Als die Kinder ihr Augsburg retteten
Im Kriegsjahr 1704 beteten die Mädchen und Buben am Friedensfest für die Befreiung ihrer Stadt. Sie wurden erhört und man sprach von einem Wunder
Das Kirchenschiff ist gefüllt mit Kindern jedes Alters beim andächtigen Gebet. Auf der Kanzel über ihren Köpfen steht Pfarrer Lomer. Vor einem Rauchopferaltar betet, die Hände flehentlich gefaltet, eine weibliche Gestalt mit Krone: Augusta, die allegorische Darstellung der Freien Reichsstadt. Es ist Krieg und es geht um das Schicksal Augsburgs. Wer die Barfüßerkirche nach ihrer Sanierung besucht, kann sich in das Bild an der Südwand vertiefen. Der unbekannte Maler stellte den Gottesdienst in dieser Kirche beim Kinderfriedensfest des Jahres 1704 dar.
Seit 1650 wurde es jedes Jahr am Mittwoch nach dem Hohen Friedensfest in den evangelischen Gemeinden gefeiert. Die Kinder bekamen ein Friedensgemälde und zur Erinnerung an die Hungersnöte der Kriegszeiten einen Friedenswecken. 1704 war das Fest allerdings als „Kinderbußfest“angekündigt. In Europa tobte der Spanische Erbfolgekrieg, der Augsburg schwere Wunden schlug.
Im Herbst des Vorjahres hatte die sich neutral erklärende Stadt den Kaiserlichen ihre Tore geöffnet. Im Dezember belagerten die französische und die bayerische Armee unter dem Kurfürsten Max Emanuel die Fuggerstadt und schossen sechs Tage lang die Mauern im Nordwesten in Schutt und Asche. Über hundert Häuser wurden zerstört. Die
„Die Wunderkraft Deß Gebets der Kinder...“
Bewohner des Viertels flohen in die Jakober Vorstadt. Das Friedensgemälde von 1704 zeigt das zerstörte Augsburg, sein Text nimmt Bezug auf das zerstörte Jerusalem.
Damals strömten 13000 französische Soldaten in die wehrlose Stadt, die keine 30000 Einwohner hatte. Der Kurfürst zwang ihr eine Verfassung auf, die den Status der Freien Reichsstadt beendete und sie zu kurbayerischem Gebiet erklärte. Die Stadt wurde entwaffnet, das Zeughaus ausgeräumt und die Waffen ebenso nach München geschafft wie Teile der Stadtbibliothek. Augsburgs restliche Mauern wurden geschleift, wozu auch seine Bürger herangezogen wurden.
So war die Lage am 13. August, dem Tag des dargestellten Kindergottesdienstes zum Friedensfest des Jahres 1704. Kinder und Gemeinde beteten nachmittags um 3 Uhr für die Befreiung der Vaterstadt. Und sie wurden erhört. An eben diesem Tag tobte bei Höchstädt die Schlacht, die die Wende im Krieg bringen sollte.
Über 100 000 Soldaten waren aufmarschiert. Der Kanonendonner war in Augsburg zu hören. 25000 kostete das Gemetzel das Leben. Die Kaiserlichen unter Prinz Eugen schlugen im Bündnis mit den Engländern unter dem Herzog von Marlborough die französisch- baye- rische Allianz. Als Baron Zech von Deubach und Paul von Stetten d.J. als Abgeordnete der Stadt Herzog Marlborough vom Gottesdienst erzählten, sagte dieser: „Nun, eure Kinder müssen wahrhaftig rechtschaffen gebetet haben.“Bayern verschwand aus Augsburg, für zehn Jahre von der politischen Landkarte und der Kurfürst im Exil.
Auch die Augsburger Protestanten schrieben die Befreiung der Stadt den Gebeten ihrer Kinder zu. Der Buchdrucker Johann Christoph Wagner gab ein Traktat heraus: „Die Wunderkraft Deß Gebets der Kinder Wodurch die streitbaren Hände der Kayserlichen und dero hohen Bunds-Verwandten Armeen (...) gestärcket worden“als ein „praesent von Einem / der sein Heyl und Bestes eifrig sucht.“Der Verfasser stellt heraus, „was frommer Kinder Bitt vor große Wirkung hab“und hebt hervor, dass „just in derselben Stund da unsre Jugend Schar erhebte Hertz und Zungen nach hartem Streit sich der Sieg zu uns gewandt.“
So hat auch Augsburg wie Dinkelsbühl seine Geschichte von der Rettung der Stadt durch seine Kinder. Doch während jene unhistorisch ist und erst durch ein Schauspiel 1897 entstand, aber jedes Jahr in der Kinderzeche gefeiert wird, ist die Rettung Augsburgs aus dem Bewusstsein seiner Bürger verschwunden.