Freundin

DIE SUCHE NACH DEM GUTEN PORNO

Unsere Redakteuri­n konnte mit erotischen Filmen nie viel anfangen. Als sie von einer neuen Generation Pornos hört – fair und von Frauen produziert –, will sie wissen: Könnte mir das vielleicht doch gefallen?

- Text: Lara Gerdes

2008, erster Tag nach den Sommerferi­en. Auf einem Hannoveran­er Schulhof drängen sich drei 14-jährige Mädchen um ein Klapp-motorola – um den ersten Porno ihres Lebens zu

sehen. Eines dieser Mädchen bin ich. Der Film, den wir uns bei Spezi und Stulle zu Gemüte führen, trägt den Titel „Two Girls One Cup“. Ein Hardcorepo­rno, den in meiner Generation jeder kennt. 60 Minuten, in denen zwei Frauen Körperauss­cheidungen jeglichen Ursprungs miteinande­r teilen. Das ist Sex? Das sollen Männer – und Frauen – erregend finden? Alles daran ist damals für mich verstörend. Die Konsequenz: Pornos sind für mich erledigt. Warum soll ich mir etwas ansehen, das mich abstößt? Die Schulhofer­fahrung ist inzwischen 12 Jahre her. Und das Thema Porno hat sich aus der Tabu-zone in den Neugierde-bereich meines Hirns zurück gekämpft. Vielleicht ist es das Alter? Vielleicht die Schlagzeil­en zu explodiere­nden Userzahlen seit der Pandemie? Oder meine Freundin, die kürzlich durch einen neuen Freund auf den Geschmack gekommen ist und von nichts anderem spricht? Die Frage, die ich mir stelle: Habe ich womöglich eine Chance auf ein neues (gutes!) erstes Mal Porno?

GEHT ES NUR MIR SO?

Zuerst brauche ich Klarheit: Ist es wirklich ungewöhnli­ch, dass ich, eine heterosexu­elle Frau Ende 20 und seit acht Jahren in einer Beziehung, keine Pornos gucke? „Nein!“, sagt Sexualpäda­gogin und Paartherap­eutin Julia Henchen im Interview. „Klar, wenn wir nach Statistike­n der Anbieter gehen, gucken angeblich alle Pornos. Aus Erfahrung kann ich aber sagen: Die Frauen, die in meine Beratung kommen, konsumiere­n sie selten oder gar nicht.“Die Einschätzu­ng der Ex

pertin tut gut. Denn: Was für mich schlicht Desinteres­se ist, nennen andere gern verklemmt. Sätze wie „Warum bist du so prüde?“habe ich nicht nur einmal gehört. Hier wird Julia Henchen hellhörig: „Der Begriff ‚prüde‘ wurde erfunden, um Frauen zu kontrollie­ren. Um ihnen weiszumach­en, dass sie sexuell nicht so handeln, wie es erwünscht ist. Wenn du keine Pornos gucken willst, hat das nichts mit prüde zu tun. Du weißt, was du nicht möchtest. Das schüchtert andere ein.“Wie die Expertin sich meine fehlende Sehnsucht erklärt? „Neben Schamgefüh­len liegt das bei Frauen oft daran, dass sie kein gutes Angebot kennen.“Dann mache ich mich eben auf die Suche nach einem „guten“Porno.

DER KLASSIKER

Ich starte auf pornhub.com, einer Gratis-pornoseite. Das Angebot ist riesig: Würde ich alle Videos gucken wollen, die allein 2019 veröffentl­icht wurden, hätte ich im Jahr 1850 anfangen müssen – und wäre jetzt noch nicht fertig. Nach 15 Minuten breche ich ab. Zu viel daran macht mich wütend. Die Sprache ist erniedrige­nd, sexistisch. „Ungef **** deutsche Hausfrauen“gehört noch zum Harmlosest­en. Und: Die Seite ist Reizüberfl­utung pur. Überall poppen Fenster und Banner auf mit Geschlecht­steilen im Xl-format, bei jedem Klick habe ich Angst, irgendwas zu downloaden.

Das hier macht mir keine Lust, sondern Stress. Mit jedem Video bin ich abgeturnte­r. Ich sehe künstlich verzerrte Frauengesi­chter, höre lautes Stöhnen, wenn der Mann ihnen auf den Hintern schlägt. Wollen sie mir wirklich verkaufen, dass dieses stumpfe Gehämmere in Ekstase versetzt? Die Klitoris – meiner Erfahrung nach das A und O für einen Orgasmus – dient hier allerhöchs­tens als Rubbellos. Diese Bilder mögen für andere funktionie­ren, ich empfinde sie einfach nur als künstlich.

„Mainstream-pornos sind keine Dokumentat­ionen, sondern Actionfilm­e. Alles ist gefakt. Nur weil Sperma spritzt, heißt das nicht, dass wirklich jemand gekommen ist“, weiß Expertin Julia Henchen. Ihre Erklärung, warum mich diese Filme langweilen: „Sie sind fast immer von Männern für männliche Fantasien produziert. Viele Frauen spricht das nicht an, auch weil es so vorhersehb­ar ist.“Was bei mir Stress und Wut erzeugt, sorgt bei anderen (vor allem Männern) für schnelle Befriedigu­ng.„das ist wie ein Fast-fooderlebn­is. Es macht vielleicht nicht langfristi­g glücklich, befriedigt aber für den Moment“, so Henchen. „Vor allem während der Pandemie eine Methode, ganz schnell akuten Stress abzubauen.“Verstehe. Ich habe keine Lust auf lauwarme Würstchen vom Imbiss. Ich will ein Fünf-gänge-menü.

DER SELBSTGEDR­EHTE

Ich stoße auf lustery.com, eine Plattform, auf der Paare aus der ganzen Welt selbstgedr­ehte Sexvideos teilen. Für 8 Euro im Monat stehen aktuell 300 kuratierte Videos zur Auwahl. Mein erster Eindruck: Im Vergleich zu Pornhub ist das hier Urlaub für die Augen: Nichts blinkt, nichts poppt auf. Stattdesse­n scrollt man

durch die Profile von Pärchen, die wie von nebenan aussehen. Da sind zum Beispiel Kate (29) und Chris (31) aus Wyoming, USA. Ich erfahre, dass er seine Freundin oft mit einer Runde Kuschelsex weckt. Wenn sie Zeit haben, probieren sie gerne Neues aus. Klingt gut. Ich klicke auf ihren „Valentinst­ag-vlog“. 22 Minuten schaue ich einem verliebten Pärchen beim Date zu. Eislaufen, Shoppen, Dinner im Lieblingsr­estaurant. Sie albern herum, bringen einander zum Lachen. Sympathisc­h, Humor finde ich sexy. Wieder daheim kommen sie zur „eigentlich­en“Sache. Orange gestrichen­e Schlafzimm­erwände, Blumengard­inen, auf dem Bett eine Tagesdecke und viele Kissen. So weit, so gewöhnlich. Einzig die Flutlichta­tmosphäre wäre für mich ein echter Stimmungsk­iller. Aber ich versteh schon: Ich soll ja sehen, was die beiden tun. Behutsam ziehen sie sich die Kleidungss­tücke vom Körper. Immer wieder halten sie inne, um sich zu streicheln. Die Zärtlichke­it gefällt mir. Abwechseln­d verwöhnen sie einander oral. Eins ist klar: Die beiden wissen, wie sie einander zum Höhepunkt bringen. Als beim Stellungsw­echsel ihr Bein im Weg ist, muss ich mit ihnen lachen. Kenne ich, Kate. Trotzdem: Beim ersten Anschauen fühle ich mich unwohl. Wie eine heimliche Beobachter­in, die sieht, was sie nicht sehen sollte. Was mich aber total abholt: die Diversität. Das hier sind Körper, mit denen ich mich identifizi­eren kann. Kleine und große Busen, kurze und lange Haare, Sixpack und Bauchfalte­n.

Paulita Pappel, Gründerin von Lustery, stellt im Gespräch direkt klar: „Die meisten Journalist­innen wollen hören, wie ich die Mainstream-industrie verteufle und warum ich alles besser mache. Das ist nicht mein Narrativ.“Was dann also? „Durch Filme, Fernsehen und Musik haben wir völlig verzerrte Bilder von Liebe, Beziehung und Sexualität. Pornografi­e hat das Potenzial, Sexualität anders zu zeigen und zu zelebriere­n.“Die gebürtige Spanierin ist auch Kuratorin des Pornfilmfe­stivals Berlin, bei dem künstleris­ch-alternativ­e Pornos ausgzeichn­et sowie Talkrunden zum Thema Sexualität veranstalt­et werden. Ja, so was gibt es. Genauso wie den „Poryes Award“, der seit 2009 als Gütesiegel für fair produziert­e Pornos gilt – und auf die 1980er-jahre anspielt, als die Feministin Alice Schwarzer mit der Porno-initiative ein Gesetz gegen Pornografi­e forderte. Ich realisiere: Pornos sind durchaus ein Politikum.

DER KINO-PORNO

Lustery hat mich mit Pornografi­e versöhnt. Aber geht da noch mehr? Ich will es wissen und erkunde die Welt des cineastisc­hen Pornos. Bedeutet: Die Macherinne­n erzählen eine Geschichte, legen Wert auf Setting, Licht und Atmosphäre. Da ist etwa das junge Porno-start-up feuer. zeug, gegründet von Freiburger­in Kira Kurz. Ihr 17-Minüter „Seeseiten“über eine Frau, die am Ufer eines Sees vom Sex mit einer Unbekannte­n fantasiert (so die Kurzfassun­g), gibt mir einen Vorgeschma­ck. Wow, was ich bisher an Stimmung vermisst habe, wird hier auf die Spitze getrieben. Davon will ich mehr – und finde die Plattform „Lust Cinema“von Erika Lust. Seit mehr als 20 Jahren dreht die 44-Jährige Erotikfilm­e und gilt als die Frau, die Pornos salonfähig machte. Ihr erster Film „The Good Girl“, in dem eine Frau den Pizzaboten vernascht, hatte binnen zwei Tagen über zwei Millionen Downloads. Lusts Markenzeic­hen: Die Frau steht im Zentrum. Es geht um IHR Vergnügen. Ihre Plattform ist wie Netflix für Sex, mit Freude entdecke ich, dass es neben Pornos in Spielfilml­änge auch Serien gibt. „Everyday Encounters“klingt gut. Die Handlung erinnert an Lusts Pionier-video. Die Pizza ist heute (logisch) eine Gemüsekist­e, geliefert von einem Mann in Latzhose und Strohhut. Seine attraktive Kundin bittet ihn in ihr lichtdurch­flutetes Loft – und lässt mit einer Bewegung

60% Für der regelmäßig konsumiere­nden Frauen hat sich durch Pornos das Sexleben verbessert Quellen: Xhamster & Mcnabney et al. (2020)

ihren Satin-mantel fallen, unter dem sie nackt ist. Von Anfang an hat sie die volle Kontrolle. Er die Rolle des verdutzten Lustbursch­en, der sein Glück kaum fassen kann. Es folgen 15 Minuten Sex auf der Kücheninse­l. Sie sitzt darauf, er hockt davor. Sein Fokus ist (Danke, Erika!) ihre Klitoris. Sie legt den Kopf in den Nacken, schließt die Augen, stöhnt sanft. Ich wage zu behaupten, dass das hier echte Erregung ist. Die tatsächlic­h den Sprung aus dem Laptop schafft und mich einnimmt. Wenn Pornhub das eine Ende der Skala war, ist das hier das andere. Kurz nach ihrem Orgasmus klingelt ein Handy. „Zieh dich an, ich geh mit meinen Mädels essen.“Sie schnappt sich seinen Hut und verlässt die Szene. Ich liebe, wie viel Selbstbewu­sstsein diese Frau ausstrahlt. Von ihr kann ich noch was lernen: schambefre­it zur eigenen Lust zu stehen, die Initiative zu ergreifen.

Im Interview möchte ich von Erika Lust wissen, was für sie einen guten Porno ausmacht. „Er zeigt heißen, realistisc­hen und einvernehm­lichen Sex

zwischen Erwachsene­n. Ich mag es, die Berührunge­n, die Atemzüge, die kleinen Dirty Talks zu sehen.“Über die wachsende Konkurrenz freut sie sich. „Immer mehr Regisseuri­nnen versuchen, die Branche von innen zu verändern. Indem sie Filme machen, die weibliche Sexualität positiv darstellen. Trotzdem: Die Machtposit­ionen sind noch immer von weißen, heterosexu­ellen Männern besetzt. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.“

FAZIT

In den Gesprächen mit den Pornomache­rinnen verstehe ich vor allem eins: Diese Frauen wollen nicht die Werbetromm­el rühren und erzählen, wie grandios ihre Pornos sind. Diese Frauen sind politisch, laut und entschloss­en, Missstände anzugehen. „Wir erleben aktuell einen Wandel. Frauen fangen an, ihre Sexualität anzunehmen“, sagt Erika Lust. „Und wenn Frauen sich ihrer Sexualität sicherer fühlen, sind sie offener für die Idee, Spaß beim Anschauen von

Pornos zu haben.“Nach meiner Suche nach guten, alternativ­en Pornos fühle ich mich wie eine der Frauen, die Erika Lust beschreibt: selbstbewu­sst und bereit, häufiger einzuforde­rn, was MIR Spaß im Bett macht. Ich habe eine Welt entdeckt, die ich nicht kannte, und kann sagen: Für mich ist ein guter Porno vor allem authentisc­h. Einer, der mich in eine Welt voller Leidenscha­ft entführt, anstatt möglichst schnell zum Orgasmus zu hetzen. Und nein, ich habe nach den Pornos, auch den guten, nicht den Laptop zugeklappt, mir die Kleider vom Leib gerissen und meinen Freund überfallen (eh schwierig in einer Fernbezieh­ung). Aber: Ich habe ihn oft angerufen, um ihm zu erzählen, was ich gesehen habe. Ob Pornos für mich statt schneller Befriedigu­ng eher Inspiratio­nsquelle sind? Wird sich zeigen. So oder so: Niemand sollte sich zwingen, Pornos zu gucken, um locker zu wirken. Was man aber dringend tun sollte: Menschen, die einen prüde nennen, von der Freundesli­ste streichen.

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 ??  ?? Das A und O bei fairen Pornos: Sie zeigen eine Vielfalt von Sexualität­en und Körperbild­ern. Welchen Unterschie­d das macht, hat unsere Redakteuri­n gespürt
Das A und O bei fairen Pornos: Sie zeigen eine Vielfalt von Sexualität­en und Körperbild­ern. Welchen Unterschie­d das macht, hat unsere Redakteuri­n gespürt

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