Diese Sängerin elektrisiert
Sandy Patton war der Star des Abends im Botanischen Garten. Aber anders als ihre musikalischen Vorbilder lässt sie die Musiker an ihrer Seite zur Geltung kommen
Bei den traditionellen Auftritten des Trios von Bassist und Festivalorganisator Christian Stock beim Augsburger Jazzsommer kommt es immer wieder zu Begegnungen mit illustren Gästen, die sonst nur selten live zu hören sind. Die afroamerikanische Sängerin Sandy Patton, der Stargast heuer, erwies sich als wahrer Publikumsmagnet. Im zweiten Gast des Abends, dem schottischen Posaunisten Ian Cumming, hatte sie vor 900 Besuchern quasi ein instrumentales Pendant. Patton setzte ihre dunkel warme Stimme weitgehend scattend instrumental ein und ließ dabei ihren Mitspielern viel Freiraum. Das Publikum war hingerissen.
Der gemeinsame Auftritt von Sandy Patton und Ian Cumming mit dem Stock-Trio im großen Rahmen des Jazzsommers war nur eine Frage der Zeit. Patton, Jahrgang 1948, Bandsängerin von Lionel Hampton, musikalische Partnerin von Dizzy Gillespie und anderen modernen Jazzstars, kam 1993 als Professorin für Jazzgesang nach Bern, wo sie seither lebt. Immer wieder ist sie mit Martin Schrack, dem Pianisten des Stock-Trios und auch der SWRBig-Band aufgetreten. Ian Cumming wiederum ist prominentes Mitglied dieses Klangkörpers. Martin Schrack, der aus dem Großraum stammende Nürnberger Jazzprofessor, arbeitet häufig mit der SWR-Big-Band zusammen. Jetzt also hat dieses Südschienennetzwerk ein äußerst charmantes Begegnungskonzert gezeitigt.
Mit zwei Instrumentalnummern aus der Feder des Pianisten begann der Abend. 50er Jahre Blue-NoteÄsthetik wurde hier augenzwinkernd, aber etwas verhalten gepflegt; Cummings geschmeidiges Posaunenspiel ließ an Curtis Fuller und seine Blues-ette-Aufnahmen denken. Dann aber betrat die Sängerin die Bühne. Mit nonchalanter Natürlichkeit überspielte sie die Trittschwierigkeiten, die ihr die High Heels auf dem großfugigen Bühnenboden machten. Schon allein ihre Bühnenpräsenz und jazz-elegante Körpersprache schickte elektrisierende Energieschübe durch die Band, die von nun an mit frischem Drive aufspielte.
Sandy Patton erwies sich als eine höchst kooperative Mitmusikerin fern jeder Starallüren. Im Gegensatz zu ihren großen Vorbildern Fitzgerald oder Betty Carter drängte sie die Band nicht in den Hintergrund. Alle Instrumentalisten waren solisStuttgart tisch in die Gestaltung ihres vorwiegend aus dem Great American Songbook bestehenden Programms eingebunden.
In seinen Soli begeisterte Ian Cummings mit elegant flüssigen Linien, und seine warmen, die Singstimme umschmeichelnden Variationen beeindruckten nachhaltig. Martin Schrack setzte effektvoll farbige Blockakkorde gegen perlende Single-Notes über prankenhaft angeschlagenen Harmonieschichtungen. Christian Stock begleitete hochkonzentriert auf dem Punkt, und Walter Bittner reagierte hellwach auf das Geschehen und hatte sichtlich Freude an den federnden Bounce-Rhythmen, die er allerdings noch druckvoller hätte zum Ausdruck bringen können. Höhepunkte des Abends waren Duette Pattons sowohl mit Christian Stock als auch mit Walter Bittner und eine tief bewegende, scatfreie Balladeninterpretation von „Something Cool“.
Erst spät, erklangen bei dem durch Shirley Scott bekannt gewordenen Klassiker „Forget Me“schwarz-kehlige Blue-Note-Aufschreie. Jetzt hätte die Sängerin das aufjubelnde Publikum mit wohlfeilen Klischees leicht um den Finger wickeln können. Sie widerstand der Versuchung; erst bei der Zugabe, einem ausgelassenen „Route 66“, wurde den bluesvernarrten Affen ordentlich Zucker gegeben.