Friedberger Allgemeine

Einfach nur reden

Vor vier Jahren hatte Takanobu Nishimoto die Idee, Fremden gegen Geld sein Ohr zu leihen. Inzwischen vermietet er 60 profession­elle Zuhörer in ganz Japan. Wer die Dienste nutzt

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Tokio Weder mit ihrem Freund noch mit ihren Eltern, nicht einmal mit ihren Freundinne­n würde Nodoka Hyodo jemals wirklich offen reden. Deshalb hat die 24-jährige Japanerin sich einen Zuhörer gemietet – für 1000 Yen (8,50 Euro) pro Stunde. Das Geld ist gut angelegt, findet sie: „Wenn ich mit einem Fremden spreche, habe ich das Gefühl, dass ich mich selber besser verstehe.“

Hyodos profession­eller Zuhörer heißt Takanobu Nishimoto, ist 48 Jahre alt und im Hauptberuf Stylist. Vor vier Jahren kam er auf die Idee, Fremden gegen Geld sein Ohr zu leihen. Inzwischen betreibt er eine Online-Agentur, die im ganzen Land etwa 60 Zuhörer vermietet – alle männlich und zwischen 45 und 55 Jahre alt. Nishimoto trifft 30 bis 40 Kunden pro Monat, zwei Drittel von ihnen sind Frauen.

Der Agenturche­f sagt: „Für mich ist diese Dienstleis­tung in erster Linie ein Hobby.“Er versichert, dass es übers Zuhören und Reden nicht hinausgehe. Sonst wäre seine Frau mit dem Job auch nicht einverstan­den. „Die Menschen, die mich mieten, bitten mich lediglich, ihnen für ein oder zwei Stunden Gesellscha­ft zu leisten und ihnen vor allem zuzuhören.“Eine über 80 Jahre alte Dame buche ihn jede Woche für einen gemeinsame­n Spaziergan­g im Park, erzählt Nishimoto. Aber auch ein Fischer, der das stundenlan­ge schweigsam­e Warten beim Angeln satt hatte, zählt zu seinen Kunden.

Viele Menschen in Japan kämpfen mit sozialer Isolation. „Hikikomori“heißt das Phänomen, wenn Jugendlich­e und junge Erwachsene das Haus nicht mehr verlassen und sich stattdesse­n allein mit Videospiel­en beschäftig­en. Seine Kunden litten aber nicht unter Einsamkeit und hätten auch keine Probleme, sich in der Gesellscha­ft zu bewegen, sagt Nishimoto. Ihnen gehe es vielmehr darum, offen mit jemanden zu sprechen, der im Gegensatz zu Freunden und Familie keinerlei Erwartunge­n an sie habe. Sie wollten zumindest für eine Stunde alle Konvention­en vergessen können.

Die gesellscha­ftlichen Normen seien in Japan besonders starr, sagt der Psychologe Hiroaki Enomoto. Sie regelten genau, was man selbst engen Vertrauten gegenüber sagen kann und was nicht. Sobald aber jemand fürs Zuhören bezahlt werde, handele es sich um eine geschäftli­che Beziehung, in der andere Regeln gälten, sagt der Psychologe. Nishimoto war schon mehrmals kurz davor, seinen Nebenjob aufzugeben. Doch immer wieder habe er gemerkt, dass er seine Kunden genauso brauche wie sie ihn, sagt er. „Ich weiß nie genau, was sie von mir wollen, wenn sie mich mieten. Das ist ein bisschen beängstige­nd, aber genau das macht es auch so spannend.“Probleme mit irgendwelc­hen verrückten Kunden habe er nie gehabt, „aber jede Menge bewegende Momente.“K. Nishimura-Poupee, afp

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Foto: Quentin Tyberghien, afp Für umgerechne­t 8,50 Euro die Stunde hat sich Nodoka Hyodo (rechts) den profession­ellen Zuhörer Takanobu Nishimoto gemietet.

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