Der Banker des Theaters zieht Bilanz
Steffen Rohr war elf Jahre lang für Einnahmen und Ausgaben der Bühnen zuständig. Gerade jetzt, da vieles unbeherrschbar geworden ist, geht der Kaufmännische Direktor in Rente. Seinem Nachfolger gibt er zwei Dinge mit auf den Weg
Es war einer seiner ersten Besuche in Augsburg und Steffen Rohr war neugierig auf diese Spielstätte mitten in der Altstadt. Man führte ihn, den künftigen Kaufmännischen Direktor des Theaters, durch die Komödie. „Wir haben alles angesehen, vom Keller bis zum Dach. Danach brauchte ich erst mal einen Schnaps. Ich hatte noch nie eine Spielstätte in so schlimmem Zustand gesehen.“
Heute, elf Jahre später, ist die Komödie geschlossen, das Große Haus ebenfalls und das Theater steht am Beginn einer schwierigen Phase. Die Sanierung ist geplant, Befürworter wie Gegner haben sich formiert und niemand weiß, wie die Diskussion ausgeht. Geplant war es nicht so, doch Steffen Rohr ist froh, dass er jetzt in Ruhestand geht: „Wir sind an einem Zeitpunkt, an dem alles beginnt, nicht mehr beherrschbar zu sein.“In seinem Alter müsse man das nicht mehr mitmachen. Im August wird Rohr 65, seinen Geburtstag wird er mit seiner Frau Rose auf der dänischen Insel Bornholm feiern. Seit einigen Jahren fahren sie schon dorthin – vor allem, weil man dort so wunderbar seine Ruhe hat. Einer, der von seinem Beruf sagt, dass er jeden Tag neue Katastrophen bringen kann, braucht das zwischendurch.
Wer Rohr kennt, weiß, dass ihn so schnell nichts aus der Ruhe bringt – vielleicht abgesehen vom Satz „wenn das nicht schneller geht, fällt die Premiere aus“. Selbst rote Zahlen konnte Rohr im Kulturausschuss ruhig und schlüssig erklären. Nur wenn absehbar war, dass wieder Geld für den Bauunterhalt des Großen Hauses gekürzt wird, dass der Bühnenturm wieder nicht saniert wird, fand er deutliche Worte.
Als einen „nüchternen Zahlenmenschen“will sich der studierte Finanzwirt nicht bezeichnen. Die 15 Jahre im Metropol Theater Berlin, die im Stadttheater Cottbus und die Zeit in Augsburg haben den ehemaligen Banker zu einem Theatermenschen gemacht. Rohr lernte, „dass das Theater ein Moloch ist, der alles frisst, was er kriegen kann“. Diese Seite mit den knappen Finanzen in Einklang zu bringen, hat ihm bis zuletzt Spaß gemacht. Die ewige Debatte, was Kunst kosten darf, hörte Rohr fast überall. Am Metropol erlebte der gebürtige Zwickauer aber auch üppige Jahre: „Kurz nach der Wende hatten wir gut eineinhalb Jahre keinen obersten Dienstherren. Vom Kulturministerrat der DDR hatten wir noch 20 Millionen Ostmark zusätzlich bekommen.“Geld, das in die Kunst, aber auch in den Bauunterhalt investiert wurde. Von solchen Zeiten konnte Steffen Rohr in Augsburg nur noch träumen.
Dennoch möchte er am Ende seiner Amtszeit eine Lanze fürs Augsburger Haus brechen: „Wenn man es mit anderen Theatern vergleicht, standen wir immer gut da, was die Wirtschaftlichkeit betrifft. Wir sind keine Geldvernichtungsmaschine. Aber bis man eine Oper auf die Bühne bringt, sind nun mal 250 Leute beschäftigt. Die müssen auch bezahlt werden.“Was die nächste Spielzeit bringen und was sie kosten wird? Rohr kann es nicht sagen. Geplant war, den Wirtschaftsplan mit seinem Nachfolger Friedrich Meyer aufzustellen. Jetzt, da ungewiss ist, welche Spielstätten genutzt werden und welche Plätze es dort gibt, sei die Kalkulation schier unmöglich. Das Theater wird in den nächsten Jahren auf Sicht fahren, kurzfristig reagieren müssen. Rohr wird den Weg mit Abstand beobachten.
Angst, dass es ihm im Ruhestand langweilig werden könnte, hat er nicht. Er möchte reisen mit seiner Frau, zum Beispiel in die USA. Auch Berlin wird er häufig besuchen, dort leben seine fünf Kinder und elf Enkel. „Der jüngste kam am Sonntag zur Welt.“Seinen Abschied am Theater wollte er ruhig gestalten, er dachte an einen Zettel am Schwarzen Brett. „Ich bin kein Freund von Abschiedsfeiern, weil die Reden dort nur noch von Totenreden übertroffen werden“, sagt er schmunzelnd. Am Ende freute er sich doch über die netten Worte. Aus vielen Kollegen sind enge Weggefährten geworden.
Seinem Nachfolger gibt Steffen Rohr zwei Dinge mit auf den Weg: Den Rat, sich nie aus der Ruhe bringen zu lassen, und eine kleine Flasche Brandy. „Meine Assistentin schenkte sie mir vor elf Jahren zum Amtsantritt – für den Fall, dass etwas Schlimmes passiert.“Der 64-Jährige hat seitdem viele Katastrophen erlebt, geöffnet hat er die Flasche nie. „Es hätte doch sein können, dass es noch schlimmer kommt.“Die Augsburger werden den großen Mann mit dem grauen Bart auch nach seiner aktiven Zeit am Theater treffen können: „Wir bleiben in Augsburg, weil die Lebensqualität in keiner anderen Stadt so hoch ist wie hier.“Und auch die Aufführungen im Theater will er weiter besuchen. Vor allem das Ballett hat er hier lieben gelernt.