Nur nicht einrosten
„Eigentlich würde ich gerne…“, „Ich sollte besser …“: Haben Sie auch Lust auf Veränderung, zaudern aber vor dem ersten Schritt? Fünf Frauen erzählen, wie sie es geschafft haben, etwas Neues anzugehen – und wie das ihr Leben beflügelte
Von Umschulung bis Fallschirmsprung: Fünf Frauen erzählen, was sie gewagt haben. Und eine Motivationsexpertin gibt Tipps, wie der Neustart gelingt
Ulrike hat mit fast 50 ihren Traumjob gefunden
← »Zum Glück hat der Sachbearbeiter mir Mut gemacht« ULRIKE PFLUG, 50, PROJEKTMANAGERIN
„Wie ich mit fast 50 Jahren zu meinem Traumjob gekommen bin? Und das, obwohl meine Freunde alle sagten: ,In dem Alter findest du doch nichts mehr!‘ Weil ich die Schwarzmalerei irgendwann satthatte und mir sagte: ,Das wollen wir doch erst mal sehen!‘ Als Erstes bin ich zur Arbeitsagentur gegangen. Dass es nicht leicht werden würde, war mir klar: Ich war nicht nur Ende 40, sondern auch zwei Jahre komplett aus dem Berufsleben raus, weil ich meinen kranken Vater gepflegt hatte.
Doch bei der Arbeitsagentur hatte ich großes Glück: Es gab dort einen tollen Sachbearbeiter, der mir richtig Mut gemacht hat. Ich schlug eine Umschulung zur It-projektleiterin vor, doch ohne seine Zuversicht hätte ich den Neustart vielleicht nicht gewagt. Denn bis dahin hatte ich gedacht, dass so eine Spezialisierung gar nicht geht, weil ich auf dem Land lebe. Aber der Anbieter GFN gibt Frauen wie mir die Gelegenheit, online von zu Hause die Fortbildung zu machen. Das dauerte drei Monate und hat sich gelohnt: Gleich nach dem Abschluss habe ich einen Job gefunden. Heute bin ich bei dem Projekt ,Digitale Schule‘ in Hessen beschäftigt. Mit meinem Team sorge ich dafür, dass Lehrer, Eltern und Schüler leichter Zugang zu aktuellen Onlinesystemen haben. Eine tolle Aufgabe, die perfekt zu mir passt: weil ich die Abwechslung liebe und keine Angst vor neuer Technik und vor Innovation habe.
Was ich aus der Geschichte gelernt habe? Man muss zuversichtlich bleiben und darf sich auf keinen Fall selber kleinreden! Diese Gedanken helfen mir übrigens auch jetzt im Job. Wenn es mal knifflig wird, verzage ich nicht gleich, sondern bitte die Kollegen selbstbewusst um Unterstützung.“
↑ »Jeder kann helfen, man muss nur das richtige Projekt für sich finden« MARIE SPIEGEL, 21, STUDENTIN
„Ich bin aus Dankbarkeit aktiv geworden. Wir verdienen in Deutschland genug, können uns in der Regel ein gutes Leben leisten. Von diesem Glück wollte ich schon länger etwas abgeben und jemandem helfen, der es weniger gut erwischt hat. Weil ich aber nicht so viel Zeit habe, um zum
engagiert Marie Patenkind sich für ein in Kenia
Beispiel ehrenamtlich tätig zu sein, aber trotzdem nicht nur einmal spenden, sondern langfristig helfen und außerdem ganz konkret erleben wollte, welche Fortschritte die Hilfe macht, überlegte ich: Was kommt da infrage? Als ich dann im Rahmen meines dualen Studiums im Bereich öffentliche Verwaltung das erste eigene Gehalt auf dem Konto hatte, brachten mich meine Tante und meine Cousine auf eine Idee: Sie spenden für ein Patenkind bei World Vision und freuen sich unheimlich auf jeden seiner Briefe. Ihre Erzählungen haben mich so berührt, dass ich mich mit meiner Mutter auf der Internetseite (worldvision.de) informiert habe. Ich wurde dann Patin für ein zehnjähriges Mädchen in Kenia. Schon als ihr erster Brief kam, war das ein wirklich toller Moment: Ich fühlte ich mich gleich mit der kleinen Janet verbunden, wohl auch, weil ich mir immer eine kleine Schwester gewünscht habe. Sie erzählte, dass sie Anwältin werden will, und ich war tief beeindruckt, dass sie in ihrem jungen Alter schon so klare Vorstellungen hatte. Dank unserer monatlichen 35 Euro kann sie jetzt eine Schule besuchen. Mehr noch: Ihre ganze Region profitiert von Spenden der Paten, es werden zum Beispiel endlich Trinkwasserbrunnen gebaut.
Heute weiß ich: Für jemand anderen da zu sein, gibt ein unglaublich gutes Gefühl. Das habe ich natürlich schon geahnt, aber der persönliche Konkakt mit Janet und ihrer Familie hat mich restlos überzeugt: Jeder kann das richtige Projekt finden, um etwas zu verändern. Man braucht sich nur von Menschen mitreißen und inspirieren zu lassen, die ähnlich ticken.“
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»Der Gedanke an das fertige Ergebnis hielt mich bei der Stange« RIELE VON HEMMERICH, 56, STUDIENRÄTIN
„Schon als Kind habe ich mir gewünscht, in einem Haus zu leben, das anders ist als alle anderen. Vor 15 Jahren fand ich dann den Ort, der all meine Träume erfüllte: ein lichtdurchflutetes Davinci-haus mit riesigen Glasfronten und hochwertigem Fachwerk. Der Nachteil: Alle fünf bis acht Jahre müssen die Holzbalken von Hand abgeschliffen, lasiert und neu gestrichen werden. Als ich das erste Mal einem Handwerker dabei zuschaute, dachte ich mir: ,Das will ich auch können!‘ Aber wirklich rangewagt habe ich mich nie, aus Angst, das ganze Haus zu ruinieren.
Dann kam Corona. Ich verbrachte viel Zeit zu Hause, weil ich nicht mehr zur Arbeit pendeln musste. Der Stillstand ließ mich rastlos werden und irgendwann traf ich den Entschluss: wann, wenn nicht jetzt? Ich beschloss, die Balken selbst zu bearbeiten. Geholfen haben mir dabei eine gesunde Portion Mut und mein Talent, mir Neues anzueignen. Natürlich habe ich mir Rat vom Fachmann geholt und mir genau erklären lassen, worauf es ankommt. Dann legte ich los. Bei der Stange hielt mich der Gedanke, wie zufrieden ich am Ende mit mir sein werde. Und schließlich konnte sich mein Einsatz wirklich sehen lassen! Ich bin mächtig stolz auf mich. Es lohnt sich halt, auch mal etwas zu riskieren. Und ruhig auch richtig ranzuklotzen. Mein Zutrauen in meine Fähigkeiten ist noch größer geworden. Als Nächstes habe ich die Einfahrt selbst gepflastert und meine 100-Meter-hecke in Eigenregie geschnitten.“
Riele hat ihr Haus selbst renoviert
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»Über die hohe Mauer zu klettern, war für mich ein Schlüsselmoment« DIANA SCHUMM, 39, KOMMUNIKATIONSDESIGNERIN
„Zur Abenteurerin wurde ich, als ich über einen Zaun geklettert bin. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mein Leben lang alles gemieden, was mit Höhe zu tun hatte. Jahrelang war ich machtlos gegen meine Angst. Erst ein Pakt mit meiner besten Freundin, einer Psychologin, hat mich dazu gebracht, das davor Undenkbare anzugehen.
Es war zu einer Zeit, in der wir viel zu zweit in der Natur unterwegs waren und uns über unser Leben, unsere Hoffnungen und Ängste unterhielten. Unsere Erkenntnis: Wir trauen uns beide viel zu wenig zu! Das wurde uns bei den Gesprächen immer klarer. Daran wollten wir unbedingt etwas ändern – und uns gegenseitig dabei unterstützen. Deshalb begleitete ich meine Freundin, als sie, die niemals laut wurde, im Wald das erste Mal lauthals schrie. Und sie war dabei, als ich mich dem 2,50 Meter hohen Zaun stellte. Meine Freundin und ich wollten an diesem Tag zu einer Veranstaltung, waren aber viel zu spät dran. Pünktlich konnten wir nur noch kommen, wenn wir die einzige Abkürzung nahmen – und das hieß: rüber über den Zaun. Beim Hochsteigen schlackerten meine Beine, die Hände zitterten, mein ganzer Körper war voller Schweißperlen. Auf der anderen Seite pumpte das Adrenalin nur so durch meinen Körper. Aber ich fühlte mich großartig. Das zu schaffen, war mein Schlüsselmoment. Seitdem wage ich mich immer mehr. In den letzten Monaten habe ich sogar einen Klettersteig bestiegen. Das Mutigste aber war ein Fallschirmsprung. Ein unglaubliches Erlebnis!
Der Moment am Zaun damals hat mich gelehrt, dass ich einen gewissen Druck brauche, einen selbst gemachten Druck allerdings, genau so einen wie den freiwillig eingegangenen Pakt. Heute weiß ich meine Ängste in Schach zu halten: Ich gehe Situationen, in denen sie hochkommen könnten, nicht mehr aus dem Weg, sondern suche im Gegenteil immer neue Herausforderungen. Und mit jeder, die ich bewältige, werde ich stärker.“
Diana überwand ihre Höhenangst
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»Ich bin dreimal über meinen Schatten gesprungen und heute sehr glücklich« SANDRA MOSER, 39, QUALITÄTSMANAGERIN IM KRANKENHAUS
„Eigentlich bin ich keine Schnellstarterin. Im Gegenteil: Ich habe mir in meinem ganzen bisherigen Leben für Entscheidungen viel Zeit gelassen. Vielleicht hat es auch deshalb so lange nicht mit der Liebe geklappt. Im letzten Jahr bin ich dann gleich dreimal über meinen Schatten gesprungen und könnte heute nicht glücklicher sein! Der erste große Schritt war die Anmeldung bei Tinder. Eine Freundin hatte mich dazu überredet. Bis dahin hielt ich von Datingplattformen nichts: ,Was soll das bringen?‘, sagte ich immer. Da findet man doch höchstens schnellen Sex. Eines Tage matchte es dann mit Bernhard – seine Augen gefielen mir sofort. Er schrieb mich an und wollte mich treffen, aber das war zu Beginn des ersten Corona-lockdowns und mitten in all der Unsicherheit wollte ich kein Date. Doch Bernhard gab nicht auf: Er schrieb immer wieder. Nie fordernd, sondern einfach interessiert. Irgendwann gab ich mir einen Ruck, man kann das Leben ja nicht ewig im Pause-modus lassen. Unser erstes Date fand ganz unromantisch auf einem Supermarktparkplatz statt. Trotzdem fühlte sich alles gleich richtig an. Beim zweiten Date am nächsten Tag sang Bernhard mir ein Lied und wir küssten uns – und nur vier Monate später war ich schwanger. Wieder völlig untypisch für mich, die sonst jede Entscheidung zehnmal überdenkt. Aber Bernhard und ich fühlten uns beide reif für eine Familie. Nur dass es so schnell klappen würde, damit hatten wir dann doch nicht gerechnet. Nur zwölf Monate nach dem ersten Date wurden wir Eltern einer kleinen Tochter. Unser Glück ist grenzenlos.
Und es hat mich etwas fürs Leben gelehrt: Mittlerweile schiebe ich nicht mehr alles auf die lange Bank. Gelegenheiten, die sich einem bieten, muss man ergreifen, sonst verpasst man durch ewiges Hinterfragen das richtige Leben.“
Sandra fand innerhalb eines Jahres die große Liebe und gründete eine Familie