Die Leih-Oma kommt mit dem Flugzeug
Wenn Großmütter ins Ausland gehen, um als Kindermädchen zu arbeiten, ist das nicht ganz unproblematisch
„Bienvenido, Uschi! – Willkommen in Mexiko!“steht in dicken, großen Buchstaben auf dem Plakat. Uschi Hergesell (65) hat es eingerahmt und in ihrem Wohnzimmer aufgehängt. Es wird sie immer an eine ganz besondere Zeit erinnern. An die Zeit, in der sie eine Au-pairGranny war.
Seit fast zwei Monaten ist Uschi Hergesell wieder zurück in Deutschland. Vorher lebte sie zweieinhalb Monate in der mexikanischen Großstadt Puebla bei ihrer Gastfamilie – schon zum zweiten Mal. „Als ich wieder nach Mexiko geflogen bin, war es, wie wenn ich einen Freund besuche, so freundschaftlich und nah“, erzählt sie.
Das Reisen hat ihr schon immer Spaß gemacht, ob allein oder mit Freunden. Doch als Au-pair-Granny erlebt sie nun eine andere Form des Reisens. „Ich bin nicht an einem Urlaubsort, sondern habe eine Familienanbindung. So kann ich eine Kultur ganz anders kennenlernen“, erklärt sie. Das hat sie sehr schnell bei ihrem ersten Besuch über Weihnachten gemerkt. Weihnachten, das ist in Mexiko nicht still und andächtig, sondern sehr laut und fröhlich. Uschi lacht: „Als gebürtige Rheinländerin bin ich ja zum Glück schon karnevalerprobt.“
Durch die beiden Auslandsaufenthalte konnte die ehemalige Boutiquebesitzerin vor allem eines lernen: das Loslassen. „Mir war wichtig, dass ich schon einmal das Gefühl von Freiheit austesten konnte“, berichtet Uschi Hergesell.
Ein Aufenthalt als Au-pair über 50 Jahren – früher undenkbar, heute ganz normal. Mithilfe von GrannyAu-pair-Programmen. Allein über das Internet finden sich schon fast ein halbes Dutzend solcher Agenturen, die speziell der Generation 50 plus ein Au-pair-Programm anbieten. Michaela Hansen ist die Gründerin der ersten Granny-Aupair-Agentur in Deutschland. Die Idee dazu kam Hansen durch eine Sendung im Fernsehen: „Das waren alles nur junge Au-pairs, und ich dachte mir: Wieso gibt es das nicht in meinem Alter? Können das die Älteren nicht genauso gut, wenn nicht sogar besser?“Viele Familien wollen lieber eine Oma, die schon Erfahrung mit Kindern hat und sich bei der Erziehung leichter tut als ein junges Mädchen. Andere Familien suchen nach einer Art „Ersatz-Oma“.
In den sechs Jahren, in denen Michaela Hansen die Agentur schon leitet und in denen sie mehr als 1000 Grannies vermittelt hat, sind ihr einige Frauen im Gedächtnis geblieben: Eine Oma, die sich in New York beim Schlittschuhlaufen den Knöchel gebrochen hat und dann den Aufenthalt abbrechen musste. Die älteste Teilnehmerin mit 79 Jahren, die nach Bolivien gereist ist. Oder Bobby, die mit ihren pubertierenden Gastkindern aus Thailand anfangs ihre Schwierigkeiten hatte – bis sie sich ausgesprochen haben und sie drei Jahre geblieben ist. Egal ob verheiratet, verwitwet, im Ruhestand oder noch voll im Geschäftsleben: Die Neugier und die Lust am Abenteuer ist allen Au-pair-Grannies gemeinsam.
Isa Rechenberg (61) hat ihre Reise noch vor sich. Im September fliegt sie für drei Monate nach Kuala Lumpur. Aufgeregt ist sie noch nicht. Dafür ist die Vorfreude umso größer. „Es ist mein Jugendtraum, den ich mir noch nachträglich erfülle,“sagt sie. Vor etwa fünf Jahren ist sie zufällig auf ein Programm von Granny-Au-pair aufmerksam geworden und wusste: Das ist es!
Ihre Familie war von dieser Entscheidung allerdings nicht sehr begeistert. „Es war eine Mischung aus Neid und Bewunderung. Meine Mutter hat damals eine lange Zeit nicht mehr mit mir geredet“, erzählt Rechenberg. Bis sie ihre jetzige Gastfamilie in Malaysia gefunden hat, gingen einige Mails und Fotos um den Erdball. „Ich möchte tiefer in die Kultur eintauchen und dabei mehr als nur die Spitze vom Eisberg sehen“, so Isa Reichenberg. Doch bevor es losgeht muss sie noch einige Vorbereitungen für die Reise treffen: Reisepass checken, Impfungen machen und sich über Haftpflichtund Auslandskrankenversicherung informieren. Für die Begrüßungsgeschenke steht ein eigener Koffer bereit. „In Malaysia gibt es keinen Wurstaufschnitt, deshalb bringe ich einiges davon mit. Und natürlich Spezialitäten aus dem Altenberger Land“, verrät sie lachend.
Nicht überall findet das Au-pairProgramm für Seniorinnen Anklang. Judith Liehr, Vorsitzende der Au-Pair Society e.V., steht dem Granny-Au-pair kritisch gegenüber. „Es gibt für dieses Programm einfach keinen rechtlichen Rahmen“, begründet sie. In allen Ländern gebe es für Au-pair eine bestimmte Altersgrenze von maximal 27 bis 30 Jahren. So wäre es für Seniorinnen gar nicht möglich, als „Au-pair“in ein Land zu reisen. Zudem handle es sich bei den Agenturen, die meist über das Internet zu finden sind, nur um MatchingAgenturen. „Eine direkte Vermittlung findet meist gar nicht statt“, erklärt Liehr, „die Frauen müssen die Konditionen, in denen sie leben und arbeiten, meist mit den Gastfamilien selbst ausmachen.“
Auch Patricia Brunner von der International Au-pair Association sieht die Programme für Au-pairGrannies skeptisch. „Innerhalb Europas ist das kein Problem, aber in Ländern, in denen ein Visum notwendig ist, habe ich Bedenken“, erklärt sie. So kann beispielsweise in den USA ein Au-pair nicht älter als 26 Jahre sein. Seniorinnen bekommen dann nur ein Touristen-Visum. „In solchen Fällen ist es wichtig, genau zu schauen, was Au-pair-Granny dort dürfen.“Die Bezahlung ist ebenfalls eine Grauzone. Trotzdem findet Brunner es grundsätzlich gut, dass Seniorinnen offen für Auslandsreisen sind. Ihrer Meinung nach sollte es für jedes Alter Möglichkeiten geben, ins Ausland zu gehen. Nur sollte man dabei nicht den Begriff „Au-pair“verwenden.
Elke Ackermann (72) ist als Aupair-Granny bereits im Ausland – seit Februar dieses Jahres. Da die Gastmutter gebürtige Vietnamesin ist und der Vater aus Deutschland kommt, soll Elke den beiden Jungs die deutsche Sprache beibringen. Ein Jahr wird sie dafür in der Hauptstadt Malaysias leben. „Ich wollte mir wieder bewusst machen, wer ich bin und machen, was ich will!“, erklärt sie. Nachdem ihre Ehe auseinanderging, brauchte sie erst einmal Zeit für sich. Zeit, die sie offenbar in Kuala Lumpur fand. Schon jetzt weiß sie: „So gut wie jetzt ist es mir noch nie gegangen!“
Nicht immer sind die Angehörigen begeistert