Große Freiheit voraus
Zwei Freundinnen machen Segelurlaub – obwohl beide nicht segeln können
Zwei Freundinnen, ein Segelurlaub: Anja liebt das Meer, Sabine wird seekrank. Segeln? Können beide nicht. Trotzdem gehen beide an Deck, um Kroatien eine Woche lang auf dem Wasserweg zu erkunden
W„Was machen wir diesen Sommer?“Auf die Frage meiner Freundin Anja antworte ich jedes Jahr das Gleiche: „Etwas, das wir noch nie gemacht haben!“Seit wir uns vor Jahren in Kuba kennenlernten, suchen wir gemeinsam das Reise-abenteuer. Dieses Jahr wollen wir es auf einem Segeltrip finden! Auf sanften Wellen die pure Kraft des Windes spüren, in einsamen Buchten aufwachen und vor dem Frühstück ins klare Wasser springen…mit 1244 Inseln und nahezu 1000 Ankerplätzen scheint Kroatien genau der richtige Ort dafür. Es gibt nur zwei Haken: Erstens, wir haben beide keinen Segelschein. Zweitens, ich werde seekrank. Doch ist nicht gegen jedes Leiden ein Kraut gewachsen? Ist es – weshalb alles, das Linderung verspricht, in meinem Koffer landet.
In Trogir an der Marina Agana beginnt unsere Reise, wir haben nicht nur die Segeljacht gebucht, sondern den Skipper gleich dazu. In unserem Fall ist das Marko, der uns vor der 12 Meter langen Jacht empfängt. Ich bin tatsächlich etwas enttäuscht. Zu gerne hätte ich mich in den Händen eines bärtigen
Und was machen wir heute? Segel-lektionen wären angebracht, doch an Land rufen von überall her die Verlockungen, ob der Bummel über den Markt oder die Köstlichkeiten der Restaurants
»Leinen los? Gern, wenn ich nur wüsste, wie!«
Seebären gewusst, der mich sicher durch die tosenden Wogen navigiert. Marko hingegen ist ein junger Typ, ziemlich drahtig. Er wirkt nett, aber auch sehr unerfahren. Zur Begrüßung kichern wir alle verlegen. Ob das gut gehen wird?
DAS GEFÜHL GROSSER FREIHEIT
Über den schmalen Holzsteg bringen wir den Proviant an Bord (drei volle Einkaufswagen, schließlich versorgt man auf dem Segelboot den Skipper mit). Unsicher wackeln wir über das Boot – überall Taue und Stricke und am lockeren Draht der Reling festhalten hilft nicht wirklich. Als wir schließlich ablegen, wird es kurz hektisch, Bojen reinholen, Taue lösen, Motor starten, auf die anderen Boote aufpassen, doch kaum sind wir aus dem Hafen, dürfen wir es uns gemütlich machen. Der erste Tag auf dem Wasser fliegt nur so dahin.
„I like it when it’s quiet“, verrät Marko auf hoher See. Ich weiß genau, was er meint: Wenn der Motor aus ist und wir mit vollen Segeln Richtung Horizont plätschern, macht sich ein Gefühl von großer Freiheit breit.
Irgendwann erreichen wir die Blue Lagoon Krknjaši von der Insel Drvenik Veli und legen an. Mit der eigenen Jacht anzukommen, fühlt sich an wie der Himmel auf Erden, schon an Tag 1 sind wir berauscht vom Segelglück. Trotz meines leicht schwankenden Gangs – er stellt sich jedes Mal ein, sobald ich festen Boden unter den Füßen habe – beschleicht mich die Idee, niemals wieder anders zu reisen. Ich träume davon, jeden Tag an einer anderen Bucht anzulegen, einen anderen Ort zu entdecken. Und genau das erwartet Anja und mich die nächsten Tage, auf dem Wasserweg entdecken wir die Vielfalt Dalmatiens: zauberhafte Locations wie die Insel Šolta, neun nautische Meilen von Split entfernt, mit ihren wundervoll einsamen Buchten oder klitzekleine Dörfer ohne Touristen wie auf Drvenik Veli, in denen wir köstlich frischen Fisch bei den Einheimischen kaufen und ihn abends zusammen mit Marko auf dem Boot braten. Das sind die schönsten Abende, auf Anker, alleine in der Bucht, wir blicken auf dieses unfassbar türkise Wasser, Kiesstrände, Zypressen und Pinien und kommen immer mehr zur Ruhe, bis platsch, wir noch mal spät nachts ins Meer springen. Manchmal legen wir auch im Hafen an, Boot an Boot mit anderen Seglern, denen wir beim letzten Absacker zuprosten und am nächsten Morgen, wenn wir alle aus unseren Kajüten krabbeln, verschlafen ins Gesicht blinzeln. Es scheint, als fühlten wir alle nur das eine: Das Leben ist schön. In Hvar laufen wir hoch zur alten Festung. Von diesem erhabenen Punkt aus erstrahlt ein fantastischer Ausblick auf die Pakleniinseln (Paklinski Otoci) und jetzt können wir uns genau vorstellen, wie die Buchten dort aussehen.
EIN STURM ZIEHT AUF
Weniger schön wird es, als plötzlich Windwechsel angesagt ist und dicke Wolken aufziehen. Es geht heftiger Wind. 5,8 Knoten. 10,5 Knoten, Segel raus, Motor abschalten. Eigentlich ist dieser Übergang, wenn die Natur den Motor ablöst, faszinierend. Aber bei 20 Knoten wird’s wild! Unsere Jacht liegt auf der Backe – Segelsprech für diese unglaubliche Schräglage des Bootes, mit der wir jetzt durch die tosenden Wellen preschen. Die Gischt spritzt uns ins Gesicht, der Himmel grollt von oben, das Wasser
»Nur die Zähne sind geputzt, mehr ist auch gar nicht nötig«
von unten. Welch ungeheure Kraft der Natur! Ich realisiere, wie unwichtig und klein ich selber auf dem Meer bin. Und wie machtlos – denn ich habe keine Idee, wie ich helfen könnte! Marko ruft uns zu, wir sollen uns festhalten oder unter Deck gehen. Er selbst ist schwer in Aktion, um alles unter Kontrolle zu halten. Ich sorge mich, dass das Boot aus dieser Schräglage umkippt. Oder wir über Bord gehen. Alles klappert, quietscht, beugt sich, scheppert und schwankt. Nicht ordnungsgemäß Verstautes fliegt durch die Gegend. Ich flüchte in meine Kabine. Ein Fehler, denn dann schlägt die Seekrankheit zu. Die Zeit bleibt stehen, während der Himmel sich lautstark und gnadenlos im Meer ergießt und mir einen Vorgeschmack auf die Hölle gibt.
UNSER COOLER KAPITÄN
Als alles vorbei ist, realisiere ich, welche mentale Stärke allen abgefordert wird, die auf ihrer Jacht im Blauwasser, zum Beispiel bei einer Atlantiküberquerung, unterwegs sind: sich alle paar Stunden gegenseitig ablösen, immer einen kühlen Kopf bewahren und wissen, was zu tun ist. Plötzlich sehe ich Marko mit völlig anderen Augen. Er verdient meinen größten Respekt dafür, wie er die Jacht auch im heftigsten Sturm absolut souverän im Griff hat. Und dann schläft dieser Typ auch noch nachts draußen an Deck, um uns unter Deck unsere Privatsphäre zu geben. Sowieso haben wir Glück mit ihm:
Wenn wir wollen, verbringt er überaus lustige Abende in Restaurants oder Bars mit uns. In anderen Häfen ziehen wir alleine los und er hält die Stellung an Bord – einen cooleren Weggefährten hätten wir uns nicht wünschen können.
Nach dem wilden Ritt sind wir froh, in die ruhige Bucht von Palmižana einzulaufen. Unser Käpt’n holt die Segel ein. Segeln können wir noch lange nicht, aber Anja und ich werden immer passablere Helfer, wenn wir die Fender befestigen und die Leinen zum Anlegen bereithalten. Nicht schlecht, sich nützlich machen zu können: Bei jedem Anlegen springt eine von uns an Land und versucht sich am Palstek, einem der wichtigsten Segelknoten. Es verknoten sich mehr die Hände als das Seil. Noch viel zu lernen! Doch die wichtigste Lektion dieser Reise haben wir schon gemacht: Auch im Traumurlaub kann man Demut lernen.