NIMMS MIT HUMOR
Gerade wenn uns zum Heulen zumute ist, tut es gut, auch lachen zu können. Wie das geht, weiß Coach Lisa Burnage. Als Britin ist sie die geborene Humor-expertin
Humor hat man. Oder man hat ihn nicht. Heißt es. „Von wegen“, widerspricht Lisa Burnage gleich zu Beginn des Interviews im Videocall. „Jeder Mensch hat Sinn für Humor.“Die 53-Jährige mit leuchtend roten Haaren und einer Riesenportion Schalk in den Augen berät Frauen in deren Lebensmitte. Frauen, die häufig von der Doppelbelastung Beruf und Familie gestresst sind. Frauen, deren Selbstbewusstsein etwas verloren gegangen ist, weil ihr Fokus viele Jahre auf der Familie lag, statt auch mal auf sich selbst. Irgendwas ist ja immer. Die Britin ist überzeugt, Humor ist dabei eines ihrer wichtigsten Werkzeuge. Und in der Tat gilt England als Mutterland der Komik.
Lachen ist tatsächlich die beste Medizin. Es verbessert die Lungenfunktion, verwöhnt das Gehirn mit einer Sauerstoffdusche und massiert die inneren Organe. Die Immunabwehr steigt, weil Stresshormone abgebaut werden und Glückshormone den Körper fluten. Nichts macht die Zumutungen des Alltags so schnell so viel erträglicher, da ist Lisa sich sicher. Und so sind Lachyoga-übungen häufig Bestandteil von Lisas Online-gruppenstunden. „Auf Kommando gackern dabei alle erst mal künstlich los, fühlen sich aber trotzdem bald besser.“Kein Witz, funktioniert wirklich: „Unser Gehirn merkt den Unterschied zu echtem Lachen gar nicht, orientiert sich einfach an der fröhlichen Mimik und schüttet Glückshormone aus.“Bereits der bloße Gedanke, gleich etwas Lustiges zu erleben, senkt bereits den Stresshormon-pegel, ergab eine kalifornische Studie.
Im Videocall folgt eine Live-demonstration. Lisa lacht den Kopf in den Nacken werfend unvermittelt los, was unglaublich ansteckend ist. Ich giggle mit. Verantwortlich dafür sind übrigens die sogenannten Spiegelneuronen in meiner vorderen Hirnrinde, sie lösen den Nachahmungsreflex aus. Noch skurriler wird es, als Lisa vorführt, wie jede Lachyoga-übung zu beenden ist. Sie klatscht rhythmisch in die Hände und ruft: „Very good, very good, yeaaaaah!“Weil Lisa dabei auf mich wie die Parodie einer
300 Muskeln sind am Lachen beteiligt
Fitnesstrainerin wirkt, pruste ich los. Wie gut Lachyoga funktioniert, merke ich bestens gelaunt an, sollte man lieber verschweigen, andernfalls käme noch jemand auf die Idee, es als Performance-steigerung im Büro einzuführen. „Während sie in Nordkorea in den Fabriken turnen, haben wir dann im Büro Lach-pflicht“, unke ich. Lisa lacht schallend, und obwohl wir uns erst seit fünf Minuten kennen, fühlen wir uns miteinander wohl. Wer über dieselben Dinge lacht, tickt offensichtlich ähnlich. Lisa und ich: Wir verstehen uns. Humor ist wirklich etwas Wunderbares. Wie gut, dass das britische Rezept für mehr Heiterkeit und ein leichtlebigeres Ich laut Lisa nur fünf Zutaten braucht:
1. VERSCHÄRFTE LACHBEREITSCHAFT
Viele britische Sketche nehmen Alltagswidrigkeiten aufs Korn und zeigen so, dass sie kein unerträgliches Einzelschicksal sind, sondern schlicht zum Leben dazugehören. In der Serie „Little Britain“(siehe Kasten, Seite 48) hat eine unglaublich demotivierte Reisebüroangestellte einen Trick, um die Anfragen ihrer Kunden (Haben Sie ein Zimmer mit Meerblick?) nicht bearbeiten zu müssen. Sie haut nur zum Schein in die Tasten, um dann festzutellen: „Der Computer sagt Nein.“Wir können lernen, im eigenen Alltag „auf solche Situationen zu achten, um uns selbst darüber zu amüsieren oder um andere damit zum Lachen zu bringen“, sagt Lisa. Selbst Krisen bieten Steilvorlagen für Humor. Ohne Frage ist die Corona-krise schlimm und verlangt uns eine Menge ab. Aber Humor kann dem Ganzen zumindest gelegentlich den Stachel nehmen. Als Beispiel schickt Lisa einen Cartoon via Whatsapp: Eine Frau verlässt ihren Ehemann mit gepackten Koffern, um zu ihrem Friseur zu ziehen. Sie will im nächsten Lockdown nicht noch einmal monatelang ohne Haarschnitt dastehen. Merke: Immer wenn uns etwas auf die Palme bringt, ist die Gelegenheit für Gelächter nicht weit.
2. DIE PERSPEKTIVE WECHSELN
Den ganz normalen Wahnsinn kennen wir alle: Im Callcenter gefühlt drei Stunden in der Warteschleife hängen. Kurz bevor man endlich dran ist, bricht die Verbindung ab. Bei solch enervierenden Erfahrungen gibt es zwei Möglichkeiten: sich aufregen und dabei immer mehr in Rage geraten. Oder innerlich auf Distanz gehen und sich darüber lustig machen. „Es ist unsere eigene Entscheidung, ob wir Dinge mit Humor nehmen“, betont Lisa. Eine humorvolle Lebenshaltung bedeutet allerdings nicht, immer und überall auf Knopfdruck alles amüsant zu finden. Ganz im Gegenteil: Der Perspektivenwechsel klappt besser, wenn wir erst einmal bewusst mit negativen Gefühlen umgehen und ihnen Raum geben. Lisa selbst nutzt in schwierigen Situationen „möglichst häufig die Macht der kleinen Pause“. Sie hält kurz inne und sagt zu sich selbst: „Hoppla, da ist jetzt echt Frust.“Denn sobald wir Emotionen wie Ärger oder Wut erkennen und benennen, verlieren sie an Kraft, wir können Abstand gewinnen und über den Auslöser schmunzeln – zumindest später einmal. Humor ist „tragedy plus time“, wissen
HÖFLICHE IRONIE IST TYPISCH BRITISCH Wenn eine Britin zu einem Vorschlag sagt: »Das klingt nach einer guten Idee«, meint sie in Wahrheit: »Das ist absoluter Unsinn!«
die Angelsachsen. Humor ist Tragik plus Zeit. Vieles, was uns heute erzürnt, liefert morgen Stoff für köstliche Anekdoten.
3. SELBSTIRONIE
Unseren eigenen Abgründen und Fehlern mit Heiterkeit zu begegnen, ist die Königsklasse des Humors. Zu dick, zu dünn, zu blass, zu ungeschickt, zu blöd? Allzu häufig hadern wir mit wahren oder eingebildeten Unzulänglichkeiten und echten Missgeschicken, dabei könnten sie willkommener Anlass dafür sein, unseren Humor zu vervollkommnen. Unverzichtbare Basis ist eine Haltung, die unser anstrengendes Streben nach Perfektion als überflüssig und lächerlich entlarven kann. „Humor lebt immer von der Fallhöhe zwischen unseren Idealen und der Realität“, erklärt Lisa. Eine Meisterin im Sich-selbst-auf-die-schippenehmen ist die Komikerin Celeste Barber. Der Internet-star stellt die supermegasexy Posen berühmter sowie selbsternannter Models nach. Das ist deshalb so wahnsinnig komisch, weil der Körper der Australierin so erfrischend anders ist als der ihrer Vorbilder. Celeste sieht aus, wie ganz normale Frauen eben aussehen, alles andere als perfekt nämlich. Mittlerweile hat sie es mit ihrer Selbstveräppelung bis aufs Cover der amerikanischen „Vogue“gebracht. Zu Recht. Selbstironie ist nicht nur sehr komisch, sondern auch äußerst sympathisch und liebenswert.
Auch Lisa beherrscht selbstverständlich die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen. „Wenn ich Frauen sehe, die ein blütenweißes Kleid tragen, sage ich mir: ‚Ich würde darin so bleich aussehen wie ein Gespenst.‘“Selbstironie aber, das ist Lisa wichtig, ist nicht das Gleiche wie Selbstbashing. Wie man selbstironisch agiert, ohne sich kleinzumachen? „Einfach sehr selbstbewusst mit einer Schwäche spielen.“Wer um seine Unzulänglichkeiten sehr wohl weiß und sie gleichwohl erhobenen Hauptes ins Lächerliche ziehen kann, entwickelt nicht nur mehr und mehr Selbstakzeptanz, sondern wird auch anderen gegenüber offener, toleranter – und nachsichtiger. „Mein Mann Christoph stellt zum Beispiel immer das Geschirr auf die Ablage, statt es gleich in den Geschirrspüler zu räumen.“Lisa kann es dem Gatten lächelnd durchgehen lassen, weil sie über Marotten eben auch lachen kann. „Wir haben einiges auf unserer ‚Das lassen wir uns gegenseitig durchgehen‘liste ste
Um bis zu 70 % sinkt das Stresshormon Cortisol, wenn wir einmal am Tag herzhaft lachen. Quelle: Loma Linda University (Kalifornien)
20 Jahre länger halten Partnerschaften im Schnitt, wenn beide Partner einen ähnlichen Sinn für Humor haben. Quelle: John Gottman, Beziehungsexperte
hen“. Nörgeln, das nur nebenbei, sei Gift für die Partnerschaft, sagt Lisa, Humor dagegen der beste Liebeskitt überhaupt. Lisa muss es wissen, sie ist seit 24 Jahren glücklich verheiratet.
4. SCHLAGFERTIGKEIT
Ein über die Grenzen Britanniens bekanntes Beispiel für schlagfertigen Humor verdanken wir der Geistesgegenwart Winston Churchills. Der langjährige Premierminister verbrachte ein Wochenende bei Freunden, wo auch Lady Nancy Astor zugegen war, das erste weibliche Parlamentsmitglied im britischen Unterhaus. Die beiden stritten wie die Kesselflicker. Schließlich sagte Lady Nancy: „Wenn ich Ihre Frau wäre, würde ich Gift in Ihren Tee mischen.“Der derart Angegriffene erwiderte trocken: „Wenn Sie meine Frau wären, würde ich ihn trinken.“Bleibt die Frage: Lässt sich Schlagfertigkeit trainieren? Nur Mut! Eine Methode: Man gibt dem Herausforderer oder der Herausforderin überraschend recht und steigert die Antwort ins Absurde. Beispiel: Sie haben auf dem Rad eine rote Ampel übersehen und jemand meckert: „Die Regeln gelten auch für Sie!“Schlagfertige Replik: „Sie haben völlig recht. Ich wollte Ihnen nur nicht die Freude nehmen, mich darauf hinzuweisen.“
5. MUT ZUM LOSLASSEN
Humor kann niemand stets parat haben. „Es gibt zudem schwierige Situationen im Leben, da braucht es zum Beispiel die Unterstützung eines Psychologen,“betont Lisa. Aber lustige Rituale helfen zumindest in weniger schweren Lagen, das Leben leichter zu nehmen. Lisa hat eine Klientin, die, wie viele Frauen, durch den Alltag hastet, um alles zu schaffen: Job, Kinder, Haushalt. „Immer funktionieren tut auf Dauer nicht gut. Da braucht es dringend ein Ventil.“Die Klientin hat mittlerweile ein Mittel zum Dampfablassen gefunden. Wenn ihr mal wieder alles über den Kopf wächst, singt sie (und veräppelt damit zugleich) den berühmten „Let It Go“-song aus dem Film „Die Eiskönigin“– und schon sieht sie die Welt mit mehr Zuversicht. Für mehr Spaß im Leben empfiehlt Lisa auch, sich nicht kirre machen zu lassen von den ewigen Selbstzweifeln und Gedankenmarathons. Headflix nennt Lisa sie schnoddrig, weil Grübeleien im Kopf (head) wie in Netflix-dramen selten zu etwas Gutem führen. Darf ich so was mit 50 plus noch anziehen? Kann ich wirklich jetzt noch Tango lernen? Pfeif auf Headflix, tu es einfach, der Himmel wird nicht einstürzen. „Also raus aus der Komfortzone?“Lisa antwortet mit einem schelmischen Lächeln: „No! Das klingt ja irre anstrengend. Es genügt, die Komfortzone großzügig und beherzt auszudehnen.“Lisa selbst hat jetzt mit Flamenco angefangen. Obwohl das einer der schwersten Tänze überhaupt ist. „Aber wer sagt denn, dass ich darin perfekt sein muss? Mit einem Schuss Selbstironie ist es sogar amüsant, wenn was danebengeht“, sagt sie augenzwinkernd.
Zum Schluss erzählt Lisa, wie Humor ihr selbst in schwersten Stunden half. „Als mein Mann einen schweren Autounfall hatte und gegen die Schmerzen bis zu fünfmal am Tag Morphium selbst dosieren durfte, nannten wir den entsprechenden Hebel dazu den ‚Keithknopf‘, nach Keith Richards, der bei den Rolling Stones früher einen (Achtung, britisches Understatement!) eher laxen Umgang mit Medikamenten pflegte.“Prominente, Vorgesetzte, Präsidenten und Kanzlerinnen dürfe man ruhig hochnehmen. Ein No-go dagegen sei es, nach unten zu treten, und jemanden, der schwächer ist, aufs Korn zu nehmen. „Das zeugt von schlechtem Stil und ist überhaupt nicht witzig.“Denn auch Fairplay (Fairness) ist in England immens wichtig.