Johanna schreibt …
Warum sich Eltern (fast) nie helfen lassen wollen
Papa Liebe Tochter, du wolltest morgen den Bohrer abholen, richtig? Ich muss leider absagen.
Ich Kein Thema. Kuchendate bei der Nachbarin?
Papa OP an den Augen. Kuchen wäre mir lieber.
Ich Was ????? Was wird gemacht? Soll ich dich abholen?
Ich Wieso gehst du nicht ans Telefon?
Papa Grüner Star. Kein Grund, dramatisch zu werden. Und keine Umstände. Ich nehme ein Taxi. Hab noch einen schönen Tag. Dein Vater.
Ich möchte ihm einen schicken. Der gleiche Mann, der seit 38 Jahren sofort zur Stelle ist, wenn ich Hilfe brauche – sei es, um mich nachts fiebrig vom Ferienlager abzuholen oder um platte Reifen zu fixen –, hat Sorge, mir Umstände zu machen. Und lässt sich lieber von einem Wildfremden nach Hause bringen als von mir. Bin ich so eine miese Autofahrerin? Oder gar eine schlechte Tochter? Und sind das bereits Anflüge von Altersstarrsinn? Hört man schließlich immer wieder, dass Eltern im Alter vehement die Hilfe ihrer Kinder ablehnen. Aber hey, ich drohe meinem 76-jährigen Vater weder damit, ihm dem Führerschein abzunehmen, noch ihn in betreutes Wohnen zu stecken.
Um meinem Ärger Luft zu machen, rufe ich die Person an, die ihn am ehesten versteht: meine Mutter. Immerhin war sie 20 Jahre lang mit meinem Vater verheiratet. Außerdem ist sie selbst eine, die nie um Hilfe bittet und lieber einen Zentner
Mulch schaufelweise in den Garten tragen würde, als einmal zu fragen, ob ich mitanpacken kann.
Also: Wo ist das Problem? „Man will niemanden zur Last fallen“, erklärt sie mir. Tut sie nicht, und selbst wenn, hätte sie alles Recht dazu – ohne sie würde es mich gar nicht geben. Das lässt sie nicht gelten. „Ihr habt euer eigenes Leben und so viel um die Ohren. Da braucht ihr nicht uns Alte, die ständig was wollen. Allein wie viele Mails du immer beantworten musst …“Bevor ich sie unterbrechen kann, um zu sagen, dass das alles Quatsch sei, sagt sie, fast zu sich selbst: „Außerdem, wer gibt schon gerne zu, dass er Hilfe braucht?“
Ich denke plötzlich an meine dreijährige Tochter, die unheimlich stolz ist, wenn sie etwas alleine hinbekommt. Klar, ich applaudiere ihr ja auch jedes Mal, wenn sie sich selbstständig die Schuhe bindet oder ohne Hilfe Rad fährt. Von klein auf werden wir auf Autonomie getrimmt. Wie schwierig muss es sein, diese später stückweise wieder aufzugeben. Vor allem, weil das Hand in Hand geht mit dem Eingeständnis: „Ich werde alt, es geht nicht mehr alles.“
Der Ärger über meinen sturen Vater legt sich langsam. Was mich dennoch beschäftigt: Wenn es um technische Probleme geht, haben meine Eltern plötzlich keine Hemmungen, um Hilfe zu bitten. Das Tablet fordert Kreditkarteninfos? „Schaust du mal? Ich will doch gar nichts kaufen!“Die beste Freundin erzählt ständig von der Serie „The Crown“? „Du, dieses Netflix, wo finde ich das auf meinem Fernseher?“Ganze Nachmittage habe ich schon damit verbracht, sämtliches technisches Gerät auf den neuesten Stand zu bringen. Wieso ist das okay, aber Fahrdienste, Hilfe bei Einkäufen oder Gartenarbeit nicht? „Na ja, das geht ja meistens schnell, denken wir Unwissende zumindest“, sagt meine Mutter. „Und ich frage auch nur, wenn du eh schon da bist, zum Essen oder so.“Aha. Da bekommt so eine Einladung zum Sonntagskaffeekranz eine ganz neue Bedeutung. Es ist eine Art Gegengeschäft: Ich gebe dir Kuchen, du aktualisiert mein Handy. So fällt das Hilfeannehmen scheinbar leichter. Ob ich damit auch meinen Vater locken kann?
Ich Du Papa, ich müsste eh mal wieder zum Augenarzt für einen Sehtest. Da kann ich dich am Rückweg direkt mitnehmen.
Steigt er darauf nicht ein, lade ich mich künftig einfach öfter bei ihm zu (gekauftem) Kaffee und Kuchen ein. Und mache nebenher ein bisschen Haushalt oder bringe leere Flaschen weg – wenn ich eh schon da bin.