Unser Spiel mit dem Feuer
Seit heute Nacht brennt die olympische Flamme. Ein starkes Symbol. Denn im Umgang mit dem Feuer beweist sich das Menschsein – vom Ursprung bis in den Tod. Eine Geschichte über Macht und ihren Missbrauch
Nein, es ist kein Zufall, dass das Feuer am Beginn unserer Serie zu den vier Elementen des Lebens steht. Auch weil nun, nach einer Reise über tausende Kilometer hinweg, vom Ursprungsort der Spiele in Griechenland aus, das olympische Feuer nach Rio de Janeiro gefunden hat. In der heutigen Nacht hat es dort die weithin sichtbare Flamme entfacht, die für die Werte der Spiele stehen soll: Exzellenz, Freundschaft und Respekt. Schon dieses Ritual des durch die Welt wandernden Lichts und das Symbol von Fackelträgern rührt an ein mächtiges Motiv im menschlichen Bildgedächtnis.
Es führt hinein in die stille Dunkelheit der christlichen Osternacht, in die ein Pfarrer als einziges Licht die Osterkerze trägt. Von dieser verbreitet sich dann wie die Botschaft der Auferstehung die Flamme von Gläubigem zu Gläubigem, erhellt die Kirche und nach behutsamem Nachhausegehen dann jedes Heim. Es führt zu „Laterne, Laterne, dort oben leuchten die Sterne, hier unten, da leuchten wir“.
Aber liegen im selben Gedächtnis nicht die Bilder von Fackelzügen, die einst Nächte erhellten, zugleich aber Boten einer dunklen Zeit waren? Von den Nazis bis zum KuKlux-Klan? Für manche jedenfalls ist auch die olympische Flamme ein Zeichen der Macht. Gerade darum freuten sich brasilianische Demonstranten vor wenigen Tagen, als sie die Fackel auf dem Weg nach Rio durch ihre Blockaden zum Erlöschen brachten. Und wie genüsslich war auch die Häme vor bald drei Jahren, als die Flamme auf dem Weg zu den Spielen im russischen Sotschi ausgerechnet dann erstarb, als Prä- sident Wladimir Putin sie in Empfang nahm. Exzellenz, Freundschaft und Respekt? Im Lichte des aktuellen Folgestreits ums olympische Russland jedenfalls hat der erlöschende Staffelstab der Werte hier wohl aus purem Zufall ein starkes Bild gesetzt, mitten hinein ins akribisch geplante Protokoll der symbolischen Inszenierung …
Und es ist ja eben kein Zufall, dass dem Feuer solch große Bedeutung zukommt. Denn als Element des Lebens wirkt es ja noch viel tiefer hinein ins Menschsein. Es stand am Anfang all dessen, was Zivilisation heißt – und steht darum auch hier am Beginn. Der holländische Soziologe Johan Goudsblom hat das in seinem erhellenden Buch „Feuer und Zivilisation“zusammengetragen. Dass der Mensch nämlich die Kontrolle über das Feuer erlangte, ermöglichte im Lauf der Geschichte die großen Entwicklungen seiner Lebenskultur. Der prähistorische Mensch war durch die Zähmung der Flammen kein vagabundierender Räuber mehr: Sie ermöglichte ihm Sesshaftigkeit durch Tierhaltung und Rodung von Land, wodurch es wiederum erst landwirtschaftliche Entwicklung geben konnte.
Diese Kontrolle brachte auch die Möglichkeit des Kochens und Garens. Das unterscheidet nicht nur den Menschen vom Tier – es ließ seine Zähne kleiner, den nun weniger beanspruchten Verdauungsapparat kleiner und größer dafür das Gehirn werden. Nach Goudsblom hat mit dem gezielten Einsatz der Flamme auch die Wissenschaft begonnen. Und der Mensch nutzte den entstehenden Rauch wohl auch als erstes Kommunikationsmittel über größere Distanzen. Zudem kamen zum Kochen ja auch noch das Backen, Töpfern und das Schmelzen – was in der Folge auch die Herstellung von Dolchen und später von Schwertern ermöglichte.
Schließlich ist dem planbaren Einsatz der Flamme auch ein uns noch sehr naher Wandel des Lebens verbunden: die Industrialisierung durch die Vereinigung durch Feuer und Wasser. Durch die Erzeugung von Dampf nämlich schuf der Mensch eine neue Energieform, die Maschinen von bis dato unvorstellbarer Kraft und Größe möglich machte. Die begrenzten körperlichen Fähigkeiten des Menschen sind seitdem für immer aus vielen Tätigkeiten durch Besseres, Stärkeres und Schnelleres verdrängt. Aber das gilt natürlich auch für die Zerstörungskraft, die sich der Mensch mit der Kontrolle des Feuers und seiner Wirkung zu eigen gemacht hat. Dazu die Ausbeutung der Erde für Brennstoffe, die durch Hitze mögliche Herstellung von Kunststoffen, die von der Natur nicht mehr zersetzbar sind… Der Mensch das Feuer – es ist eine in seiner Wirkung unendliche Geschichte.
Die wohl schönste Erzählung des Menschen über dieses Verhältnis betont gerade den Zwiespalt. Es ist die Sage aus der griechischen Antike, die vom aufmüpfigen Prometheus erzählt. Er war es, der aus dem Boden der Erde, in dem, so der große Nacherzähler Gustav Schwab, „der Same des Himmels vielfältig schlummerte“, die Menschen formte. Nach dem Abbild der Götter, als „Herren der Welt“. Er brachte ihnen alles Notwendige bei, verschaffte ihnen sogar den Geist der Weisheit – und machte die Götter des Olymp dadurch misstrauisch. Schließlich sogar zornig. Weil er durch eine List die Unterwerfung seiner Lieblinge unter jene Götter verhindern wollte. Zur Strafe untersagte Himmelsherrscher Zeus den Menschen den letzten Schritt zu ihrer Entwicklung: das Feuer.
Aber Prometheus stahl es aus dem Himmel und brachte es ihnen. Die folgende List der Götter wiederum ist sprichwörtlich geworden. Von einer traumschönen Frau ließ Zeus den Menschen als Aufwartung ein Gefäß vermeintlich voller Geschenke überbringen. Entgegen aller Warnungen öffnete Prometheus’ Bruder, der zuverlässig bezauberte Epimetheus, jene „Büchse der Pandora“. Und aus diesem Gefäß fluteten alle Übel auf die Erde. Von der Beschwerlichkeit der Arbeit bis zu quälenden Krankheiten zum Tode – von nun an war das Leben der Menschen davon gezeichnet. Ein Einziges blieb zuunterst in der Büchse, weil Pandora auf Weisung von Zeus sie schnell genug verschloss: die Hoffnung. Und so lebt der Mensch fortan: zwar mächtig geworden, aber von den Folgen gepeinigt; aus dem Boden der Natur entstanden, in der Nutzung der Umwelt versiert und ihr doch für immer durch den göttlichen Funken entfremdet. Tragische Herren der Erde.
Fluch und Segen jedenfalls bleibt uns das Feuer bis heute. Dem Wunder der exakt richtigen Distanz zur Sonne verdanken wir alle Lebensgrundlagen unseres Planeten – und können noch über anderes Himmlisches staunen. Wie etwa eine totale Sonnenfinsternis. Weil wir zufällig genau den Teil der Erdgeschichte bevölkern, in dem Mond und Sonne von der Erde aus exakt gleich groß erscheinen – obwohl das eine ein flammender Gasriese im Zentrum unseres Sternensystem ist, den wir umkreisen, und das andere nur dessen kleiner Spiegel, der als Gesteinsbrocken aus unserem Wirt gebrochen ist und uns umkreist. Aber statt unter diesen Wundern gemeinsam am immer einmalig züngelnden Lagerfeuer zu sitzen, und sei es auch nur dessen Ersatz in der aus Bildschirmen glimmenden Samstagund abend-Show, oder gar füreinander zu glühen, entflammt die Welt von Brandanschlägen. Gibt es Zündler hier wie da. Nähren schwelenden Konflikte aus kalt geglaubter Asche das Aufflammen der Angst vorm neuen Flächenbrand.
Aber immerhin grillen wir ja wieder wie die Weltmeister, in trauten Runden, am liebsten samt Profiausstattung. Und immerhin holen sich immer mehr Menschen wieder das tröstliche Flackern des kontrollierten Feuers ins eigene Zuhause, mit Retro-Holzhöfen und schicken Kaminen, wenn man sich’s denn leisten kann. Wir kaufen zwar längst auch künstlich flackernde LED-Kerzen, und wenn ein Docht noch wirklich brennt, ist das Wachs, von dem er sich nährt, meist aus Erdöl synthetisiert. Aber zugleich erlebt gerade heute, wo sich unsere Energiegewinnung von Brennstoffen emanzipieren soll und sich unsere Industrie in ihrer nächsten Verwandlung vom Material zum Digitalen wendet, das Feuer einen neuen, fast revolutionären Durchbruch.
Zum ersten Mal werden im zivilisierten Deutschland über 50 Prozent der Verstorbenen verbrannt. Vor hundert Jahren war es noch nur jeder Hundertste. Ein neues, feierliches Ritual? Der Bestatterverband befürchtet vielmehr eine sich durchsetzende „Entsorgungsmentalität“. Kein Pflegebedarf mehr. Und rät zur Besinnung. Im klassischen Totengebet heißt es: „Das ewige Licht leuchte ihnen.“Und auch dieses ewige Licht kennt ja ein Symbol. Es ist eine Kerze in Kirchen. Es brennt immer. Nicht wegen der LEDs. Sondern weil dieses Zeichen für die Gegenwart Gottes immer von einem Menschen erneuert wird.