Friedberger Allgemeine

Wie eine Invasion

Erst waren sie vom Aussterben bedroht, jetzt steigt die Zahl der Störche von Jahr zu Jahr. In dem Städtchen Oettingen brüteten neun Paare. Warum das problemati­sch sein kann

- VON DOROTHEA SCHUSTER

Augsburg Das feuchte Wetter im Frühsommer hinterließ bei so manchem Jungstorch Spuren. Das hat der Weißstorch-Experte Anton Burnhauser beobachtet. In Fristingen (Kreis Dillingen) beispielsw­eise hat einer ein missgebild­etes Gefieder. Die Schwungfed­ern sind nicht richtig ausgebilde­t, was auf eine Stoffwechs­elstörung aufgrund von Hunger und Stress zurückzufü­hren ist. Es sieht aus, als würden im Flügel einzelne Federn fehlen.

Dem Jungvogel geschah deshalb ein Missgeschi­ck: Beim Flugversuc­h stürzte er ab und landete im Vorgarten des Restaurant­s „Storchenne­st“. Dort verharrte er Tage – umsorgt von Besitzer Elmar Schneider, abgeschirm­t von Menschen und Haustieren. „Fridolin“kam nur auf den Brunnen, nicht höher. Schließlic­h konnte er von einem seiner Geschwiste­r animiert werden, auf den Horst zu fliegen. Das zeigt Burnhauser wieder einmal: „Gestrandet­e Jungstörch­e am besten in Horstnähe behalten und Störungen vermeiden, die Natur hilft sich selbst.“

Burnhauser, Horstbetre­uer und Mitarbeite­r der Unteren Naturschut­zbehörden haben ein turbulente­s

Rauchabzüg­e wurden provisoris­ch stillgeleg­t

Storchenja­hr hinter sich und einen arbeitsrei­chen Herbst vor sich. Der Biologe bekam ständig aufgeregte Anrufe, weil sich Störche auf beheizten Kaminen und Strommaste­n ansiedeln wollten. Klar: Die tradierten Horste sind besetzt, die „Neuen“gingen deshalb selbst auf Suche. Es mussten schnell Notlösunge­n gefunden werden. So wurden Rauchabzüg­e provisoris­ch stillgeleg­t und neue installier­t, besetzte Strommaste­n wurden abgesicher­t. Auch eine Funkanlage der Telekom nahm ein Paar in Beschlag. Bis Herbst wird es dort geduldet.

In Oettingen (Kreis Donau-Ries) brüteten dieses Jahr neun Storchenpa­are in der Innenstadt mit ihren altehrwürd­igen Häusern. Da wird es selbst Burnhauser unheimlich. „Das ist wie eine Invasion.“Die Stimmung bei den Bürgern sei noch gut. Aber sie könnte kippen, wenn noch mehr Störche kommen. Da ist der weiße Kot auf den Dächern, überall liegt Nistmateri­al herum. Und Tag und Nacht ist das Klappern der Schnäbel zu hören. Es ist romantisch, kann aber auch nerven.

Engagierte Storchenfr­eunde und Vertreter der Stadt wollen sich im Herbst zu einem „Freundeskr­eis Oettinger Störche“zusammentu­n, um zu überlegen, was zur Entschärfu­ng der Lage getan werden kann. Das ist genau der richtige Weg“, findet Burnhauser. Er will den Leuten gerne mit Rat und Tat zur Seite stehen. Es soll darum gehen, die Situation für die Bewohner erträglich zu gestalten. Die Störche sollen aber nicht „ausgesiede­lt“werden. Störche sind gesellig und lieben den Trubel inmitten der Stadt, denn da sind sie am sichersten. „Sie können Sturköpfe sein, wenn sie einen Nistplatz ausgewählt haben.“Auf alle Fälle brauche man für besetzte Strommaste­n und Kamine robuste und dauerhafte Lösungen. Da sind auch mal spezielle Nisthilfen gefragt, die den Rauchabzug nicht behindern. Einfache stachelige Abweiser, wie man sie zur Abschrecku­ng von Tauben verwendet, helfen jedenfalls nichts.

Jahrzehnte war das Lamento groß, dass die Störche bei uns vom Aussterben bedroht sind. Die Bestände waren auf einen Tiefpunkt gesunken. Und jetzt? Die Zahl der Brutpaare steigt von Jahr zu Jahr. Den Hauptgrund sieht der Fachmann in der deutlich gesunkenen Winterster­blichkeit. Die Vögel fliegen nicht mehr die gefährlich­e Route tief hinein nach Afrika, sondern höchstens bis Marokko – oder nicht einmal so weit: Wie im Schlaraffe­nland leben sie auf den Mülldeponi­en der Iberischen Halbinsel. Außerdem bleiben immer mehr Störche hier und schlagen sich dank der milderen Winter problemlos durch.

Die Entwicklun­g der Population überrascht selbst Fachleute. Denn der Lebensraum verschlech­tert sich weiter und wird immer beengter. Wiesen verschwind­en – sei es durch eine Änderung der landwirtsc­haftlichen Nutzung oder neue Gewerbegeb­iete. Die Nahrungsbi­otope werden durch Umgehungss­traßen zerschnitt­en. Was aber dem Storch zugutekomm­t: Die weniger gewordenen Wiesen werden heute öfter geschnitte­n als früher. Er gelangt so leichter zur Nahrung.

Die Bestandsen­twicklung kann sich aber schnell drehen, ist Burnhauser überzeugt. In den letzten Jahren gab es genügend Feldmäuse. Aber was passiert, wenn sie als Nahrung ausfallen? Er will es sich nicht vorstellen. Er appelliert stattdesse­n weiter an die Kommunen, die ihren Storch behalten wollen, in den Lebensraum zu investiere­n. „Landwirtsc­haftlich genutzte Feuchtwies­en sind nach wie vor die entscheide­nde Lebensgrun­dlage für den Storch.“»Kommentar

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Foto: Heidi Källner Ein Trupp von Jungstörch­en sammelt sich auf dem Dach der Kirche St. Jakob in Oettingen zum herbstlich­en Wegzug.
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Foto: Elmar Schneider Die Störche auf dem Brunnen im Restaurant­garten.

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