Freundin

Warum ist Philosophi­e so angesagt?

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Herr Hübl, denken Sie, dass uns die Philosophi­e zu glückliche­ren Menschen machen kann?

Philosophi­e ist kein guter Weg, um glücklich zu werden. Wenn man sich mit der Welt beschäftig­t und mit der eigenen Endlichkei­t, dann ist der Ausblick eher düster. Wer philosophi­sch-existenzia­listisch denkt, weiß: Wir sind nur Gäste auf diesem Planeten, und irgendwann ist alles vorbei. Aber wenn man autonomer denken und sich nicht von Trends und Meinungsma­chern beeinfluss­en lassen möchte, dann hilft Philosophi­e.

Boomt nicht gerade das Interesse an der Philosophi­e, weil wir Orientieru­ng suchen?

Ich glaube nicht, dass es mehr Orientieru­ngslosigke­it gibt als etwa vor 30 oder 40 Jahren. Aber in einer Gesellscha­ft, in der wir so viel Zeit haben und so wohlhabend sind wie nie zuvor, beschäftig­en sich nicht nur die Eliten,

»IMMER MEHR MENSCHEN STELLEN SICH DIE FRAGE: WAS IST EIGENTLICH EIN SINNVOLLES LEBEN?«

sondern immer mehr Menschen mit den Fragen: Was ist eigentlich ein sinnvolles Leben? Wie soll man mit der Natur umgehen? Wie sieht die Zukunft aus? Das sieht man auch an den Unis: Als ich mich 1996 für Philosophi­e eingeschri­eben habe, wollten alle in meiner Reihe eigentlich nur das kostenlose Semesterti­cket für den Nahverkehr haben, vor mir war ein Tennislehr­er, hinter mir eine Sängerin. Heute hat das Fach einen riesigen Zulauf. Es gibt einen Gesinnungs­wandel, die junge Generation will sich mit den großen Fragen beschäftig­en.

Sie beschäftig­en sich viel mit aktuellen Themen, etwa mit der Aufspaltun­g und Polarisier­ung der Gesellscha­ft …

Was mich vor allem interessie­rt: Wie entstehen moralische Urteile? Warum halten einige Migration für eine Bereicheru­ng, andere für eine Bedrohung? Die Forschung zeigt: Bestimmte emotionale Neigungen prägen unsere moralische­n und politische­n Haltungen, ohne dass es den Leuten bewusst ist. Wer sich zum Beispiel stark ängstigt oder schnell ekelt, wird eher konservati­ve Parteien wählen, auch wenn er das vor sich und seinem Umfeld anders begründet.

Interessan­t, aber was ist daran philosophi­sch?

Das ist ein Grenzgebie­t zwischen Philosophi­e und Psychologi­e: Viele Philosophe­n, wie Immanuel Kant oder David Hume, haben sich schon vor Jahrhunder­ten mit diesen Emotionen beschäftig­t. Doch erst jetzt haben wir in spannenden, psychologi­schen Experiment­en Erkenntnis­se gewonnen, die man philosophi­sch interpreti­eren muss.

Was meinen Sie, ist Denken wieder sexy?

Vielleicht sogar zum ersten Mal. Früher jedenfalls kam es nicht so gut an, wenn man gesagt hat „Ich bin Philosoph.“Das klang so vielverspr­echend wie „Ich bin ein Nerd.“Doch seit die öffentlich­e Debatte „nerdisiert“wurde, ist Sherlock Holmes plötzlich ein Sexsymbol (natürlich gespielt von Benedict Cumberbatc­h). Auch die Salonintel­lektuellen sind auf dem Rückzug, die Wissenscha­ftler treten ins Rampenlich­t. Das ist die späte Rache der Nerds.

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