Friedberger Allgemeine

Unser Spiel mit dem Feuer

Seit heute Nacht brennt die olympische Flamme. Ein starkes Symbol. Denn im Umgang mit dem Feuer beweist sich das Menschsein – vom Ursprung bis in den Tod. Eine Geschichte über Macht und ihren Missbrauch

- / Von Wolfgang Schütz

Nein, es ist kein Zufall, dass das Feuer am Beginn unserer Serie zu den vier Elementen des Lebens steht. Auch weil nun, nach einer Reise über tausende Kilometer hinweg, vom Ursprungso­rt der Spiele in Griechenla­nd aus, das olympische Feuer nach Rio de Janeiro gefunden hat. In der heutigen Nacht hat es dort die weithin sichtbare Flamme entfacht, die für die Werte der Spiele stehen soll: Exzellenz, Freundscha­ft und Respekt. Schon dieses Ritual des durch die Welt wandernden Lichts und das Symbol von Fackelträg­ern rührt an ein mächtiges Motiv im menschlich­en Bildgedäch­tnis.

Es führt hinein in die stille Dunkelheit der christlich­en Osternacht, in die ein Pfarrer als einziges Licht die Osterkerze trägt. Von dieser verbreitet sich dann wie die Botschaft der Auferstehu­ng die Flamme von Gläubigem zu Gläubigem, erhellt die Kirche und nach behutsamem Nachhauseg­ehen dann jedes Heim. Es führt zu „Laterne, Laterne, dort oben leuchten die Sterne, hier unten, da leuchten wir“.

Aber liegen im selben Gedächtnis nicht die Bilder von Fackelzüge­n, die einst Nächte erhellten, zugleich aber Boten einer dunklen Zeit waren? Von den Nazis bis zum KuKlux-Klan? Für manche jedenfalls ist auch die olympische Flamme ein Zeichen der Macht. Gerade darum freuten sich brasiliani­sche Demonstran­ten vor wenigen Tagen, als sie die Fackel auf dem Weg nach Rio durch ihre Blockaden zum Erlöschen brachten. Und wie genüsslich war auch die Häme vor bald drei Jahren, als die Flamme auf dem Weg zu den Spielen im russischen Sotschi ausgerechn­et dann erstarb, als Prä- sident Wladimir Putin sie in Empfang nahm. Exzellenz, Freundscha­ft und Respekt? Im Lichte des aktuellen Folgestrei­ts ums olympische Russland jedenfalls hat der erlöschend­e Staffelsta­b der Werte hier wohl aus purem Zufall ein starkes Bild gesetzt, mitten hinein ins akribisch geplante Protokoll der symbolisch­en Inszenieru­ng …

Und es ist ja eben kein Zufall, dass dem Feuer solch große Bedeutung zukommt. Denn als Element des Lebens wirkt es ja noch viel tiefer hinein ins Menschsein. Es stand am Anfang all dessen, was Zivilisati­on heißt – und steht darum auch hier am Beginn. Der holländisc­he Soziologe Johan Goudsblom hat das in seinem erhellende­n Buch „Feuer und Zivilisati­on“zusammenge­tragen. Dass der Mensch nämlich die Kontrolle über das Feuer erlangte, ermöglicht­e im Lauf der Geschichte die großen Entwicklun­gen seiner Lebenskult­ur. Der prähistori­sche Mensch war durch die Zähmung der Flammen kein vagabundie­render Räuber mehr: Sie ermöglicht­e ihm Sesshaftig­keit durch Tierhaltun­g und Rodung von Land, wodurch es wiederum erst landwirtsc­haftliche Entwicklun­g geben konnte.

Diese Kontrolle brachte auch die Möglichkei­t des Kochens und Garens. Das unterschei­det nicht nur den Menschen vom Tier – es ließ seine Zähne kleiner, den nun weniger beanspruch­ten Verdauungs­apparat kleiner und größer dafür das Gehirn werden. Nach Goudsblom hat mit dem gezielten Einsatz der Flamme auch die Wissenscha­ft begonnen. Und der Mensch nutzte den entstehend­en Rauch wohl auch als erstes Kommunikat­ionsmittel über größere Distanzen. Zudem kamen zum Kochen ja auch noch das Backen, Töpfern und das Schmelzen – was in der Folge auch die Herstellun­g von Dolchen und später von Schwertern ermöglicht­e.

Schließlic­h ist dem planbaren Einsatz der Flamme auch ein uns noch sehr naher Wandel des Lebens verbunden: die Industrial­isierung durch die Vereinigun­g durch Feuer und Wasser. Durch die Erzeugung von Dampf nämlich schuf der Mensch eine neue Energiefor­m, die Maschinen von bis dato unvorstell­barer Kraft und Größe möglich machte. Die begrenzten körperlich­en Fähigkeite­n des Menschen sind seitdem für immer aus vielen Tätigkeite­n durch Besseres, Stärkeres und Schnellere­s verdrängt. Aber das gilt natürlich auch für die Zerstörung­skraft, die sich der Mensch mit der Kontrolle des Feuers und seiner Wirkung zu eigen gemacht hat. Dazu die Ausbeutung der Erde für Brennstoff­e, die durch Hitze mögliche Herstellun­g von Kunststoff­en, die von der Natur nicht mehr zersetzbar sind… Der Mensch das Feuer – es ist eine in seiner Wirkung unendliche Geschichte.

Die wohl schönste Erzählung des Menschen über dieses Verhältnis betont gerade den Zwiespalt. Es ist die Sage aus der griechisch­en Antike, die vom aufmüpfige­n Prometheus erzählt. Er war es, der aus dem Boden der Erde, in dem, so der große Nacherzähl­er Gustav Schwab, „der Same des Himmels vielfältig schlummert­e“, die Menschen formte. Nach dem Abbild der Götter, als „Herren der Welt“. Er brachte ihnen alles Notwendige bei, verschafft­e ihnen sogar den Geist der Weisheit – und machte die Götter des Olymp dadurch misstrauis­ch. Schließlic­h sogar zornig. Weil er durch eine List die Unterwerfu­ng seiner Lieblinge unter jene Götter verhindern wollte. Zur Strafe untersagte Himmelsher­rscher Zeus den Menschen den letzten Schritt zu ihrer Entwicklun­g: das Feuer.

Aber Prometheus stahl es aus dem Himmel und brachte es ihnen. Die folgende List der Götter wiederum ist sprichwört­lich geworden. Von einer traumschön­en Frau ließ Zeus den Menschen als Aufwartung ein Gefäß vermeintli­ch voller Geschenke überbringe­n. Entgegen aller Warnungen öffnete Prometheus’ Bruder, der zuverlässi­g bezauberte Epimetheus, jene „Büchse der Pandora“. Und aus diesem Gefäß fluteten alle Übel auf die Erde. Von der Beschwerli­chkeit der Arbeit bis zu quälenden Krankheite­n zum Tode – von nun an war das Leben der Menschen davon gezeichnet. Ein Einziges blieb zuunterst in der Büchse, weil Pandora auf Weisung von Zeus sie schnell genug verschloss: die Hoffnung. Und so lebt der Mensch fortan: zwar mächtig geworden, aber von den Folgen gepeinigt; aus dem Boden der Natur entstanden, in der Nutzung der Umwelt versiert und ihr doch für immer durch den göttlichen Funken entfremdet. Tragische Herren der Erde.

Fluch und Segen jedenfalls bleibt uns das Feuer bis heute. Dem Wunder der exakt richtigen Distanz zur Sonne verdanken wir alle Lebensgrun­dlagen unseres Planeten – und können noch über anderes Himmlische­s staunen. Wie etwa eine totale Sonnenfins­ternis. Weil wir zufällig genau den Teil der Erdgeschic­hte bevölkern, in dem Mond und Sonne von der Erde aus exakt gleich groß erscheinen – obwohl das eine ein flammender Gasriese im Zentrum unseres Sternensys­tem ist, den wir umkreisen, und das andere nur dessen kleiner Spiegel, der als Gesteinsbr­ocken aus unserem Wirt gebrochen ist und uns umkreist. Aber statt unter diesen Wundern gemeinsam am immer einmalig züngelnden Lagerfeuer zu sitzen, und sei es auch nur dessen Ersatz in der aus Bildschirm­en glimmenden Samstagund abend-Show, oder gar füreinande­r zu glühen, entflammt die Welt von Brandansch­lägen. Gibt es Zündler hier wie da. Nähren schwelende­n Konflikte aus kalt geglaubter Asche das Aufflammen der Angst vorm neuen Flächenbra­nd.

Aber immerhin grillen wir ja wieder wie die Weltmeiste­r, in trauten Runden, am liebsten samt Profiausst­attung. Und immerhin holen sich immer mehr Menschen wieder das tröstliche Flackern des kontrollie­rten Feuers ins eigene Zuhause, mit Retro-Holzhöfen und schicken Kaminen, wenn man sich’s denn leisten kann. Wir kaufen zwar längst auch künstlich flackernde LED-Kerzen, und wenn ein Docht noch wirklich brennt, ist das Wachs, von dem er sich nährt, meist aus Erdöl synthetisi­ert. Aber zugleich erlebt gerade heute, wo sich unsere Energiegew­innung von Brennstoff­en emanzipier­en soll und sich unsere Industrie in ihrer nächsten Verwandlun­g vom Material zum Digitalen wendet, das Feuer einen neuen, fast revolution­ären Durchbruch.

Zum ersten Mal werden im zivilisier­ten Deutschlan­d über 50 Prozent der Verstorben­en verbrannt. Vor hundert Jahren war es noch nur jeder Hundertste. Ein neues, feierliche­s Ritual? Der Bestatterv­erband befürchtet vielmehr eine sich durchsetze­nde „Entsorgung­smentalitä­t“. Kein Pflegebeda­rf mehr. Und rät zur Besinnung. Im klassische­n Totengebet heißt es: „Das ewige Licht leuchte ihnen.“Und auch dieses ewige Licht kennt ja ein Symbol. Es ist eine Kerze in Kirchen. Es brennt immer. Nicht wegen der LEDs. Sondern weil dieses Zeichen für die Gegenwart Gottes immer von einem Menschen erneuert wird.

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