Wie eine Invasion
Erst waren sie vom Aussterben bedroht, jetzt steigt die Zahl der Störche von Jahr zu Jahr. In dem Städtchen Oettingen brüteten neun Paare. Warum das problematisch sein kann
Augsburg Das feuchte Wetter im Frühsommer hinterließ bei so manchem Jungstorch Spuren. Das hat der Weißstorch-Experte Anton Burnhauser beobachtet. In Fristingen (Kreis Dillingen) beispielsweise hat einer ein missgebildetes Gefieder. Die Schwungfedern sind nicht richtig ausgebildet, was auf eine Stoffwechselstörung aufgrund von Hunger und Stress zurückzuführen ist. Es sieht aus, als würden im Flügel einzelne Federn fehlen.
Dem Jungvogel geschah deshalb ein Missgeschick: Beim Flugversuch stürzte er ab und landete im Vorgarten des Restaurants „Storchennest“. Dort verharrte er Tage – umsorgt von Besitzer Elmar Schneider, abgeschirmt von Menschen und Haustieren. „Fridolin“kam nur auf den Brunnen, nicht höher. Schließlich konnte er von einem seiner Geschwister animiert werden, auf den Horst zu fliegen. Das zeigt Burnhauser wieder einmal: „Gestrandete Jungstörche am besten in Horstnähe behalten und Störungen vermeiden, die Natur hilft sich selbst.“
Burnhauser, Horstbetreuer und Mitarbeiter der Unteren Naturschutzbehörden haben ein turbulentes
Rauchabzüge wurden provisorisch stillgelegt
Storchenjahr hinter sich und einen arbeitsreichen Herbst vor sich. Der Biologe bekam ständig aufgeregte Anrufe, weil sich Störche auf beheizten Kaminen und Strommasten ansiedeln wollten. Klar: Die tradierten Horste sind besetzt, die „Neuen“gingen deshalb selbst auf Suche. Es mussten schnell Notlösungen gefunden werden. So wurden Rauchabzüge provisorisch stillgelegt und neue installiert, besetzte Strommasten wurden abgesichert. Auch eine Funkanlage der Telekom nahm ein Paar in Beschlag. Bis Herbst wird es dort geduldet.
In Oettingen (Kreis Donau-Ries) brüteten dieses Jahr neun Storchenpaare in der Innenstadt mit ihren altehrwürdigen Häusern. Da wird es selbst Burnhauser unheimlich. „Das ist wie eine Invasion.“Die Stimmung bei den Bürgern sei noch gut. Aber sie könnte kippen, wenn noch mehr Störche kommen. Da ist der weiße Kot auf den Dächern, überall liegt Nistmaterial herum. Und Tag und Nacht ist das Klappern der Schnäbel zu hören. Es ist romantisch, kann aber auch nerven.
Engagierte Storchenfreunde und Vertreter der Stadt wollen sich im Herbst zu einem „Freundeskreis Oettinger Störche“zusammentun, um zu überlegen, was zur Entschärfung der Lage getan werden kann. Das ist genau der richtige Weg“, findet Burnhauser. Er will den Leuten gerne mit Rat und Tat zur Seite stehen. Es soll darum gehen, die Situation für die Bewohner erträglich zu gestalten. Die Störche sollen aber nicht „ausgesiedelt“werden. Störche sind gesellig und lieben den Trubel inmitten der Stadt, denn da sind sie am sichersten. „Sie können Sturköpfe sein, wenn sie einen Nistplatz ausgewählt haben.“Auf alle Fälle brauche man für besetzte Strommasten und Kamine robuste und dauerhafte Lösungen. Da sind auch mal spezielle Nisthilfen gefragt, die den Rauchabzug nicht behindern. Einfache stachelige Abweiser, wie man sie zur Abschreckung von Tauben verwendet, helfen jedenfalls nichts.
Jahrzehnte war das Lamento groß, dass die Störche bei uns vom Aussterben bedroht sind. Die Bestände waren auf einen Tiefpunkt gesunken. Und jetzt? Die Zahl der Brutpaare steigt von Jahr zu Jahr. Den Hauptgrund sieht der Fachmann in der deutlich gesunkenen Wintersterblichkeit. Die Vögel fliegen nicht mehr die gefährliche Route tief hinein nach Afrika, sondern höchstens bis Marokko – oder nicht einmal so weit: Wie im Schlaraffenland leben sie auf den Mülldeponien der Iberischen Halbinsel. Außerdem bleiben immer mehr Störche hier und schlagen sich dank der milderen Winter problemlos durch.
Die Entwicklung der Population überrascht selbst Fachleute. Denn der Lebensraum verschlechtert sich weiter und wird immer beengter. Wiesen verschwinden – sei es durch eine Änderung der landwirtschaftlichen Nutzung oder neue Gewerbegebiete. Die Nahrungsbiotope werden durch Umgehungsstraßen zerschnitten. Was aber dem Storch zugutekommt: Die weniger gewordenen Wiesen werden heute öfter geschnitten als früher. Er gelangt so leichter zur Nahrung.
Die Bestandsentwicklung kann sich aber schnell drehen, ist Burnhauser überzeugt. In den letzten Jahren gab es genügend Feldmäuse. Aber was passiert, wenn sie als Nahrung ausfallen? Er will es sich nicht vorstellen. Er appelliert stattdessen weiter an die Kommunen, die ihren Storch behalten wollen, in den Lebensraum zu investieren. „Landwirtschaftlich genutzte Feuchtwiesen sind nach wie vor die entscheidende Lebensgrundlage für den Storch.“»Kommentar