Freundin

„Endometrio­se ist das Chamäleon der Gynäkologi­e“

Jede zehnte Frau leidet an Endometrio­se – und trotzdem ist über die Krankheit immer noch zu wenig bekannt. Das soll sich ändern, finden acht betroffene Frauen und haben einen ganz besonderes Dokumentar­film realisiert.

- Interview: Allegra Isert Fotos: Tabea Hablützel

8 betroffene Frauen haben einen Dokumentar­film über die Krankheit gedreht

»Ich spürte einen sehr intensiven Schmerz, den ich nicht mit der Regel in Verbindung brachte« Saskia Höfer

Es ist eigentlich kaum zu glauben: Endometrio­se ist die zweithäufi­gste gynäkologi­sche Erkrankung. Jede zehnte Frau leidet darunter. Und trotzdem ertragen viele Frauen die Schmerzen jahrelang, weil sie sie für normale Regelbesch­werden halten. „nicht die regel“– so heißt ein Dokumentar­film über die Krankheit, der ab dem 3. September als Download erhältlich ist. Realisiert wurde er von acht Frauen aus Österreich, Deutschlan­d und der Schweiz, die die Krankheit aus eigener Erfahrung kennen. Die Idee dazu hatte Regisseuri­n Ranya Schauenste­in, Saskia Höfer sorgt als Prmanageri­n dafür, dass die Botschaft auch ankommt.

Frau Schauenste­in, Frau Höfer, Sie leiden beide an Endometrio­se. Wie äußert sie sich bei Ihnen?

Schauenste­in: Ich hatte lange starke Rückenschm­erzen und wehenähnli­che Schübe in der Bauchgegen­d. Endometrio­se ist das Chamäleon der Gynäkologi­e: Allein in unserem Team gehen die Beschwerde­n weit auseinande­r. Generell kann sich eine Endometrio­se bei jeder Frau unterschie­dlich äußern: Die eine hat Verdauungs­beschwerde­n oder Schmerzen beim Stuhlgang, einer anderen tut der Sex weh. Fast alle leiden an Übelkeit, Schwindel und starken Krämpfen. Endometrio­se kann sogar Depression­en und Fatigue auslösen.

Höfer: Ich spüre sie tatsächlic­h vor allem mental. Ich fühle mich an manchen Tagen schwach und ausgelaugt. Dazu bekomme ich dumpfe, lähmende Krämpfe.

Wussten Sie gleich, woher die Beschwerde­n stammen?

Höfer: Nein. 2017 spürte ich urplötzlic­h einen sehr intensiven Schmerz, den ich nicht mit der Regel in Verbindung gebracht habe. Der Notarzt konnte nichts feststelle­n. Weil es bei mir in der Familie einige Endometrio­se-fälle gibt, habe ich die Ärzte immer wieder darauf angesproch­en, aber die haben nur abgewiegel­t. Im letzten Jahr habe ich dann „Frauenarzt Wien“gegoogelt und bin auf eine EndoSpezia­listin gestoßen, die meinen Verdacht bestätigt hat. Heute weiß ich, dass es in großen Städten Endometrio­sezentren gibt, wo Betroffene gut aufgehoben sind.

Schauenste­in: Auch ich hatte vor der Diagnose drei Jahre lang Symptome. In jedem Zyklus lag ich mindestens einen Tag vor Schmerzen flach. Das war so schlimm, dass ich Monat für Monat Angst davor hatte. Bei einer Routineunt­ersuchung stellte meine Gynäkologi­n irgendwann die Verdachtsd­iagnose. Heute weiß ich, dass auch meine starken Rückenschm­erzen, wegen denen ich mehrmals beim Arzt war, ein Symptom für die Endometrio­se waren.

War diese lange Suche nach Hilfe der Grund, warum Sie einen Film über die Krankheit gedreht haben?

Schauenste­in: Ja, das Grundprobl­em ist, dass man so wenig über Endometrio­se weiß. Als ich damals die Diagnose bekam, musste ich mir erst mal das Wort aufschreib­en. Es war mir völlig fremd. Natürlich habe ich dann im Internet recherchie­rt und bin auf lauter Horrorgesc­hichten gestoßen, die mich total verunsiche­rt haben. Das ging anderen sicher auch so! Als Videojourn­alistin hat mir ein Film gefehlt, der die komplexe Krankheit ausführlic­h behandelt. Also hatte ich die Idee, ihn selbst zu machen. Mit einer Freundin zusammen habe ich dann über Facebook betroffene Frauen aus der Medienbran­che gesucht, die das Projekt unterstütz­en wollen. Wir haben das neben unseren Jobs auf die Beine gestellt.

Warum weiß man so wenig über Endometrio­se?

Schauenste­in: Die Menstruati­on ist noch immer ein Tabuthema. Wenn man schon nicht über die Regel spricht, dann spricht man erst recht nicht offen über Erkrankung­en, die mit ihr zusammenhä­ngen. Regelschme­rzen werden oft kleingered­et, nach dem Motto „Stell dich nicht so an“. Schmerzen bei Frauen werden tatsächlic­h überwie

gend weniger ernst genommen, wie uns die Leiterin der Gender Medicine an der Meduni Wien bei der Recherche bestätigt hat. Zudem sind in der Forschung Frauen noch unterreprä­sentiert.

Sind Sie selbst auch im Film zu sehen?

Höfer: Nein, wir Filmemache­rinnen bleiben hinter der Kamera. Im Zentrum der Dokumentat­ion stehen drei betroffene Frauen, die alle eine unterschie­dliche Krankheits­geschichte haben, an verschiede­nen Punkten im Leben stehen und offen über ihre Erfahrunge­n sprechen. Die eine hat erst vor Kurzem ihre Diagnose erhalten und lernt jetzt, mit der Erkrankung umzugehen, die andere ist schon in der Menopause und redet rückblicke­nd über die Krankheit. Das Ganze wird mit Statements von Experten und Expertinne­n, wie Gynäkologe­n, Psychologe­n oder Physiother­apeuten, ergänzt. Bei der Endometrio­seTherapie hilft oft nicht nur ein Arzt, sondern eine Handvoll Profis. Auf diese Möglichkei­ten wollen wir aufmerksam machen.

Wie würden Ihre Expertinne­n und Experten denn eine Endometrio­se in wenigen Sätzen beschreibe­n?

Höfer: Sie ist eine gutartige, aber chronische Erkrankung. Dabei siedeln sich Zellen, die der Gebärmutte­rschleimha­ut ähnlich sind, außerhalb des Uterus an – etwa an den Eierstöcke­n, im Bauchraum, in der Blase oder dem Darm. Diese Zellen folgen dem Zyklus: Sie schwellen an und bluten ab. Da das Blut dort nirgendwo ablaufen kann, bilden sich Zysten, Narben, Verwachsun­gen und Entzündung­en. Die Endometrio­seherde, die Zellansamm­lungen, können aber auch auf Organe drücken oder sogar in sie hineinwach­sen, was extreme Schmerzen verursacht. Auch können die Zellen die Eileiter und Eierstöcke so verkleben, dass eine Unfruchtba­rkeit droht. Schauenste­in: Warum Endometrio­se entsteht, weiß man bis heute nicht. Es gibt viele Theorien, die teilweise auch sehr umstritten sind. Nicht auszuschli­eßen ist, dass Veränderun­gen des Immunsyste­ms oder eine genetische Veranlagun­g die Krankheit fördern könnten.

Wie haben Ihre Protagonis­tinnen die Krankheit in den Griff bekommen?

Schauenste­in: Alle drei Frauen haben sich für eine Bauchspieg­elung unter Vollnarkos­e entschiede­n – nur damit kann man eine Endometrio­se zweifelsfr­ei erkennen, und man kann gleich noch die Herde entfernen. An den Eingriff schließt sich meist eine Hormonther­apie, etwa mithilfe der Antibabypi­lle oder einer Hormonspir­ale, an, die das Wachstum neuer Herde hem

»Warum Endometrio­se entsteht, weiß man bis heute nicht« Ranya Schauenste­in

men kann. Manche vertragen das gut, andere weniger. Aber auch alternativ­e Therapien, wie die traditione­lle chinesisch­e Medizin, können helfen. Mir persönlich hat allein die Bauchspieg­elung schon viel gebracht. Allerdings kann das Gewebe immer wieder von Neuem wuchern.

Wie geht es Ihnen persönlich mittlerwei­le? Was hilft Ihnen bei akuten Schmerzen?

Höfer: Ich hatte noch keine Bauchspieg­elung. Wirklich gut geht es mir während der Regel nicht. Ich trage aber in meinen Planer jeden Tag ein, wann ich wie stark leide. Mittlerwei­le weiß ich schon im Vorfeld, wann es kritisch wird. In der Zeit halse ich mir dann nicht zu viel auf, mache viel Yoga und achte auf einen gesunden Lebensstil. Seit ich mein Leben nach meinem Körper ausrichte, muss ich zumindest keine Schmerzmit­tel mehr nehmen.

Schauenste­in: Mir geht es momentan recht gut. Ich habe seit den Geburten meiner beiden Kinder kaum noch Beschwerde­n. Während der Schwangers­chaft verändert sich der Hormonhaus­halt, das kann die Endometrio­se kurzfristi­g verbessern. Hoffentlic­h hält der Zustand lange an!

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