Friedberger Allgemeine

Der trickreich­e Herr Gröhe

Hunderttau­sende von Flüchtling­en drängen in die gesetzlich­en Krankenkas­sen. Wer aber bezahlt dafür? Wie der Bund versucht, sich aus der Verantwort­ung zu stehlen

- VON RUDI WAIS

Berlin Gesundheit­sminister haben es nicht leicht. Wo die Kollegen mit den Milliarden nur so um sich werfen, Straßen bauen, Renten erhöhen oder wenigstens den Anstieg der Mieten begrenzen, verwalten sie häufig nur den Mangel. Sie werden dafür verantwort­lich gemacht, wenn die Beiträge der gesetzlich­en Kassen steigen und die Zuzahlunge­n in der Apotheke – und beides macht sich nicht gut in einem Wahljahr. Kein Wunder also, dass Hermann Gröhe zu tricksen beginnt.

Weit über eine Milliarde Euro nimmt er aus den Reserven des sogenannte­n Gesundheit­sfonds, um den Anstieg der Versicheru­ngsbeiträg­e im nächsten Jahr wenigstens um einen Prozentpun­kt zu bremsen. Gebraucht wird das Geld zum größten Teil für Hunderttau­sende von Flüchtling­en, die bald Anspruch auf einen Platz in einer gesetzlich­en Krankenkas­se haben werden. In den ersten Monaten nach ihrer Ankunft kommen für ihre medizinisc­he Versorgung noch die Kommunen auf, letztlich also wir alle, die Steuerzahl­er. Danach aber sind es vor allem Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er, die mit ihren monatliche­n Beiträgen diese Herkulesau­fgabe finanziere­n sollen. Knapp neun Millionen Privatvers­icherte, das nur am Rande, sind damit fein raus, da sie ja nicht in den Gesundheit­sfonds einzahlen – ein grobes ordnungspo­litisches Foul.

Ohne Gröhes Finanzspri­tze würden die unpopuläre­n Zusatzbeit­räge, die bekanntlic­h die Beschäftig­ten alleine

Längst nicht jeder Flüchtling wird auch gleich einen Job finden

bezahlen, im nächsten Jahr um 0,3 Prozentpun­kte auf dann 1,4 Prozent steigen. Millionen von Versichert­en sähen damit kurz vor der Wahl, was Angela Merkels Politik der offenen Grenzen sie kostet.

Die Kanzlerin hat zwar früh versproche­n, für die Aufnahme, Versorgung und Betreuung der Flüchtling­e auf keinen Fall die Steuern zu erhöhen. Von den Beiträgen zu den Sozialkass­en aber war nie die Rede. Auch wenn die optimistis­che Rhetorik der Bundesregi­erung das Gegenteil zu suggeriere­n versucht: Längst nicht jeder, der in den vergangene­n Monaten in die Bundesrepu­blik geflohen ist, wird hier schnell eine Arbeit finden und seine Kassenbeit­räge auch selbst bezahlen können. Die große Mehrheit dürfte zumindest vorübergeh­end in der staatliche­n Fürsorge landen, also in Hartz IV – und die 90 Euro pro Kopf und Monat, die der Bund den gesetzlich­en Krankenkas­sen dafür bisher aus dem Steuertopf überweist, reichen nach allem, was man weiß, nicht aus, um die Kosten zu decken.

Natürlich treiben auch andere Faktoren die Ausgaben der Kassen und die Beiträge in die Höhe – das Überangebo­t an Kliniken, zum Beispiel, oder der medizinisc­he Fortschrit­t und die wachsende Zahl an älteren Versichert­en ganz allgemein. Eine Regierung jedoch, die ihre Willkommen­skultur als großen gesamtgese­llschaftli­chen Kraftakt begreift, muss deren Lasten auch auf alle verteilen. Das heißt im Falle von Hermann Gröhe: Nicht dreist in die Reserven der Versichert­en greifen, weil die gerade so gut gefüllt sind, sondern den Bundeszusc­huss von gegenwärti­g 14 Milliarden Euro im Jahr entspreche­nd kräftig erhöhen.

Dieser Zuschuss, den auch Beamte, Selbststän­dige und andere gut verdienend­e Privatvers­icherte über ihre Steuern mitbezahle­n, ist für versicheru­ngsfremde Leistungen wie den kostenlose­n Versicheru­ngsschutz von Ehepartner­n und Kindern, die Beitragsfr­eiheit im Mutterschu­tz oder Haushaltsh­ilfen für Schwangere gedacht. Und nichts anderes ist die Aufnahme von weit über

Die Politik sollte sich noch vor der Wahl ehrlich machen

einer Million Menschen zunächst auch – eine gesellscha­ftspolitis­che Aufgabe, also zweifellos eine versicheru­ngsfremde Leistung.

Gut ein Jahr vor der Wahl wäre es an der Zeit, dass die Politik sich endlich ehrlich macht. Die Akzeptanz für Angela Merkels liberalen Kurs schwindet und schwindet. Wenn die Kanzlerin jetzt auch noch den Eindruck entstehen lässt, der Staat plündere die Rücklagen der Versichert­en, um der Flüchtling­skrise Herr zu werden, wird das am Ende nur einem nutzen – der AfD.

 ?? Foto: Jörg Carstensen, dpa ?? Wie groß ist die Versuchung für Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU), zu tricksen, wenn es darum geht, zu verhindern, dass ausgerechn­et im Jahr der Bundestags­wahl die Beiträge der gesetzlich­en Krankenkas­sen steigen?
Foto: Jörg Carstensen, dpa Wie groß ist die Versuchung für Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU), zu tricksen, wenn es darum geht, zu verhindern, dass ausgerechn­et im Jahr der Bundestags­wahl die Beiträge der gesetzlich­en Krankenkas­sen steigen?

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