WAS IST LOS MIT MIR?
Keine Lust auf Sex, schlaflose Nächte, Gewichtszunahme – schnell wird die Schuld dafür bei den Hormonen gesucht. Aber ist das überhaupt richtig? Oder verkennen wir womöglich andere Ursachen?
Keine Lust auf Sex, schlaflose Nächte, Gewichtszunahme: Wir verraten, wann es an den Hormonen liegt und was sonst noch dahinterstecken kann
SSie gelten als die Dirigenten unseres Lebens: Hormone sollen uns wahlweise launisch, müde oder depressiv machen und sogar die Figur formen. Wenn sie aus der Balance geraten, können sie falsche Signale an Organe und Zellen leiten, Krankheiten entstehen. Kreisen etwa zu viele Stresshormone im Blut, wird das Herz ständig angetrieben, schneller zu arbeiten. Auf Dauer steigt so das Risiko für Bluthochdruck. Es ist unbestritten: Hormone können in unserem Körper ein ganz schönes Chaos verursachen, aber sind die Hormone wirklich an allem schuld? Oder machen wir es uns zu leicht, wenn es mal wieder „Das sind die Hormone“heißt? „Weil das Hormonsystem so schwer zu durchschauen ist, schieben viele Menschen unklare Beschwerden zu schnell auf die Botenstoffe“, sagt Dr. Anneliese Schwenkhagen, die zusammen mit ihrer Kollegin Dr. Katrin Schaudig eine Schwerpunktpraxis für hormonelle Störungen der Frau führt. Höchste Zeit also, die Sache einmal zu durchleuchten.
LIEGT ES AN DEN HORMONEN … … wenn die Stimmung schwankt?
Wer gefühlsmäßig häufig Achterbahn fährt, sollte sich beobachten und ein Stimmungstage‑ buch führen, um Muster zu erkennen: Treten die Launen vor allem vor der Periode auf? Oder sind Sie Mitte 40 und nähern sich den Wechsel‑ jahren? An dem Gefühlschaos sind dann wahr‑ scheinlich die Hormone schuld. „In den ge‑ nannten Zeiten schwanken die Hormone stark. Und auf dieses Auf und Ab reagieren manche Gehirne einfach sensibler als andere“, sagt Gy‑ näkologin Schwenkhagen. Manche Frauen haben sogar ganze zwei Wochen vor der Regel sehr starke Stimmungsschwankungen. Ärzte sprechen dann von der „Premenstrual Dyspho‑ ric Disorder“(PMDD). Aber man kann etwas dagegen tun: Bei ausgeprägten Beschwerden können die Pille oder Psychopharmaka die Hor‑ monschwankungen und damit die Gefühls‑ turbulenzen regulieren. Bei leichten Stimmungs‑ schwankungen helfen dagegen oft schon Mönchspfeffer‑präparate.
Was sonst dahinterstecken kann: Eine nicht ganz optimale Ernährung: Wer häufig unterzu‑ ckert ist, weil er zu wenig isst, wird ebenso launisch, wie Menschen, die zu wenig Salz oder Magnesium (z.b. in Sonnenblumenkernen, Vollkornprodukten, Nüssen) zu sich nehmen. Magnesium dämpft die Produktion von Stress‑ hormonen. Und wie jeder weiß, sind gestresste Menschen nicht die ausgeglichensten.
… wenn die Lust nachgelassen hat?
„Die Hormone mögen an vielem schuld sein, an sexuellen Problemen aber meistens nicht“, sagt Schwenkhagen. Auch die Pille macht nicht zwangsläufig weniger Lust auf Sex, wie Studien zeigen: Bei manchen Anwenderinnen nimmt sie sogar zu. Sie haben befreiter Sex, weil das Risiko, schwanger zu werden, gebannt ist.
Was sonst dahinterstecken kann: Bei Frauen entsteht Lustlosigkeit vor allem im Kopf: „In belastenden Situationen, bei Stress, Partner‑ schaftskonflikten und bei gesundheitlichen Pro‑ blemen sinkt das sexuelle Verlagen“, weiß die Gynäkologin. Auch sei es normal, dass mit
»Licht am Tag verbessert die Melatoninausschüttung in der Nacht«
dem Alter und der Länge einer Beziehung die Lust abnimmt. „Das ist für viele völlig okay, sie leiden nicht darunter.“Falls doch: Über die eigene Lustlosigkeit zu reden, hilft. Genauso wie loszulegen: Sex macht Lust auf Sex.
… wenn man nicht schlafen kann?
An unruhigen Nächten tragen Hormone häufig zumindest eine Mitschuld. So klagen 60 Prozent der Frauen unter Schlafproblemen, wenn der Östrogen- und Progesteronspiegel in den Wechseljahren abfällt. Aber auch schon früher bestimmt ein Hormon maßgeblich, wie gut wir schlummern: Melatonin, das unseren Tag-nachtrhythmus steuert. Es macht abends müde und, wenn die Produktion wieder nachlässt, morgens munter. „Je mehr wir tagsüber draußen am Licht waren, desto besser funktioniert die Melatoninausschüttung“, weiß Schwenkhagen. „Teuflisch ist dagegen helles und vor allem blaues Licht am Abend, wie es Handys und Laptops abstrahlen. Es bremst die Hormonfreisetzung.“Melatonin-tabletten können einen gestörten Schlafrhythmus wieder regulieren, es dauert aber eine Woche, bis das Hormon wirkt.
Was sonst dahinterstecken kann: Stress ist laut einer aktuellen Umfrage der Kaufmännischen Krankenkasse die Ursache Nummer eins für Schlafstörungen. Wer zu viel im Kopf hat,
nicht zur Ruhe oder wacht mitten in der
Nacht auf. Eine schriftliche To-do-liste für den nächsten Tag hilft oft schon. Damit bringt man die Gedanken aus dem Kopf aufs Papier. „Ganz wichtig für guten Schlaf sind zudem warme Füße“, sagt die Expertin. Auf Alkohol am Abend sollte man dagegen möglichst verzichten: „Hat man getrunken, ist der Schlaf weniger tief, man wacht in der Nacht häufiger auf und erholt sich nicht richtig.“
… wenn man stetig zunimmt?
Viele denken sofort an eine Schilddrüsenunterfunktion. „Tatsächlich liegt es daran gar nicht so oft“, sagt Anneliese Schwenkhagen. „Im Zweifelsfall kann man das aber einfach durch eine unkomplizierte Blutuntersuchung klären lassen.“Körpergewicht und Hormone sind dennoch eng verknüpft, aber andersrum, als die meisten denken: „Übergewicht kann eine hormonelle Störung der Eierstöcke fördern, das polyzystische Ovarsyndrom, kurz PCOS.“Die Eibläschen können sich nicht mehr richtig entwickeln und das männliche Hormon Testosteron nimmt überhand. In der Folge kann ein diabetischer Stoffwechsel entstehen, wodurch die Pfunde weiter wachsen.
Was sonst dahinterstecken kann: Der Stoffwechsel verlangsamt sich ab etwa 40 Jahren. Wer dann nicht weniger isst oder sich mehr bewegt, nimmt leicht ein halbes bis ganzes Kilo im Jahr zu. „Dies sollte man unbedingt vermeiden“, sagt Schwenkhagen. „Abnehmen ist unglaublich
schwierig, unseren Körper zieht es automatisch wieder zum Ausgangsgewicht. Das ist eine Steinzeitsoftware.“Sie rät deshalb, einmal in der Woche auf die Waage zu gehen, um notfalls schnell gegensteuern zu können.
… wenn Haare dort sprießen, wo keine sein sollten?
In dem Fall muss man die Schuldigen nicht lange suchen: Ein Zuviel an männlichen Hormonen lässt auch bei Frauen Härchen wachsen. Bei jungen Frauen passiert das zum Beispiel, wenn sie am PCOS leiden (s. voriger Punkt), bei älteren, wenn in den Wechseljahren der Einfluss der weiblichen Geschlechtshormone sinkt. Je nach Alter, Leidensdruck und Begleitsymptomen kann die Pille oder eine Hormonersatztherapie das Testosteron ausbremsen.
Was sonst dahinterstecken kann: Die Gene. Bei manchen wachsen die Haare einfach stärker, ohne dass ein körperliches Problem vorliegt.
… wenn man depressiv ist?
Eine Depression entsteht nie alleine aufgrund der Hormone. Aber bei allen Depressiven sind die Botenstoffe im Gehirn verändert. Besonders anfällig für die Krankheit sind Frauen, wenn sie sich in einer hormonellen Umbruchsphase befinden – in der Pubertät, nach der Geburt oder in den Wechseljahren. „Hormonelle Schwankungen stören die Stressverarbeitung. Wenn dann noch einschneidende Erlebnisse, wie der Stress nach einer Entbindung oder
Scheidung, dazukommen, läuft das Fass schnell über“, erklärt Gynäkologin Schwenkhagen.
Was sonst dahinterstecken kann: Letztendlich entscheidet der Mix aus Genen, Charaktereigenschaften, Erlebnissen und Erfahrungen darüber, ob jemand anfällig für eine Depression ist. Antidepressiva wie z.b. Serotonin-wiederaufnahmehemmer und eine Psychotherapie können helfen.
… wenn man ständig müde ist?
Vier bis acht Millionen Deutsche können dafür die Hormone verantwortlich machen. So viele leiden an einer Schilddrüsenunterfunktion, der Hashimoto-thyreoiditis, die häufig im mittleren Alter auftritt. In der Folge produziert das Organ weniger Hormone, der Stoffwechsel erlahmt und man fühlt sich gerädert. Sobald die fehlenden Hormone ersetzt werden, kehrt die Energie zurück. In den Wechseljahren sind dagegen die Hormone indirekt an der Müdigkeit schuld: Weil sie den Schlaf häufig stören, fühlt man sich tagsüber schlapp.
Was sonst dahinterstecken kann: Häufig ein Eisenmangel: 20 Prozent der jungen Frauen
»Hormone alleine verursachen keine Depression«
fehlt der Mikronährstoff. In der Folge werden Zellen und Organe nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt, man fühlt sich müde. Besonders betroffen sind Vegetarierinnen, weil ihnen Fleisch als Eisenquelle fehlt. Sie sollten auf eisenreiche, pflanzliche Kost (z.b. Weizenkeime, Kürbiskerne und Soja) achten. „Oft genug ist es aber auch nur der Lifestyle, der die Energie raubt“, sagt Gynäkologin Anneliese Schwenkhagen. „Wir glauben immer, wir sind unkaputtbar. Aber das ist der Körper nicht. Er braucht einfach Pausen.“