Endlich auf eigenen Füßen stehen
Sie sind jung und flohen aus ihrer Heimat. Jetzt haben erstmals Flüchtlinge den Abschluss als Pflegehelfer gemacht
Helle Tische in Vierergruppen, Tafel, Lehrerpult – ein Klassenzimmer wie hunderte andere in Augsburg. Nur zwei Möbelstücke fallen aus der Reihe. Die Fußenden zweier Krankenhausbetten ragen an der hinteren Wand in Richtung Klasse. In diesem Jahr entlässt das städtische Berufsschulzentrum für soziale Berufe am Predigerberg 28 Absolventinnen und Absolventen als „Staatlich geprüfte Sozialbetreuer und Pflegefachhelfer“. Unter diesen waren erstmals auch sechs Flüchtlinge, die sich zwischen 2012 und 2013 über das Mittelmeer oder den Balkan bis Europa durchgeschlagen hatten.
Gramos Beqiri (20), Favour Onyiriuka (18) und Oluwaseun Oyebola (20) und drei weitere Flüchtlinge, die unbegleitet und minderjährig ankamen, erhielten ihre Abschlusszeugnisse. „Nach der Verabschiedung werden wir bei mir weiterfeiern“, freut sich Oluwa- seun, der nur Olu genannt wird. Nachdem der passionierte Fußballer aus der betreuten Wohngruppe ausziehen musste, hat er seit kurzem eine Wohnung im Bärenkeller und trainiert beim TSV Neusäß. Mit 17 kam der Nigerianer allein hier an und besuchte einen Deutschkurs. Ein Lehrer empfahl ihm die Ausbildung zum Pflegehelfer.
Also ging er mit Favour und Gramos zwei Jahre auf die Schule am Predigerberg und arbeitete einmal in der Woche in einem Pflegeheim der AWO in Göggingen. Ein wenig schwer zu verstehen ist er, die Lippen verweigern noch die Konsonanten, vor allem das „B“. Aber Mimik, Begeisterung und die Freude über den bestandenen Abschluss machen das wett. „Obu war immer der beliebteste bei den alten Menschen im Pflegeheim“, sagt Gramos grinsend. „Er ist einfach zu lustig!“
Während Obu erst einmal Geld verdienen will und auch schon eine Stelle hat, wollen Gramos und Favour unbedingt eine Krankenpflegeausbildung dranhängen. Favour, die 14 Jahre alt war, als sie mit ihrem Bruder von Nigeria floh, hat schon einen Mittelschlussabschluss gemacht und will sich mit der Ausbildung einen großen Traum erfüllen. Inzwischen leben auch ihre Eltern in Augsburg. Gramos hatte vor der Berufsfachschule sogar schon ein Krankenhauspraktikum absolviert. Auch er weiß schon lange, dass Krankenpflege sein Ding ist. „Ich mag es, Leuten zu helfen“, erklärt der großgewachsene ernste Mann, der mit 16 aus dem Kosovo floh.
Fachlehrerin Andrea Barowsky ist stolz auf „ihre“Flüchtlinge. Trotz ihrer Schicksale, über die sie jedoch nie mit ihnen gesprochen hat, sei zu spüren, dass die drei ehrgeizig, durchsetzungsstark und Menschen zugewandt sind. „Im Prinzip unterscheiden sie sich nicht von meinen anderen Schülern. Ich muss sie alle ermahnen, das Handy auszumachen und keine Blödsinn zu machen.“Als vor zwei Jahren erstmals sechs junge Flüchtlinge in der Schule auftauchten, sei die Unsicherheit groß gewesen. Sie habe alle Arbeitsblätter umgeschrieben und sich auf die unterschiedlichen Niveaus ihrer Schüler eingestellt. „Das war auch für mich ein Sprung ins kalte Wasser. Aber jetzt merke ich, dass nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch andere schwächere Schüler davon profitieren können.“