Friedberger Allgemeine

Freiheitss­trafe nach Überfällen auf Frauen

30-Jähriger wird zu sechseinha­lb Jahren Haft verurteilt. In einem Fall geht das Gericht von einer versuchten Vergewalti­gung aus, im anderen Fall reichen die Indizien dafür nicht

- VON PETER RICHTER

Wenn es gut für Erwin B.* läuft, kommt er nach drei Jahren aus dem Gefängnis. Die 3. Strafkamme­r des Landgerich­ts hat ihn zu einer Freiheitss­trafe von sechseinha­lb Jahren verurteilt. Schuldig der gefährlich­en Körperverl­etzung, der versuchten besonders schweren Vergewalti­gung sowie der besonders schweren sexuellen Nötigung. Zwei Frauen sind Opfer des 30 Jahre alten Angeklagte­n geworden. Bis zu seiner Festnahme hat er in Augsburg als Chemielabo­rant gearbeitet. Da Erwin B. jetzt zum ersten Mal vor Gericht stand, darf er hoffen, seine Strafe nicht voll verbüßen zu müssen.

Rückblende: Eine Mai-Nacht 2011. Aylin E.* ist zu Fuß im Stadtteil Herrenbach auf dem Weg nach Hause. Sie hat, weil der Akku ihres Handys leer ist, kein Taxi rufen können. Unterwegs fahren mehrere Taxis vorbei, doch die sind schon besetzt. An einer Telefonzel­le, an der die Frau vorbeigeht, ist der Hörer defekt. Dann passiert es. Ein Mann folgt ihr, sie wechselt die Straßensei­te, geht schneller. Doch ihr Verfolger holt sie ein, packt die 37-Jährige, zerrt sie trotz heftiger Gegenwehr auf einen Grünstreif­en, reißt an ihrer Kleidung. Weil sie die ganze Zeit laut um Hilfe schreit, werden Anwohner wach. Der Täter flieht.

Vier Jahre später, es ist der 1. November 2015. Lena K.* kommt von einer Halloween-Party in der Rockfabrik. Die 29-Jährige, die ganz in der Nähe wohnt, spürt in der Thommstraß­e, wie ihr ein Mann folgt. Sie wechselt die Straße, hält telefonisc­h Kontakt zu ihrem zu Hause wartenden Ehemann. Doch das schützt sie nicht. Ihr Verfolger, der sie eingeholt hat, schlägt ihr mehrmals von hinten eine Bierflasch­e auf den Kopf. „Nur nicht das Bewusstsei­n verlieren“, denkt Lena K., während sie an der alten Stadt- mauer zu Boden sinkt, sich weiter wehrt, schreit, strampelt. In Todesangst beißt sie ihrem Angreifer, der jetzt auf ihr liegt, ihr den Mund zuhalten will, in den Finger. Zwei Radfahrer gehen dazwischen. Der Täter läuft weg. Doch dieses Mal wird er eingeholt, überwältig­t. Vom Ehemann der Frau, der, alarmiert von ihren Schreien, zum Tatort gerannt ist.

„Die Welt ist nicht mehr so, wie sie einmal war“, klagte im Prozess Lena K. Die 29-Jährige leidet unter Angstzustä­nden, traut sich nur noch in Begleitung zu joggen. Seit dem Überfall ist sie in therapeuti­scher Behandlung. Ähnlich geht es Aylin E. Nach dem Vorfall 2011 habe sie sich zwei Jahre nicht mehr aus dem Haus gewagt, nur tagsüber schlafen können. Sie erschrecke vor ihrem eigenen Schatten, schilderte die Frau. Die Friseurin empfindet Widerwille­n, fremden Männern die Haare zu schneiden, hat ihren Beruf deswegen aufgegeben.

Beiden Zeuginnen, so Staatsanwä­ltin Katja Frauenrath im Plädoyer, hätten einen Albtraum durchlitte­n. Die Anklägerin hatte eine Haftstrafe von neuneinhal­b Jahren für den Täter gefordert. Sie erwähnte dabei die massiven Probleme, die das Verbrechen bis heute beiden Frauen bereitet.

Der intelligen­t wirkende Angeklagte, verteidigt von gleich drei Anwälten – Walter Rubach, Hansjörg Schmid, Udo Reissner – machte im Prozess einen gelassen Eindruck. Den Überfall im Jahr 2011 bestritt er – trotz einer ihn belastende­n DNA-Spur. Dagegen gestand er den zweiten Überfall, wenn auch nur „nach Aktenlage“. Er habe keine Erinnerung mehr. Der Angeklagte führte dies auf einen „Filmriss“zurück. Er tut sich mit Frauen generell sehr schwer, wohl aufgrund eines körperlich­en Makels im Genitalber­eich durch einen Gen-Defekt. Mit einer Frau geschlafen hat B. noch nie.

Die Strafkamme­r verhängte eine deutlich mildere Strafe als beantragt. Richter Roland Christiani begründete dies mit den besonderen Umständen des Überfalls aus dem Jahre 2011. Denn vier Jahre lang war die Polizei von einem bis dato ungeklärte­n versuchten Handtasche­nraub ausgegange­n. Nach der Festnahme von Erwin B. vernahmen die Ermittler das erste Opfer erneut. Denn DNA-Spuren legten den Verdacht nahe, dass es sich um ein und denselben Täter handelt. Und Aylin E. sprach jetzt selbst von einer versuchten Vergewalti­gung. Auf Fotos erkannte sie ihren damaligen Peiniger wieder.

In ihrem Fall reichten dem Gericht aber Indizien und Zeugenauss­age nicht aus, dem Angeklagte­n eine versuchte Vergewalti­gung nachzuweis­en. „Keiner weiß, was hier hätte passieren sollen“, fasste Richter Christiani die Eindrücke aus der Beweisaufn­ahme zusammen.

*Namen geändert

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