selbst ist zum Glück nie etwas passiert, aber nachdem wir sahen, wie da ein Fahrer auf der Straße lag und versorgt werden musste, war meinem Mann und mir klar, dass wir vorsorgen müssen. Nicht nur mit einem Helm, sondern auch mit einer Patientenverfügung.“Boguslawa war damals 40 Jahre alt. Sie und ihr Mann unterschrieben eine Patientenverfügung und hinterlegten sie jeweils beim Notar und dem Hausarzt. Sieben Jahre später ließ sich Boguslawa ihren Wunsch zusätzlich auf die Brust tätowieren. „Ich habe die Hoffnung, dass der Arzt noch schneller prüft, ob es auch wirklich eine Patientenverfügung gibt. Ich möchte nicht, dass im Ernstfall Zeit verschwendet wird.“
Das regelt die Patientenverfügung
Es geht um ein mehrseitiges Dokument, das in Kraft tritt, wenn sich ein Mensch nicht mehr verständlich äußern oder einen Willen bilden kann. Der Sinn der Patientenverfügung ist es, für bestimmte Lebens- und
Boguslawa Bornemann möchte selbstbestimmt leben – und sterben. Ihre Tätowierung trägt sie mit Stolz
Behandlungssituationen medizinische Maßnahmen zu verbieten. Das kann sich auf maschinelle Beatmung, künstliche Ernährung oder eben Wiederbelebungsmaßnahmen beziehen. Boguslawa hat in ihrer Patientenverfügung alle lebensverlängernden Maßnahmen untersagt. Selbst eine Chemotherapie bei einer möglichen Krebserkrankung lehnt sie für sich ab.
Bei ihrer Arbeit fühlt sich Boguslawa Bornemann fast täglich in ihrer Entscheidung bestärkt. Die zweifache Mutter und Großmutter eines Enkels arbeitet in der Hauswirtschaft eines Altenheims. „Ich begegne dort vielen sehr gebrechlichen Menschen. Manche Patienten können nicht mal die Fliege, die auf ihrer Nase sitzt, vertreiben. Altern kann grausam sein“, sagt die 52Jährige nachdenklich. Während der Arbeit hat sie ihre Tätowierung bedeckt. „Ich weiß, dass es unsere Bewohner nervös machen würde. Nicht jeder setzt sich so bewusst mit dem Tod auseinander wie ich.“
Auch bei Ärzten stößt sie mit dem Körperschmuck selten auf Verständnis. Nur ein Mediziner hat sich bisher die Zeit genommen, ihre Beweggründe zu erfahren. Gesprächen darüber geht sie nie aus dem Weg. Bei einem ErsteHilfekurs sprach Boguslawa den Kursleiter auf seine Meinung an. „Er hielt mich für eine durchgeknallte Oma, die das Tattoo als Spinnerei hat machen lassen“, erinnert sie sich, „wichtig sei ihm, was er schwarz auf weiß hat.“
Unrecht hat er damit nicht, wie Fachanwältin Tanja Unger aus Mün
Vor fünf Jahren hat sich die 52-Jährige das Tattoo stechen lassen. Sie weiß, dass es eine Patientenverfügung nicht ersetzt, es soll lediglich als zusätzlicher Hinweis für Ärzte dienen chen bestätigt. Sie ist spezialisiert auf Medizinrecht und setzt für Mandanten, wenn es sein muss, das Sterben durch. „Ein Notarzt wird das Tattoo nicht als Verbot einer Reanimation anerkennen. Ein Arzt hat immer ein Strafbarkeitsrisiko. Wird die Patientin nicht reanimiert, steht unterlassene Hilfeleistung im Raum, man könnte sich sogar im Bereich der fahrlässigen Tötung bewegen. Doch wird die Patientin reanimiert, überlebt und sagt dann, dass die Reanimation gegen ihren Willen passierte, wäre das eine Körperverletzung.“Doch wer würde einen Arzt anzeigen, der einem das Leben rettet? Laien, die nicht beurteilen können, ob ein Tattoo auch eine Rechtsverbindlichkeit hat, müssen Erste Hilfe leisten und den Krankenwagen verständigen. Mit einem Tattoo oder Zettel im Portemonnaie, der eine Reanimation ablehnt, wird es kaum Rechtssicherheit geben. „Jeder Mensch hat einen Willen. Die Frage ist, wie komme ich an den ran?“, erklärt Rechtsanwältin Unger. Mit einer validen Patientenverfügung wird es leichter. Auch Boguslawa Bornemann ist sich bewusst, dass das Tattoo rechtlich keine Bindung hat. Sie empfindet es dennoch als Ausdruck ihres Willens, als eine Art doppelte Absicherung. Die Angst, doch künstlich am Leben gehalten zu werden, ist zu groß. „Meine Mutter starb an Krebs und hat sehr lange gelitten, das war schwer mitanzusehen“, sagt sie. „Für mich möchte ich das auf keinen Fall.“Das Tattoo soll ein Stoppschild für Ärzte sein, sich einen Moment Zeit zu nehmen, um schnellstens zu überprüfen, ob die Patientin Vorkehrungen getroffen hat.
Jede medizinische Behandlung ist per se Körperverletzung und nur rechtmäßig, wenn sie gerechtfertigt ist. Die Rechtfertigung setzt zwei Punkte voraus: die Indikation, also einen medizinischen Grund, warum behandelt wird, und den Patientenwillen. Ein Patient kann dem Arzt jede Maßnahme verbieten, auch wenn sie dazu dient, das Leben zu verlängern. Dieses Verbot kann der Patient, etwa im Falle eines Komas, nicht immer äußern – genau dann greift die Patientenverfügung. Wann ein guter Zeitpunkt ist, eine Patientenverfügung anzulegen? „Heute“, sagt die Juristin bestimmt, „jeder von uns kann, unabhängig vom Alter, in einen Unfall verwickelt werden.“Das Dokument verhindert, dass man in einem aussichtslosen Zustand am Leben gehalten wird. Es ist nicht für die Akutsituation gedacht, wenn sowohl Diagnose als auch Prognose noch nicht vorliegen. Rechtsanwältin Unger macht es an einem Beispiel deutlich: „Wenn ein Mensch sagt, er möchte bei einem Schlaganfall keine Hilfe, dann macht das wenig Sinn, denn es gibt auch leichte Schlaganfälle, bei denen der Patient nach wenigen Wochen erholt ist. Doch sollte der Patient sich nach einem Schlaganfall nicht erholen und sich nicht mehr äußern können, weil er in einem Koma liegt, dann verhindert eine Patientenverfügung, dass dieser Zustand verlängert wird.“
Obwohl Boguslawa Bornemann sich bewusst ist, dass Chancen auf ein gesundes Leben nach der Reanimation durchaus vorhanden sind,