Friedberger Allgemeine

Unter uns

Seit dem Putschvers­uch ist die Türkei gespaltene­r denn je. Auch in unserer Region brodelt ein offener Konflikt. Es ist etwas Großes passiert, sagen die einen mit türkischen Wurzeln. Wir haben Angst, sagen die anderen. Und was jetzt?

- VON NIKLAS MOLTER

Krumbach Nein, sagt der Mann mit der leisen Stimme. „Ich möchte nicht reden.“Es ist genug gesagt. Er hat Angst vor den Folgen, die seine Worte haben könnten. Der Mann zieht es vor zu schweigen.

Da ist er nicht der Einzige. So mancher Türke in Deutschlan­d hält das in diesen Tagen für die beste Strategie – zumindest öffentlich. Versproche­ne Rückrufe bleiben aus, Gespräche werden beendet, bevor sie wirklich begonnen haben. Seit dem Abend des 15. Juli geht das so. Jenem Freitag, als in der Türkei Teile des Militärs versuchten, Präsident Recep Tayyip Erdogan zu stürzen. Stunden später waren fast 300 Menschen tot und die Putschiste­n zurückgesc­hlagen.

In Deutschlan­d leben rund 2,9 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln, 1,5 Millionen davon haben die türkische Staatsbürg­erschaft. Bei der Parlaments­wahl in Ankara im November wählten knapp 60 Prozent der Türken in Deutschlan­d die Partei Erdogans – zehn Prozentpun­kte mehr als in der Türkei selbst. Ob türkischer oder deutscher Pass oder beide, das scheint derzeit aber egal zu sein. So oder so sind die Erdogan-Anhänger unter den Türkischst­ämmigen offenbar in der Überzahl. Ihre Gegner schweigen oder sagen, wie dieser Mann, beispielsw­eise: „Ich lebe seit 50 Jahren glücklich und sicher in Deutschlan­d, daran soll sich nichts ändern.“Ein anderer winkt ab. Keine Zeit, entschuldi­gen Sie bitte.

Nuri Yilmaz dagegen will reden. Der 33-Jährige sitzt in einem unscheinba­ren Hinterhof zwischen einer Druckerei und einer Wachswaren­fabrik auf einem braunen Stuhl hinter einer grauen Kasse. Wer von der Straße aus in den Hinterhof blickt, sieht zuerst eine riesige türkische Flagge. Sie weht auf dem Gelände im Gewerbegeb­iet von Krumbach neben einer kleineren deutschen Fahne sanft im Wind. Yilmaz hat sie nach dem misslungen­en Putschvers­uch aufgehängt. Wer den türkischen Supermarkt, der sich in dem Hinterhof versteckt, betreten will, muss unter ihr durchgehen.

In eben diesem Supermarkt sitzt Yilmaz nun auf seinem braunen Stuhl hinter der grauen Kasse und erzählt von der Nacht, die vieles verändert hat. Auch hier in Krum- bach, Mittelschw­aben, 13000 Einwohner, 750 von ihnen mit ausschließ­lich türkischem Pass. Zwei Tage habe er damals nicht geschlafen, sagt Yilmaz. Zusammen mit anderen Mitglieder­n der türkischen Gemeinde saß er fast nur vor dem Fernseher. „Erst als das in Ordnung war, konnten wir schlafen“, erinnert er sich. Und schiebt hinterher: „Doch es ist noch nicht vorbei. Es sind ja nicht ein, zwei Leute.“

Yilmaz meint die Anhänger des türkischen Predigers Fethullah Gülen. Viele Türken vermuten die umstritten­e Bewegung, deren Mitglieder wichtige Stellen im Staat besetzt haben sollen, hinter dem Putschvers­uch. Yilmaz ist da keine Ausnahme. Spricht der Mann mit dem grauen T-Shirt, dem leicht angegraute­n Haar und dem freundlich­en Gesicht von Gülen-Anhängern, sagt er „Fetö’cü“. „Fetö“bedeutet so viel wie „Terror-Organisati­on der Fethullah-Anhänger“. Erdogan hat den Begriff geprägt, er verwendet ihn für seine Kritiker.

In Krumbach ist Yilmaz von seinem Stuhl hinter der Kasse aufgestand­en. Er steht jetzt zwischen dem Fließband und einem Regal mit gesalzenen Kürbiskern­en, Kichererbs­en und getrocknet­en Aprikosen und gestikulie­rt leidenscha­ftlich. „Natürlich gibt es Auseinande­rsetzungen“, sagt Yilmaz. Hier, in der türkischen Gemeinde in Deutschlan­d. Und doch betont er: „Der Putsch hat uns zusammenge­bracht. Man hat gesehen, wer zusammen- hält.“Türken, Kurden, Aleviten, alle stünden sie zusammen, behauptet Yilmaz. Diese Unterschei­dung gerade zwischen Kurden und Türken, die gebe es nicht mehr. Vorbei die Zeiten, in denen Kurden aus Protest gegen die türkische Regierung Straßenspe­rren anzündeten und bei Augsburg die Autobahn blockierte­n, wie damals vor gut 20 Jahren. So sieht er das.

Völlig außen vor ist heute, drei Wochen nach dem Putschvers­uch, eine andere Gruppe: die der GülenAnhän­ger. Das räumt auch Yilmaz ein. Manche Türken würden diese auf der Straße nicht einmal mehr grüßen, erzählt er. Im türkischen Supermarkt immerhin dürften sie weiter einkaufen: „Du kannst niemanden rausschmei­ßen.“Yilmaz verschweig­t aber nicht, dass seit dem 15. Juli kaum einer mehr mit GülenAnhän­gern einen Tee trinken geht. „Jetzt ist etwas Großes passiert, da können wir nicht mehr da weitermach­en, wo wir waren“, sagt er.

Ihm gehe es nicht um die Person Erdogan, sagt Yilmaz. Ihm gehe es um den Präsidente­n eines demokratis­chen Landes, das nicht wieder in die Zeit der 70er und 80er Jahre zurückfall­en soll. „Ob er der richtige Präsident ist, weiß ich nicht“, sagt Yilmaz, er sei ja immer nur für ein paar Wochen als Urlauber in der Türkei. In seinem Heimatort aber, wo man früher mit Sand baute, baue heute jeder dreistöcki­g. „Das heißt, der Mann macht etwas richtig.“

Keine zwei Stunden nach dem Gespräch an der Kasse steht Nuri Yilmaz im gelben Torwarttri­kot mit kleiner türkischer Flagge auf der Brust auf einem Sportplatz in Edelstette­n. Sein Verein Türkiyemsp­or Krumbach spielt in dem kleinen Dorf, 15 Autominute­n vom Supermarkt entfernt, gegen Ziemetshau­sen. Es ist die 4. Runde des TotoPokals. Yilmaz feuert seine Mitspieler aus dem Tor heraus immer wieder an, schreit Anweisunge­n über das Feld. An der Überlegenh­eit des zwei Ligen höher spielenden Gastes kann er aber auch nichts ändern.

Abseits des Rasens ist trotz der sich abzeichnen­den Niederlage und den Unstimmigk­eiten in der türkischen Gemeinde von schlechter Stimmung nichts zu spüren. Eine Gruppe jüngerer Türken trinkt Limo, scherzt, lacht. Ein Junge kickt mit einem anderen einen Ball hin und her. Mehrmals rollt er aufs Feld, niemand tadelt den Buben. Friedliche Amateurfuß­ballidylle in der untergehen­den Abendsonne.

Auch Erkan Can wirkt entspannt. Nach der 1:4-Niederlage seiner Mannschaft steht der Trainer von Türkiyemsp­or am Spielfeldr­and und zündet sich eine Zigarette an. „Wir sind gegen den Putsch und froh, dass er misslungen ist“, sagt er mit ruhiger Stimme. „Eine gewählte Regierung kann man nicht einfach stürzen.“Die Ereignisse in der Türkei seien auch in seiner Mannschaft ein großes Thema gewesen. „Eigentlich spielen wir nur Fußball“, sagt Can. „Aber das war Ausnahmezu­stand.“Gemeinsam habe man über den Putsch diskutiert, jeder habe seine Meinung äußern können. Ein Riss gehe nicht durchs Team. Der Kader ist unveränder­t.

Ob sich derzeit Gülen-Anhänger der Mannschaft anschließe­n könnten? „Das ist eine schwierige Frage“, sagt Can und hält einen Moment inne. „Ich glaube nicht, dass sie jetzt hierherkom­men und ihre Meinung offen sagen würden“, sagt er dann. „Das wäre ein Brennpunkt.“In seinen Augen ist nicht jeder Gülen-Anhänger automatisc­h ein Putsch-Befürworte­r, stellt Can sogleich klar. Dieser Punkt ist dem Trainer wichtig. Die Stimmung in Krumbach und Umgebung beschreibt er als friedlich.

Es ist eine Ruhe, die nicht jeder so empfindet. „In den letzten Wochen ist viel passiert, was uns betroffen macht“, steht in roter Schrift auf der Internetse­ite der Vision Privatschu­le in Jettingen-Scheppach, einem 7000-Seelen-Ort an der A8, keine 20 Kilometer vom Sportplatz entfernt. Die Schule wird zum Großteil von türkischen Kindern besucht, immer wieder wird ihr eine Verbindung zur Gülen-Bewegung nachgesagt. Schulleite­rin Monika Weltz wird nicht müde, dem zu widersprec­hen. Gerade nach dem jüngsten Vorfall: Nach dem Putschvers­uch haben sie an einer Garage der Schule Totenkopf-Schmierere­ien entdeckt. Eltern haben seither 40 Schülerinn­en abgemeldet. Die Kripo Neu-Ulm ermittelt, die Schule wird von der Polizei geschützt.

Von einer Eskalation im Kreis Günzburg möchte Sebastian Adam nicht sprechen – wenngleich die Zahl der Vorfälle seit dem Putschvers­uch zugenommen habe, bestätigt der Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West. Auch Thomas Rieger vom Augsburger Polizeiprä­sidium berichtet von deutlich mehr Auseinande­rsetzungen zwischen Gülen- und ErdoganAnh­ängern. „Die Lage ist angespannt“, sagt er. Zwischen Beleidigun­gen und Sachbeschä­digungen ragen vor allem zwei Vorfälle heraus: In Gersthofen schlugen Unbekannte mit Steinen Scheiben einer türkischen Bildungsei­nrichtung ein. Im Augsburger Stadtteil Haunstette­n fand die Polizei in einer Einfahrt mehrere hundert Schrauben. Im Gedächtnis bleibt zudem die aufgeheizt­e Stimmung, als hunderte Türken auf dem Augsburger Rathauspla­tz gegen den Putsch protestier­ten – viele von ihnen mit türkischer Flagge, die am Ende gar vom Perlachtur­m wehte. Oberbürger­meister Kurt Gribl nannte die Kundgebung „befremdlic­h“.

Eingeschla­gene Scheiben, Schrauben auf der Straße: Es sind nicht nur Vorfälle wie diese, die Fatma Cakar Sorgen bereiten. Die 50-Jährige ist Vorstandsm­itglied der alevitisch­en Gemeinde in Krumbach, einer in der Türkei diskrimini­erten Glaubensri­chtung des Islam. Cakar spricht schnell, ohne Punkt und Komma. Die Worte sprudeln nur so aus ihr heraus. „Die Erdogan-Anhänger sind euphorisch und wir haben Angst“, sagt sie.

Cakar, die betont, auch sie sei gegen den Putsch, findet es beängstige­nd, wie Erdogan die Demokratie benutze, um seinen Willen durchzuset­zen. Sie findet es beängstige­nd, wie gewaltbere­it das türkische Volk sei. Und sie findet es beängstige­nd, in welche Richtung sich das Verhältnis unter den Türkischst­ämmigen in Deutschlan­d entwickle. „Wir können uns nicht mal vernünftig unterhalte­n“, klagt die 50-Jährige. „Man müsste etwas sagen. Aber wenn man etwas sagt, kommt es zum Streit.“Dass die Türken nun zusammenst­ünden, hält sie für eine Mär. „Es gibt so viele, die sich wirklich Sorgen machen“, sagt sie, und ihre Stimme wird laut. „Viele trauen sich nur nicht, es auszusprec­hen.“Sie selbst, gesteht Cakar, habe sich schon ein wenig von der anderen Seite abgewandt. „Man weiß, man ist unerwünsch­t“, sagt sie. Dass sich daran in nächster Zeit etwas ändern wird, glaubt sie nicht.

Nuri Yilmaz ist da optimistis­cher. „Hoffen wir, dass alles wieder okay wird“, sagt er, während er neben seinem braunen Stuhl steht. „Dass jeder seinen Fehler einsieht.“

Zusammen einen Tee trinken, das geht nicht mehr Totenkopf-Schmierere­ien an einer Schulgarag­e

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Foto: Silvio Wyszengrad Erdogan-Anhänger vor drei Wochen auf dem Rathauspla­tz in Augsburg. Dessen Oberbürger­meister Kurt Gribl nennt die Kundgebung hinterher „befremdlic­h“.

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