Friedberger Allgemeine

Kulturkamp­f um den Kaiserthro­n

Der Tenno kann nicht einfach so in Rente gehen. Mit seinem Vorhaben, aus gesundheit­lichen Gründen abzudanken, rüttelt Akihito an den Grundfeste­n der Gesellscha­ft

- VON FINN MAYER-KUCKUK

Tokio Wie in Japan üblich, drückt der Kaiser seinen Wunsch nur indirekt aus: In gesetzten Worten hat er am Montag von seinem schlechten Gesundheit­szustand gesprochen, von seiner Verantwort­ung als Symbol des Staates und von den Vorteilen eines jüngeren Monarchen. Übersetzt heißt das: Er will abdanken. Ich habe darüber nachgedach­t, wie das Kaiserhaus seine Traditione­n einer guten Sache widmen kann, sagte Kaiser Akihito in einer Videobotsc­haft. Gerade in der alternden Gesellscha­ft seien junge Impulse wichtig. Dafür, so seine unausgespr­ochene Bitte, soll das Parlament den Weg freimachen.

Japan befindet sich nach der Ansprache in Aufregung: Plötzlich ist der Kaiser wieder überall Gesprächst­hema. Der Vergleich mit der Queen drängt sich auf, die am Thron klebt, und mit Papst Benedikt, der für seinen außergewöh­nlichen Rücktritt viel gelobt wurde. Japans Kaiser macht wie Benedikt das Unerwartet­e, und damit begehrt er sanft gegen die Grenzen der monarchisc­hen Regeln in einer starren Gesellscha­ft auf.

Seit dem frühen 19. Jahrhunder­t hat kein Kaiser mehr zu Lebzeiten abgedankt. Akihito ist beim Volk besonders beliebt. Er wirkte immer gütig und zugleich unglaublic­h vornehm. Als erster Monarch einer Dynastie, die vermutlich mehr als zwei Jahrtausen­de in ununterbro­chener Linie zurückreic­ht, hat er sich zumindest ein wenig offen und volksnah gezeigt. Der Wunsch des Kaisers, seine zeremoniel­le Rolle an seinen Sohn Naruhito abzugeben, ist verständli­ch. Akihito ist 82 Jahre alt hat eine Herzoperat­ion hinter sich. Die öffentlich­en Aufgaben fielen ihm in den vergangene­n Jahren zunehmend schwer: Wenn er Staatsober­häupter empfangen hat, bewegte er sich steif und mit Anstrengun­g. Das Hofamt hat ihn 2015 allein für 270 Audienzen eingeplant. Jeder Schritt und jedes Wort, das jemand an ihn richtet, ist dabei vorgeplant. Ein Heer von Beamten schirmt die kaiserlich­e Familie systematis­ch von der Außenwelt ab.

Das war auch der Grund dafür, dass Akihito bei einem Empfang in den Palastgärt­en vor drei Jahren einen Brief nicht lesen durfte, den ihm ein Abgeordnet­er respektvol­l übergeben hat. Der Haushofmei­ster nahm ihm das Papier sofort ab, obwohl Akihito selbst dem jungen Mann offenbar noch länger zugehört hätte. Es ging dem Bittstelle­r um das Schicksal von Kindern in der Provinz Fukushima, die seit dem Reaktorunf­all von 2011 erhöhter Strahlung ausgesetzt sind. Doch das ist Tagespolit­ik und damit für den Kaiund ser tabu. Dennoch wagte es der Kaiser immer wieder, sich seinem Volk zu nähern. Er besuchte die Unterkünft­e von Geflüchtet­en aus Fukushima. Der Tenno wandte sich damals erstmals per Video an das Volk, um den Betroffene­n angesichts einer Katastroph­e mit fast 20000 Toten Mut zu machen.

Seine Bitte um die Möglichkei­t, abzudanken, entspricht einem ähnlichen Wunsch: aus den starren Pfaden des Zeremoniel­ls auszubrech­en. Paradoxerw­eise hat er damit die größten Anhänger des Kaisertums gegen sich. Die Rechtskons­ervativen verehren den Tenno auch heute noch als Gott. Für sie ist das Gesetz über den kaiserlich­en Haushalt von 1889 in Stein gemeißelt, und das sieht vor, dass er bis zu seinem Ableben auf dem Thron bleiben muss.

Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass Akihito sich ausgerechn­et mit dem Royalisten anlegt. Er war es auch, der sich den Taten seines Vaters Hirohito gestellt hat: Dem regierende­n Kaiser, der Japan in den Zweiten Weltkrieg geführt hat, unter dessen Banner die Armee Gräueltate­n in den Nachbarlän­dern verübt hat. Mehrfach sprach er von tiefer Reue über die Geschehnis­se. Wenn das Parlament es dem 125. Tenno erlaubt, aus eigenem Antrieb abzutreten, dann hätte er eine wichtige Änderung vollbracht.

Wenn es dann auch noch die Thronfolge für seine einzige Enkelin Aiko öffnet und damit erstmals seit Jahrhunder­ten wieder eine Kaiserin zulässt, dann hätte Akihito einen kleinen Kulturkamp­f um den Chrysanthe­menthron gewonnen. Wann genau die Volksvertr­eter über eine Revision des Kaisergese­tzes entscheide­n, ist noch unklar.

 ?? Foto: Franck Robichon, dpa ?? Tenno Akihito bei der Eröffnung des Parlaments. Dem japanische­n Kaiser fallen öffentlich­e Auftritte zunehmend schwer.
Foto: Franck Robichon, dpa Tenno Akihito bei der Eröffnung des Parlaments. Dem japanische­n Kaiser fallen öffentlich­e Auftritte zunehmend schwer.

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