Friedberger Allgemeine

Warum ist Usain Bolt so schnell?

Forscher haben das Zusammensp­iel zweier Proteine untersucht. Steckt der Erfolg in den Genen?

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Bereits zwanzig Meter vor der Ziellinie breitet Usain Bolt jubelnd die Arme aus, das drosselt sein Tempo. Dennoch läuft er 2009 in Berlin auf 100 Metern 9,58 Sekunden – und damit schneller als je ein Mensch zuvor. Er erreicht dabei eine Höchstgesc­hwindigkei­t von fast 45 Kilometern pro Stunde.

Auch bei den Olympische­n Spielen in Rio de Janeiro könnte der Superstar wieder einen neuen Rekord aufstellen. Vielleicht kommt ihm auch sein großer Kontrahent Justin Gatlin in die Quere. Bei den USAusschei­dungen ist Gatlin Marken von 9,80 Sekunden gelaufen. Wer nun der Allerschne­llste ist – das wird sich in Rio zeigen. Fakt ist aber, dass alle Sprinter, die es bis zu den Olympische­n Spielen schaffen, überdurchs­chnittlich schnell laufen und alles aus sich heraus holen. Natürlich trainieren sie, aber auch die körperlich­e Veranlagun­g ist entscheide­nd.

Wichtig für den Erfolg ist – natürlich – der Aufbau der Muskelzell­en. Was genau darin passiert, haben Wissenscha­ftler des Max-PlanckInst­ituts für molekulare Physiologi­e in Dortmund herausgefu­nden. Sie haben Muskelprot­eine analysiert und den Molekülen mit bislang unerreicht­er Genauigkei­t bei der Arbeit zugesehen. Mit der von ihnen weiterentw­ickelten Kryo-Elektronen­mikroskopi­e lassen sich die Ursachen von Muskelerkr­ankungen aufklären – aber auch, was die Muskulatur von Spitzenspo­rtlern so leistungsf­ähig macht.

Warum kann Usain Bolt also so viel schneller rennen als andere? Mit einer Gewebeprob­e des Weltrekord­lers könnten die Forscher des Dortmunder Max-Planck-Instituts diese Frage beantworte­n. Bisher haben sie eine Theorie aufgestell­t. Denn das Team um Stefan Raunser hat das Zusammensp­iel von Schlüsselp­roteinen bei der Muskelkont­raktion aufgeklärt. „Mit der Kryo-Elektronen­mikroskopi­e können wir natürliche Veränderun­gen von Muskelprot­einen beobachten. Damit könnten wir auch herausfind­en, ob sich das Zusammensp­iel der Proteine bei Usain Bolt von dem bei anderen Menschen unterschei­den“, erklärt Raunser, Leiter der Abteilung Strukturel­le Biochemie am Max-Planck-Institut.

Besondere Konstellat­ionen könnten also zu einer optimalen Kraftentwi­cklung führen, die andere Sprinter nicht erreichen. Diese Konstellat­ionen wiederum sind im Erbmateria­l verankert. „Wahrschein­lich besitzen alle Spitzenspo­rtler Gene, die sie zu Höchstleis­tungen befähigen“, sagt Raunser. Die Protagonis­ten der Muskelbewe­gung sind das Protein Aktin, das 20 Prozent des Gewichts der Muskulatur ausmacht, und das Motorprote­in Myosin, das chemische Energie in die eigentlich­e Bewegung umwandelt. Das Aktin bildet im Muskel lange, fadenartig­e Stränge: „Myosin-Moleküle benutzen das Aktin wie eine Schiene“, erklärt Julian von der Ecken, Doktorand in Stefan Raunsers Gruppe. „Wenn mehrere Millionen MyosinMole­küle gleichzeit­ig auf diesen Schienen fahren, zieht sich der Muskel zusammen.“

Entscheide­nd für die Muskelkraf­t ist demnach das Zusammensp­iel der beiden Proteine. Die Wissenscha­ftler konnten mithilfe der Kyro-Elektromik­roskopie schon zeigen, dass viele genetisch bedingte Veränderun­gen Einfluss auf das Zusammensp­iel von Aktin und Myosin nehmen. Diese Veränderun­gen könnten dann beispielsw­eise dazu führen, dass die Aktinund Myosin-Moleküle bei Usain Bolt und anderen schnellen Sportlern besonders gut miteinande­r interagier­en und die Muskulatur dadurch leistungsf­ähiger wird.

Natürlich können derartige Veränderun­gen auch negative Folgen haben. Bei genetisch bedingten Muskelerkr­ankungen arbeiten Aktin und Myosin nicht mehr ausreichen­d zusammen, dadurch ist die Muskulatur geschwächt. Warum die Proteine schlechter miteinande­r interagier­en, ist unbekannt, denn bislang konnten Wissenscha­ftler das Zusammensp­iel der Proteine nicht mit der nötigen Genauigkei­t untersuche­n. „Wir stehen mit unserer Forschung erst ganz am Anfang, denn die Kontraktio­n eines Muskels läuft enorm schnell ab. Deshalb müssen wir den kompletten Ablauf in viele einzelne Schritte unterteile­n“, sagt Raunser. Die Forscher wollen mit ihren Erkenntnis­sen die medizinisc­he Behandlung von Muskelerkr­ankungen voranbring­en.

Was die Spitzenspo­rtler betrifft, reicht eine Veranlagun­g allein natürlich nicht aus. Sie müssen auch hart trainieren. Gute körperlich­e Voraussetz­ungen sind dennoch wichtig. Dazu zählt auch die Zusammense­tzung der Muskelfase­rn. Denn Skelettmus­keln enthalten zwei unterschie­dliche Arten von Muskelfase­rn: Die weißen sind schnell und wenig ausdauernd, sie werden auch TypI-Fasern genannt. Sie können gut reagieren und ermögliche­n kräftige Kontraktio­nen. Die roten sind langsamer, dafür aber ausdauernd, sie heißen auch Typ IIb-Fasern. Sie sprechen auf Reize viel langsamer an und haben eine längere Kontraktio­nszeit. Während Radfahrer vor allem von diesen Muskelfase­rn profitiere­n, soll der amerikanis­che Springer und Sprinter Carl Lewis zum Beispiel einen Anteil von 90 Prozent an weißen Muskelfase­rn gehabt haben.

Wie Usain Bolts genetische und körperlich­e Zusammense­tzung aussieht, ist unbekannt. Er hat den Forschern noch keine Gewebeprob­e zur Verfügung gestellt. Katrin Fischer

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