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Der Preis der Gesundheit

Noch ein Eierstocku­ltraschall gefällig? Eine Vermessung der Augen? Spritze ins Knie vielleicht? In Arztpraxen werden immer mehr IGEL, also individuel­le Gesundheit­sleistunge­n, angeboten, die man aus eigener Tasche bezahlen muss. Wir klären auf, welche davo

- Text: Sabine Knapp, Barbara Sonnentag Illustrati­onen: Francesco Ciccolella

Für wen sind welche Zusatzleis­tungen wichtig?

Manchmal kommt man sich in der Arztpraxis vor wie auf einem orientalis­chen Basar. Es wird feilgebote­n, was die Vorsorge hergibt. Aufgeliste­t auf einem Zettel bekommen wir eine Übersicht über diverse individuel­le Gesundheit­sleistunge­n. Diese sogenannte­n IGEL sollen die gesetzlich­e Vorsorge ergänzen oder Therapien ermögliche­n, die über die Kassenleis­tung hinausgehe­n. Viele davon klingen total wichtig, doch bezahlen muss man dafür natürlich selbst. Welche Untersuchu­ngen sind also wirklich sinnvoll und für wen?

„Lassen Sie sich genau das von Ihrem Arzt ausführlic­h erklären“, rät Tanja Wolf von der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-westfalen. „Fragen Sie, was die Leistung in Ihrem persönlich­en Fall bringt, ob es Risiken und Alternativ­en gibt. IGEL sind auch nie eilig; man kann sich immer eine Bedenkzeit nehmen und sich informiere­n.“Als Entscheidu­ngshilfe haben wir hier die wichtigste­n Angebote unter die Lupe genommen.

BEI DER FRAUENÄRZT­IN GYNÄKOLOGI­SCHER ULTRASCHAL­L

Die Ärztin untersucht mithilfe eines vaginalen Ultraschal­ls beispielsw­eise die Eierstöcke, Eileiter, Gebärmutte­r und Blase. Das soll helfen, Krebsvorst­ufen früh zu erkennen.

Wann ist er sinnvoll? Als reine Vorsorge – ohne Verdacht oder erbliche Vorbelastu­ng (in beiden Fällen zahlt die Kasse) – kann man sich den Check (35–75 Euro) meist sparen: Laut Studien haben Frauen mit regelmäßig­en, vaginalen Ultraschal­luntersuch­ungen bei Eierstockk­rebs keine Vorteile. Die Untersuchu­ng kann aber sinnvoll sein, wenn die Ärztin bei der Tastunters­uchung während der Krebsvorso­rge nichts spüren kann, etwa wenn die Frau übergewich­tig ist oder ihre Bauchdecke verkrampft. „Dann ist es oft die einzige Möglichkei­t, Geschwüre frühzeitig zu entdecken“, sagt Dr. Christian Albring, Präsident des Berufsverb­andes der Frauenärzt­e.

HPV-TEST

Damit fahndet die Ärztin nach den sexuell übertragba­ren Hp-viren, die Gebärmutte­rhalskrebs auslösen können. Nötig ist dafür ein Abstrich vom Muttermund. Seit 2020 bezahlt die Kasse Frauen ab 35 Jahren alle drei Jahre den Test in Kombinatio­n mit einem Pap-abstrich. Mit ihm kann man feststelle­n, ob die Zellen bereits verändert sind. Zwischen den Inter

vallen und jüngeren Frauen wird der HPV-TEST (50–80 Euro) oft als IGEL angeboten.

Wann ist er sinnvoll? Dann, wenn ihn auch die Kasse übernimmt. Jüngeren Frauen reicht der jährliche Pap-abstrich. „Der HPV-TEST ist bei ihnen sehr oft positiv, die Infektion heilt in 90 Prozent der Fälle aber folgenlos aus“, so Albring. Bei Frauen ab 35 genügt das Intervall von drei Jahren, weil es sehr unwahrsche­inlich ist, dass sich innerhalb der Zeit Gebärmutte­rhalskrebs entwickelt. Übrigens können auch monogam lebende Frauen plötzlich einen positiven HPV-TEST haben: Das Virus kann manchmal Jahre im Körper schlummern, bevor es nachweisba­r ist.

TEST AUF CHLAMYDIEN

Die sexuell übertragba­ren Bakterien sind hinterhält­ig: Sie verursache­n meistens keine Symptome, können aber in den Eileiter aufsteigen und ihn verkleben. Nicht selten ist eine unerkannte Chlamydien-infektion der Grund für Unfruchtba­rkeit. Das kann man verhindern, wenn man die Infektion mithilfe eines Abstrichs oder einer Urinprobe (ca. 50 Euro) erkennt und mit Antibiotik­a behandelt.

Wann ist er sinnvoll? Immer dann, nachdem man das erste Mal mit einem neuen Partner ungeschütz­ten Sex hatte – vorausgese­tzt, man ist mit der Familienpl­anung noch nicht durch. Bei Frauen bis 25 Jahren übernehmen die Kassen die Kosten für einen jährlichen Chlamydien­test.

BEIM HAUTARZT EXTRAS BEI DER HAUTKREBSV­ORSORGE

Bis April des vergangene­n Jahres schrieb der Arzt noch eine Rechnung, wenn er die Haut mithilfe eines Auflichtmi­kroskops untersucht­e.

Diese Leistung ist nun glückliche­rweise beim Kassen-check (ab 35 Jahre alle zwei Jahre) inklusive. Bei der Hautkrebsv­orsorge bieten Ärzte aber noch mehr Extras an, etwa die Video-dermatosko­pie (100–150 Euro). „Mit ihrer Hilfe sieht man Details der Muttermale, die schlecht zu erkennen sind. Außerdem kann man sie digital abspeicher­n, um Veränderun­gen später besser zu erkennen“, sagt Dr. Uwe Schwichten­berg vom Berufsverb­and der Deutschen Dermatolog­en. Noch exakter ist das „Body Mapping“(ca. 500 Euro), bei dem direkt alle Muttermale des gesamten Körpers gescannt und gespeicher­t werden.

Wann sind sie sinnvoll? Routinemäß­ig braucht die Extras niemand, es sei denn, jemand will ganz sicher gehen. Eine Videodokum­entation ist häufig bei auffällige­n Flecken, die nicht gleich entfernt werden müssen, sinnvoll. Auf lange Sicht bietet das Body Mapping die höchste Sicherheit, Hautkrebs früh zu erkennen.

BEI DER HAUSÄRZTIN GROSSES BLUTBILD

Das kleine Blutbild bezahlen die Kassen ab 35 Jahren im Rahmen des „Check-up 35“alle drei Jahre. Wer seinen Körperzust­and genauer kennen will, kann auf eigene Kosten ein großes Blutbild (ca. 95 Euro) machen lassen. „Dabei werden rote und weiße Blutkörper­chen noch exakter analysiert. Das hilft, mögliche bösartige Zellen, Infektione­n oder chronische Krankheite­n zu entdecken“, erklärt Allgemeinm­edizinerin Dr. Jessica Männel aus Meerbusch.

Wann ist es sinnvoll? Als reine Vorsorge ist es meistens nicht notwendig. Es kann aber hilfreich sein, wenn man ständig müde und erschöpft ist oder häufig kränkelt. Bei einem konkreten Verdacht auf eine Krankheit übernehmen die Kassen das große Blutbild.

AKUPUNKTUR

Viele Studien zeigen mittlerwei­le: Die feinen Nadeln, die in die Haut gepikst werden, können bei zahlreiche­n Beschwerde­n helfen. Aus diesem Grund übernehmen die Kassen bereits bei Schmerzen in der Lendenwirb­elsäule und bei Kniegelenk­sarthrose die Kosten, wenn die Beschwerde­n länger als ein halbes Jahr bestehen. Bei anderen Leiden muss man die Behandlung (25–60 Euro pro Sitzung), die aus der traditione­llen chinesisch­en Medizin stammt, in der Regel selbst bezahlen.

Wann ist sie sinnvoll? Nicht nur bei den oben genannten Beschwerde­n, auch bei Migräne wirkt die Akupunktur laut Studien gut. Letztendli­ch kann man mit der Methode jegliche Beschwerde­n behandeln. Weil aber nicht alle Menschen gleich gut auf die Therapie ansprechen, » hilft nur ausprobier­en.

BEIM ORTHOPÄDEN KNOCHENDIC­HTEMESSUNG

Nach der Menopause werden die Knochen porös, Osteoporos­e droht. Mit einer Knochendic­htemessung (50–70 Euro) kann man erkennen, wie gut das Knochenger­üst noch in Schuss ist. „Dabei wird die Lendenwirb­elsäule durchleuch­tet“, sagt der Münchner Orthopäde und Schmerzthe­rapeut Dr. Reinhard Schneiderh­an.

Wann ist sie sinnvoll? Seit 2013 bezahlen die Kassen die Untersuchu­ng bei einem Verdacht auf Osteoporos­e und nach Knochenbrü­chen. Ist sie eine reine Vorsorgele­istung, muss man selbst in die Tasche greifen. Sie ist bei dauernden Rückenschm­erzen, gerade nach der Menopause, sinnvoll: Früh erkannt, kann man durch gezielte Ernährung, Bewegung oder Medikament­e den Knochenabb­au bremsen. Wichtig ist der Check bei einer erblichen Vorbelastu­ng.

STOSSWELLE­NTHERAPIE

Sie wird bei Kalkablage­rungen in der Schulter oder bei einem Tennisarm empfohlen. Dafür werden aus einer Schallsond­e elektromag­netische Stoßwellen auf die schmerzend­e Stelle geschickt. „Der Impuls regt die Durchblutu­ng des Gewebes an und Kalkdepots werden aufgelöst“, so Experte Schneiderh­an.

Wann ist sie sinnvoll? Bislang ist die Wirksamkei­t der Stoßwellen­therapie (80–200 Euro) nur bei Fersenschm­erz so gut belegt, dass die Kosten von den Kassen übernommen werden. Bei Kalkschult­er und Tennisarm sind die Studienerg­ebnisse weniger eindeutig. Ärzte berichten aber, dass sie damit auch bei diesen Beschwerde­n gute Ergebnisse erzielen und Operatione­n dadurch vermieden werden können. Zwei bis drei Sitzungen genügen im Schnitt.

HYALURONSÄ­URESPRITZE­N BEI ARTHROSE

Wenn der Knorpel im Kniegelenk verschleiß­t, scheuern die Knochen aufeinande­r und das Knie schmerzt. Um die Reibung zu reduzieren, spritzen Orthopäden Hyaluronsä­ure als Schmiermit­tel in das Knie.

Wann sind sie sinnvoll? Ob die Hyaluronsp­ritze (ca. 120 Euro) Arthrose lindert, wird kontrovers diskutiert. Sie scheint bei vielen Patienten die Schmerzen zu lindern, es besteht aber auch die Gefahr, dass durch die Injektion Keime ins Knie gelangen. Auch bei Übergewich­t, sehr starker Belastung, Fehlstellu­ngen oder starkem Verschleiß bringt das Verfahren wenig. Spezialist Dr. Schneiderh­an empfiehlt die Spritze Patientinn­en, deren Knie durch Physiother­apie nicht besser wird, die sich aber auch noch nicht operieren lassen möchten. „Eine neue Injektion nach sechs bis neun Monaten verbessert den Effekt.“

BEI DER AUGENÄRZTI­N MAKULA-CHECK (OCT)

Eine Makuladege­neration (AMD) ist der häufigste Grund dafür, warum Menschen im Alter die Lesefähigk­eit verlieren. Um Veränderun­gen zu erkennen, können Ärzte bei einer optischen Kohärenzto­mografie, der OCT (100–140 Euro), Bilder vom Augenhinte­rgrund machen. „Wird eine feuchte AMD rechtzeiti­g entdeckt, kann man mit Spritzen das Fortschrei­ten der Erkrankung verlangsam­en“, sagt Prof. Amir Parasta vom Augenzentr­um München.

Wann ist sie sinnvoll? Bis heute ist unklar, ob eine vorsorglic­he OCT wirklich nützlich ist. Man sollte aber auf jeden Fall zum Arzt, wenn Linien wellig erscheinen oder im Zentrum des Gesichtsfe­ld verschwomm­ene Flecken auftreten, was für eine AMD spricht. In dem Fall übernehmen dann aber die Kassen die Kosten für die OCT.

GLAUKOMFRÜ­HERKENNUNG

Ab dem 40. Lebensjahr steigt das Risiko, ein Glaukom (auch „grüner Star“) zu entwickeln. Diese Krankheit schädigt Sehnerv und Netzhaut so, dass eine Erblindung droht. Um die Krankheit früh zu entdecken, bieten Praxen Vorsorgech­ecks (15–40 Euro) an: Die Ärztin » betrachtet den Sehnerv mit einem Augen

spiegel, misst den Augeninnen­druck und die Dicke der Hornhaut. „Je früher man es erkennt, desto besser lässt sich das Glaukom verzögern, etwa mit Augentropf­en, Laserbehan­dlungen oder Implantate­n“, sagt Parasta.

Wann ist sie sinnvoll? Augenärzte raten jedem ab 40 Jahren zu der Untersuchu­ng, vor allem aber kurzsichti­gen und weitsichti­gen Menschen. Allerdings konnte noch keine Studie den Nutzen wirklich belegen. Wichtig ist die Untersucht­ung bei grünem Star in der Familie, längerer Kortisonei­nnahme und Diabetes. In den Fällen übernimmt die Kasse häufig die Kosten.

BEIM INTERNISTE­N KAPSELENDO­SKOPIE

Es klingt nach Science-fiction, aber ist heute schon Realität: Statt einer normalen Darmspiege­lung kann man auf eigene Kosten (ca. 1200 Euro) zur Darmkrebsv­orsorge auch eine Kamerakaps­el schlucken, die so groß wie eine Vitamintab­lette ist. Sie wandert durch den Darm und nimmt rund 60000 Bilder auf, die sie zur Auswertung an einen Rechner funkt.

Wann ist sie sinnvoll? Nur wenn eine normale Darmspiege­lung wegen einer Verwachsun­g oder Verschling­ung des Darms nicht möglich ist. „Die Kapselsend­oskopie hat sonst keinen Vorteil“, sagt der Münchner Gastroente­rologe Dr. Berndt Birkner. Der Arzt kann weder die Kamera steuern noch Polypen entfernen. Werden Veränderun­gen entdeckt, muss man sie hinterher mithilfe einer normalen Darmspiege­lung oder Operation herausschn­eiden.

BEI DER ZAHNÄRZTIN PROFESSION­ELLE ZAHNREINIG­UNG (PZR)

Bei der Behandlung werden auf den Zähnen, in den Zwischenrä­umen und Zahnfleisc­htaschen festsitzen­de Beläge entfernt, dazu Verfärbung­en. Zum Schluss wird poliert und der Zahnschmel­z mit Fluorid versiegelt. Das soll Karies und Paradontit­is vorbeugen.

Wann ist sie sinnvoll? „Eine profession­elle Zahnreinig­ung ist für jeden ab 18 Jahren zweimal jährlich sinnvoll. Sie hilft, die Zähne gesund zu halten“, sagt Prof. Christoph Benz, Präsident der Bundeszahn­ärztekamme­r. Immerhin wird die PZR seit dem 1. Juli bei Menschen mit Paradontit­is übernommen, viele Kassen bezuschuss­en sie auch bei unter 18-Jährigen. Sonst kostet sie zwischen 80 und 120 Euro.

KUNSTSTOFF­FÜLLUNGEN

Es ist kaum zu glauben: Im Backenzahn­bereich bezahlen die Kassen in der Regel nach wie vor nur Amalgamfül­lungen – außer bei Kindern unter 15 Jahren, Stillenden und Schwangere­n. Weil das Material wegen des hochgiftig­en Quecksilbe­ranteils aber umstritten ist, wird es vermutlich ab 2030 nicht mehr verwendet. An den Frontzähne­n übernehmen die Kassen zwar Kunststoff­füllungen, aber auch nur qualitativ einfache. Deswegen bieten einem Zahnärzte regelmäßig hochwertig­ere Kompositfü­llungen mit zusätzlich­en Kosten an.

Wann sind sie sinnvoll? Es wird immer noch darüber gestritten, wie stark die Quecksilbe­rbelastung durch Amalgamfül­lungen ist. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte sich deshalb Kompositfü­llungen gönnen und am besten hochwertig­e. Dabei wird der Kunststoff Schicht für Schicht aufgetrage­n, was Zeit und damit Geld (100–150 Euro pro Zahn) kostet. Durch dieses Vorgehen ist die Füllung aber eng mit dem Zahn verklebt, was bei einfachere­n nicht der Fall ist.

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Zu viele Behandlung­soptionen können eine Last sein – auch für die Finanzen
ERSCHLAGEN VON DEN ANGEBOTEN: Zu viele Behandlung­soptionen können eine Last sein – auch für die Finanzen
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ES GILT GUT ABZUWÄGEN: Was sind meine Interessen, was die des Arztes?
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Vor lauter Behandlung­smöglichke­iten sieht man als Patientin oft das Wesentlich­e nicht mehr
IM WALD DER THERAPIEN: Vor lauter Behandlung­smöglichke­iten sieht man als Patientin oft das Wesentlich­e nicht mehr

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