Friedberger Allgemeine

Mittendrin, aber nicht dabei

Zehntausen­de Türken gehen in Köln für Erdogan auf die Straße. Nachdem ihm ein Live-Auftritt untersagt wurde, schickt der Präsident eine Grußbotsch­aft – und alle jubeln

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Köln Ein Meer aus roten HalbmondFl­aggen, viele Männer und Frauen sind ganz eingehüllt in die türkische Nationalfa­hne, es geht emotional zu bei der Kundgebung in Köln. Auch der Regen kann die zehntausen­den Teilnehmer nicht schrecken. Offizielle­s Thema ist der gescheiter­te Putschvers­uch in der Türkei vor zwei Wochen. Aber die Demo-Teilnehmer wollen vom Rhein vor allem eine machtvolle Botschaft senden: volle Unterstütz­ung für den Kurs des islamisch-konservati­ven Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan.

Viele scheinen geradezu im Erdogan-Rausch. Von der Bühne ruft ein Redner: „Wir sind Deutschlan­d.“Er wartet auf das Echo. Aber aus der Masse schallt ihm entgegen: „Allahu akbar“– Arabisch für „Gott ist groß“. Die türkische und die deutsche Nationalhy­mne werden gespielt. Eine Schweigemi­nute für die Opfer des Putsches in der Türkei wird abgehalten, auch für die Toten bei den Terroransc­hlägen in Deutschlan­d und Frankreich.

Die Themen vermischen sich. Im Fokus aber steht Erdogan – und der Jubel der Menge ist ihm jedes Mal gewiss. In der Türkei hat der umstritten­e Präsident den Ausnahme- zustand verhängt, lässt die Behörden massiv gegen mutmaßlich­e Verschwöre­r in Militär, Justiz und Medien vorgehen. Demo-Teilnehmer Cabuk Kenan findet das richtig. „Es ist gut, dass Erdogan jetzt durchgreif­t“, meint der 29-Jährige, der eigens aus den Niederland­en angereist ist. „Wir wollen zeigen, dass wir hinter ihm stehen.“Auch Habib Aydin (26) aus Stuttgart sagt: „Die Verhaftung­swelle sehe ich nicht kritisch. Es muss eine Säuberung gemacht werden. Der Putschvers­uch hat sich gegen die Demokratie gerichtet.“Es sei falsch, wenn Kritiker und Medien Erdogan als Diktator darstellte­n.

Die Veranstalt­er rufen immer wieder zum Zusammenha­lt auf. Man wolle friedlich für Rechtsstaa­tlichkeit eintreten und stehe „auf der Seite des wehrhaften türkischen Volkes“. Melek Kum – mit der türkischen und deutschen Nationalfl­agge ausgerüste­t – ist besorgt, weil ein Riss durch die türkische Community gehe. „Egal, ob ErdoganAnh­änger oder Erdogan-Gegner – wir müssen alle besser zusammenha­lten.“Deshalb ist die 32-Jährige gekommen, mit Mutter und Schwester, aus Krefeld.

Maßgeblich mitorganis­iert hat die Kundgebung die Union Europäisch­Türkischer Demokraten (UETD), die der türkischen Regierungs­partei AKP sehr nahesteht. Sie durfte Erdogan selbst zwar nicht per Videogroßl­einwand zuschalten. Aber immerhin hat Ankara den Sport- und Jugendmini­ster Akif Cagatay Kilic an den Rhein geschickt. Überrasche­nd richtet Erdogan dann doch noch einige Worte an die Demo-

Für die Polizei ist der Tag eine Bewährungs­probe

Teilnehmer. Ein Grußwort wird verlesen. Unter Riesenbeif­all dankt Erdogan dem türkischen Volk für seinen „mutigen“und „beispielha­ften“Einsatz gegen die Putschiste­n. „Heute ist die Türkei stärker, als sie je vor dem 15. Juli gewesen ist.“

Schon vor dem Putsch hatten sich einige Experten überrascht gezeigt über den „langen Arm“des türkischen Präsidente­n nach Deutschlan­d. Im europäisch­en Vergleich habe Erdogan in Deutschlan­d wohl die meisten Anhänger, sagt auch die muslimisch­e NRW-Abgeordnet­e Serap Güler (CDU). Das passt zu dem Bild, das sich in Köln bietet. „Erdogan ist ein Held“steht auf einem Transparen­t. Es ist ein Sonntag, wie man ihn in Köln noch nicht erlebt hat. 2700 Polizisten sind im Einsatz, zeitweise laufen vier Gegenkundg­ebungen parallel. Unter anderem versammeln sich etwa 250 Rechtsextr­eme vor dem Hauptbahnh­of – schließlic­h löst die Polizei diese Kundgebung auf.

Für die Kölner Polizei ist der Tag eine Bewährungs­probe nach dem Versagen in der Silvestern­acht. Gerüchte schwirren herum: Man habe Scharfschü­tzen aufgestell­t. Von der Polizei gibt es dazu keinen Kommentar. Nicht zu übersehen ist aber, dass sie so ziemlich alles aufbietet, was ihr zur Verfügung steht. Die Einsatzwag­en stehen Stoßstange an Stoßstange, dahinter Wasserwerf­er.

Nicht alle Kölner zeigen Verständni­s für die Demo. „Dass der politische Kampf in der Türkei zu uns nach Deutschlan­d verlegt wird, finde ich nicht korrekt“, sagt Anwohner Rainer Musculus. Nele Skipp gibt zu bedenken: „Eine ProMerkel-Demo würde in der Türkei ja wohl niemals erlaubt. Und deshalb ist das heute in Köln auch falsch.“(dpa)

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