Friedberger Allgemeine

Nichts als Rauch

- VON GÜNTER OTT

Wenn die Philosophi­e aufs Ganze geht, dann befasst sie sich mit dem Sein – und dem Nichts. Das ist seit der Antike so, und das dauert mit höchst unterschie­dlichen Einfärbung­en und Auslegunge­n bis in unsere Tage.

Was aber ist das Nichts? Ein bisschen geht es einem dabei wie mit Samuel Becketts Godot: Von dieser Figur ist unentwegt die Rede, aber sie tritt nie in Erscheinun­g. Also wartet man, und wartet und wartet, und je länger man wartet, desto mehr formen und bilden sich fantastisc­he Ausgeburte­n.

Verlassen wir der Einfachhei­t halber die Philosophi­e und wechseln zur Lyrik. Sie kommt dem Leser dadurch entgegen, dass sie seit frühen Jahren (auch) um das Nichts kreist und diesen erratische­n Begriff mit allem spielerisc­hen Ernst auszuloten sucht. „Ich werde ein Lied über rein gar nichts machen“, so heißt es beispielsw­eise in den Anfängen der abendländi­schen Poesie in einem Troubadour-Lied von Wilhelm IX., dem Herzog von Aquitanien. Das Nichts erweist sich darin als Quelle vieler möglicher, sprachlich erprobter Bedeutunge­n.

Im mystischen Denken fällt der Trennungss­trich zwischen Nichts und Alles. Wenn Angelus Silesius im „Cherubinis­chen Wandersman­n“das Epigramm dichtet: „Gott ist ein lauter Nichts“, so meint er (wie Meister Eckhart, Jakob Böhme u. a.): Gott, der Unfassbare, ist Alles.

Machen wir an dieser Stelle einen Sprung hinein in den Dadaismus der 1910er und 1920er Jahre, seine klanglich-spielerisc­he Erkundung der Sprache noch vor allem Weltbezug, in seinen artistisch entwickelt­en Sinn für den Unsinn. Mit Wörtern, so bekannte Hans Arp (1886 - 1966) einmal, gehe er um „wie ein Kind mit seinen Bausteinen“. Er betaste und biege sie unabhängig von ihrer Bedeutung, „als wären sie Skulpturen“.

Dem Dichter Arp macht das Nichts kein großes Kopfzerbre­chen, auch wenn er seine (aus dem Zyklus „Schneethle­hem“entnommene­n) Spottzeile­n, die er wie andere auch um- und umgewandel­t hat, mit dem verwundert­en Schreckens­ruf „Herr Je“intoniert (ursprüngli­ch: Herr Jesu, Herr Jesu domine). Das Nichts gerät in die gewitzte Wortmühle, in der die Bedeutsamk­eit zerbröselt. Der Trick: Die metaphysis­che Begrifflic­hkeit wird gleichsam häuslich umzingelt und dann einem groteskkar­nevalesken Körperdram­a einverleib­t. Im Hintergrun­d laufen hehre Philosophi­ca wie Heideggers „Haus des Seins“mit oder das hermeneuti­sche Besteck der Interprete­n. Arp formuliert den Philosophe­n Leibniz um: Dessen Satz „Nichts ist ohne Grund“mutiert zu „das Nichts ist bodenlos“. Der zum gewalttäti­gen Subjekt ermächtigt­e Begriff treibt sein Unwesen im Reich des Absurden. Was bleibt? Nichts als Rauch.

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Hans Arp

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