Europa streitet über den Umgang mit der Türkei
Österreichischer Außenminister für Abbruch
Berlin Angesichts des harten Vorgehens der türkischen Regierung gegen ihre Gegner nach dem versuchten Militärputsch wird in Deutschland verstärkt über einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara diskutiert. Während Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) mit seiner Forderung nach einem Abbruch der Gespräche Unterstützung von Linken und FDP erhielt, sprach sich neben den Europa-Abgeordneten Elmar Brok (CDU) und Rebecca Harms (Grüne) auch der deutsche Vizekanzler und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel entschieden dagegen aus.
Kurz hatte angekündigt, im EUAußenministerrat sein Veto gegen die Eröffnung weiterer Kapitel in den Beitrittsgesprächen einzulegen. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) werde zudem beim EU-Gipfel am 16. September versuchen, andere Staats- und Regierungschefs von einem „Beitrittsverhandlungsstopp mit der Türkei“zu überzeugen. Kerns deutscher Parteifreund und SPD-Vorsitzender Gabriel hält davon reichlich wenig: „In der Lage, in der wir jetzt sind, müssen wir eigentlich jeden Gesprächskanal zur Türkei suchen“, sagte Gabriel am Sonntagabend im ARD-Sommerinterview. Es sei „ein bisschen wie mit Russland“, es habe keinen Sinn, so zu tun, „als ob wir nicht mit diesem schwierigen Nachbarn klarkommen müssten“. Er glaube ohnehin nicht, „dass die Türkei in absehbarer Zeit“die Chance habe, der EU beizutreten.
Der CDU-Europa-Abgeordnete Brok äußerte sich ähnlich. Ein sofortiges Aussetzen der Beitrittsgespräche bezeichnete er in der Welt
am Sonntag als „diplomatischen Unsinn“. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament gab allerdings zu, dass die Gespräche derzeit wegen der innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei nicht zu einem Erfolg führen würden und plädierte dafür, der Türkei langfristig einen Status wie Norwegen zu gewähren. Die GrünenFraktionsvorsitzende im Europaparlament, Rebecca Harms, warnte ihrerseits vor unüberlegten Schritten. „Europa darf nicht die aufgeklärten, demokratieorientierten Türken, die sich auf die EU verlassen haben, im Stich lassen. Wir sollten auf Forderungen im Affekt verzichten“, sagte Harms.
Der Vorsitzende der Unionsfraktion, Volker Kauder, verteidigte wiederum den Flüchtlingspakt gegen österreichische Forderungen, auch diesen aufzukündigen: Die Türkei halte sich „beim Flüchtlingsabkommen an ihre Abmachungen mit der Europäischen Union“. Sie versorge weiterhin drei Millionen Flüchtlinge, die in der Türkei Aufnahme gefunden hätten, und unterbinde das Schlepperwesen, sagte Kauder.
Auf ein Entgegenkommen der EU im Streit um das Visa-Abkommen kann die Türkei jedoch weiterhin nicht hoffen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erteilte entsprechenden Forderungen eine klare Absage. Zugleich bekräftigte auch er jedoch die Notwendigkeit, an der Flüchtlingsvereinbarung festzuhalten. Die EU habe zu Beginn des Jahres nicht länger zuschauen können, „wie Zehntausende in der Ägäis sterben“, sagte er. Die EU müsse auch mit schwierigen Nachbarn wie der Türkei zusammenarbeiten, sagte Juncker. „Nicht, weil wir diese oder deren Regierungen alle besonders lieben“, sondern um menschliches Leid zu lindern. Zur Visafreiheit sagte der EU-Kommissionschef: „Grundrechte, wie etwa die Pressefreiheit, dürfen nicht einfach mit dem Hinweis auf die Anti-Terror-Gesetzgebung ausgehebelt werden.“
Angesichts der Repressionen gegen Regierungskritiker in der Türkei fordern Abgeordnete von Union und SPD, dass sich der deutsche Moscheen-Dachverband Ditib von der Politik Erdogans distanziert. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Mayer sagte, eine Zusammenarbeit mit Ditib könne nur fortgesetzt werden, wenn sich der Verband nicht von Erdogan „als unkritisches Sprachrohr instrumentalisieren lässt“.