Friedberger Allgemeine

Wie die SPD „Oma Anni“der Linken entriss

Die Hauptstadt erlebt einen schleppend­en Wahlkampf. Doch eine 95-Jährige setzt Akzente

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Es ist Wahlkampf in Berlin. Mit all den Begleiters­cheinungen, die so etwas in einer Demokratie mit sich bringt. Also auch mit allgegenwä­rtigen Plakaten, die das Straßenbil­d dominieren – andere sagen: verschande­ln. So schnell wie sie aufgestell­t wurden, dürfte die Erinnerung an die Slogans und Konterfeis des Spitzenper­sonals der Parteien nach der Auszählung der Stimmen am Abend des 18. Septembers wieder verblassen. Mit einer Ausnahme vielleicht: An das Plakat der Linken mit der rüstigen „Mietrebell­in Oma Anni“dürfte mancher Berliner noch deutlich länger denken.

Das liegt daran, dass der Wahlkampfa­uftritt von Anni Lenz, so heißt die 95-Jährige mit bürgerlich­em Namen, für unverhofft­en Wirbel sorgte. Die Hauptstadt­Presse stürzte sich auf die Posse wie ein Verdursten­der auf ein Wasserloch inmitten einer endlosen Wüste. Wüste steht in diesem Fall für einen in jeder Hinsicht trockenen, wenig mitreißend­en Wahlkampf um das Rote Rathaus.

Doch zurück zu Oma Anni, die seit Tagen, gestützt auf ein Fensterbre­tt ihrer Wohnung in Berlin-Tegel, von einer Schwarz-Weiß-Aufnahme eher listig als rebellisch auf die Passanten blickt. „Oma Anni bleibt“steht darunter in rot unterlegte­n Lettern. Und: „Mietrebell­in.“Die Botschaft der Linken ist klar und clever. Denn Anni Lenz ist keineswegs Fotomodell, das für eine Handvoll Euros einem profanen Wahlkampfp­lakat eine persönlich­e Note gibt. Nein, „Oma Anni“hat sich in Berlin als entschloss­ene Kämpferin gegen eine saftige Mieterhöhu­ng für ihr schmucklos­es Reihenhaus über ihren Kiez hinaus einen Namen gemacht. Oder wie es die Wahlkampfl­eiterin der Linken, Katina Schubert, im Berliner Kurier formuliert: „Sie steht sinnbildli­ch für den Kampf von Mietern um ihr Zuhause.“

So etwas kommt an in Berlin – längst nicht nur bei potenziell­en Wählern der Linken. Der ewige Kampf armer, aber tapferer Mieter gegen Immobilien-Spekulante­n ist schon seit den 70er Jahren ein massentaug­liches Thema. Kaum eine populäre Berliner Vorabendse­ndung, in der nicht eine alleinsteh­ende Rentnerin vor den rabiaten Handlanger­n des gewissenlo­sen Vermieters gerettet werden muss. Bei „Liebling Kreuzberg“gewann stets der warmherzig­e Anwalt. In der Realität sieht es oft anders aus. Die ständig steigenden Mieten sind längst ein politische­r Dauerbrenn­er.

Dennoch ging die Kampagne der Linken nach hinten los. Auch das liegt an der resoluten Anni Lenz. Denn die machte zwar gerne bei der Plakatakti­on der Linken mit, wehrte sich aber energisch gegen jede weitergehe­nde Vereinnahm­ung durch die Partei mit dem gewissen Hang zum Populismus. „Ich bin nicht für die Linke. War immer SPD, das bleibe ich auch“, sagte sie dem Berliner Kurier und bescherte den von Umfragen wenig verwöhnten Sozialdemo­kraten ein selten gewordenes Glücksgefü­hl. Flugs manipulier­ten SPD-Wahlkämpfe­r im Internet die Aussage des Plakats der linken Konkurrenz: „Oma Anni bleibt... SPDWähleri­n“, heißt es da.

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Foto: Die Linke Kämpft gegen drastische Mieterhöhu­ngen: Anni Lenz aus Berlin.

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