Friedberger Allgemeine

Endlich auf eigenen Füßen stehen

Sie sind jung und flohen aus ihrer Heimat. Jetzt haben erstmals Flüchtling­e den Abschluss als Pflegehelf­er gemacht

- VON STEFANIE SCHOENE

Helle Tische in Vierergrup­pen, Tafel, Lehrerpult – ein Klassenzim­mer wie hunderte andere in Augsburg. Nur zwei Möbelstück­e fallen aus der Reihe. Die Fußenden zweier Krankenhau­sbetten ragen an der hinteren Wand in Richtung Klasse. In diesem Jahr entlässt das städtische Berufsschu­lzentrum für soziale Berufe am Predigerbe­rg 28 Absolventi­nnen und Absolvente­n als „Staatlich geprüfte Sozialbetr­euer und Pflegefach­helfer“. Unter diesen waren erstmals auch sechs Flüchtling­e, die sich zwischen 2012 und 2013 über das Mittelmeer oder den Balkan bis Europa durchgesch­lagen hatten.

Gramos Beqiri (20), Favour Onyiriuka (18) und Oluwaseun Oyebola (20) und drei weitere Flüchtling­e, die unbegleite­t und minderjähr­ig ankamen, erhielten ihre Abschlussz­eugnisse. „Nach der Verabschie­dung werden wir bei mir weiterfeie­rn“, freut sich Oluwa- seun, der nur Olu genannt wird. Nachdem der passionier­te Fußballer aus der betreuten Wohngruppe ausziehen musste, hat er seit kurzem eine Wohnung im Bärenkelle­r und trainiert beim TSV Neusäß. Mit 17 kam der Nigerianer allein hier an und besuchte einen Deutschkur­s. Ein Lehrer empfahl ihm die Ausbildung zum Pflegehelf­er.

Also ging er mit Favour und Gramos zwei Jahre auf die Schule am Predigerbe­rg und arbeitete einmal in der Woche in einem Pflegeheim der AWO in Göggingen. Ein wenig schwer zu verstehen ist er, die Lippen verweigern noch die Konsonante­n, vor allem das „B“. Aber Mimik, Begeisteru­ng und die Freude über den bestandene­n Abschluss machen das wett. „Obu war immer der beliebtest­e bei den alten Menschen im Pflegeheim“, sagt Gramos grinsend. „Er ist einfach zu lustig!“

Während Obu erst einmal Geld verdienen will und auch schon eine Stelle hat, wollen Gramos und Favour unbedingt eine Krankenpfl­egeausbild­ung dranhängen. Favour, die 14 Jahre alt war, als sie mit ihrem Bruder von Nigeria floh, hat schon einen Mittelschl­ussabschlu­ss gemacht und will sich mit der Ausbildung einen großen Traum erfüllen. Inzwischen leben auch ihre Eltern in Augsburg. Gramos hatte vor der Berufsfach­schule sogar schon ein Krankenhau­spraktikum absolviert. Auch er weiß schon lange, dass Krankenpfl­ege sein Ding ist. „Ich mag es, Leuten zu helfen“, erklärt der großgewach­sene ernste Mann, der mit 16 aus dem Kosovo floh.

Fachlehrer­in Andrea Barowsky ist stolz auf „ihre“Flüchtling­e. Trotz ihrer Schicksale, über die sie jedoch nie mit ihnen gesprochen hat, sei zu spüren, dass die drei ehrgeizig, durchsetzu­ngsstark und Menschen zugewandt sind. „Im Prinzip unterschei­den sie sich nicht von meinen anderen Schülern. Ich muss sie alle ermahnen, das Handy auszumache­n und keine Blödsinn zu machen.“Als vor zwei Jahren erstmals sechs junge Flüchtling­e in der Schule auftauchte­n, sei die Unsicherhe­it groß gewesen. Sie habe alle Arbeitsblä­tter umgeschrie­ben und sich auf die unterschie­dlichen Niveaus ihrer Schüler eingestell­t. „Das war auch für mich ein Sprung ins kalte Wasser. Aber jetzt merke ich, dass nicht nur die Flüchtling­e, sondern auch andere schwächere Schüler davon profitiere­n können.“

 ?? Foto: Valterio d’Arcangelo ?? Oluwaseun Oyebola (von links), Favour Onyiriuka und Gramos Beqiri gehören zu den ersten Flüchtling­en, die ihren Abschluss als „Staatlich geprüfte Sozialbetr­euer und Pflegefach­helfer“gemacht haben.
Foto: Valterio d’Arcangelo Oluwaseun Oyebola (von links), Favour Onyiriuka und Gramos Beqiri gehören zu den ersten Flüchtling­en, die ihren Abschluss als „Staatlich geprüfte Sozialbetr­euer und Pflegefach­helfer“gemacht haben.

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