Die Synagoge hat Maßstäbe gesetzt
Die Synagoge in der Halderstraße ist eine der wenigen in Deutschland, die die Nazizeit überstanden
Die Halderstraße dient heute vor allem zur schnellen Durchfahrt. Wer hier entlanggeht, hat meist einen Arztbesuch vor oder erledigt Geschäfte in einer der Banken oder Versicherungen, die in schmucklosen Hochhausbauten untergebracht sind. Ans Flanieren denkt keiner. Kaum vorzustellen also, dass die Straße um 1900 als Prachtmeile mit bedeutender Architektur geplant war: Das Hotel Kaiserhof vorne am Eck, gegenüber eine Villa des bedeutenden Augsburger Architekten Jean Keller, dann das repräsentative Haus der Staatsbank, das heute noch steht.
In diesem Umfeld planten die Stadt und die jüdische Gemeinde Anfang des 20. Jahrhunderts auf einem Gartengrundstück den Bau einer Synagoge, die ebenfalls architektonische Maßstäbe setzen sollte. 1912 wurde ein Architektenwettbewerb ausgelobt, um einen Entwurf höchster Qualität zu erhalten. Unter 47 Arbeiten entschied sich die Jury für die sehr modernen Pläne der Architekten Fritz Landauer und Heinrich Lömpel.
„Um zu erkennen, in welchen städtebaulichen Kontext die Synagoge eingefügt wurde, muss man sich auf die andere Straßenseite stellen“, sagt Bezirksheimatpfleger Peter Fassl. Tatsächlich lässt sich erst von dort aus die Gesamtanlage der
„Sie war vernachlässigt, aber nicht zerstört.“Bezirksheimatpfleger Peter Fassl
Synagoge mit ihren zwei vorgelagerten Gemeindehäusern, der Vorhalle, dem Vorhof und dem Zentralgebäude mit seiner riesigen Kuppel aus Eisenbeton in seiner Dimension erfassen. Zu erkennen ist auch, wie die Wirkung des Ensembles verschwunden ist, eingeklemmt zwischen den Nachkriegsbauten der LEW und der Hypovereinsbank.
Fassl hat sich während seines Theologiestudiums mit Synagogenbauten beschäftigt, hat jüdische Geschichte an der Hochschule in Augsburg gelehrt und die Renovierung der Synagogen in Binswangen und Hainsfarth betreut. Auch die Augsburger Synagoge, die zwischen 1913 und 1917 entstand, kennt er genau und hat sie für unsere Serie vorgeschlagen, weil sie eine der außergewöhnlichsten Synagogen in Deutschland sei und als eine der wenigen die Nazizeit nahezu unbeschadet überstanden hat. „Sie war vernachlässigt, aber nicht zerstört“, beschreibt Fassl ihren Zustand nach 1945. Zwischen 1974 und 1985 wurde das Gebäude renoviert.
Zwei historische Traditionen seien an dem Bauwerk zu erkennen, die Zeugnis dafür ablegen, welch große Sorgfalt die Bauherren bei der Errichtung des jüdischen Gottes- hauses in Augsburg walten ließen, und die darüber Auskunft geben, welches Selbstbewusstsein die jüdische Gemeinde Augsburg mit ihren 1200 Mitgliedern hatte. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts habe man im öffentlichen Bereich nach neuen Bauformen gesucht, denn Barock und Klassizismus seien nicht mehr gefragt gewesen, stellt Fassl dar. Während man sich im Kirchenbau an gotischen Vorbildern orientierte, kam für den Synagogenbau ein orientalischer Stil in Mode. „Hintergrund war, dass man sich überlegt hatte, wo die Juden ursprünglich zu verorten waren“, erklärt Fassl.
Gleichzeitig habe sich – als Reaktion auf zunehmende antisemitische Strömungen und Ausgrenzung im intellektuellen und akademischen Bereich – innerhalb des Judentums die Suche nach einer eigenständigen jüdischen Kunst durchgesetzt. „Die Frage lautete, wie die Synagogen eine eigenständige Gestaltung bekommen können“, stellt Fassl dar und erklärt, dass die Augsburger Synagoge dafür beispielhaft ist. „Denn sie greift die Gestaltung des salomonischen Tempels in Jerusalem als eine spezifisch jüdische auf.“Die Gliederung des Ensembles in Gemeinde- und Sakralbauten, die Vorhalle und der Vorhof mit seinem Brunnen, all das lasse sich in der Bibel nachlesen.
Trotz des Bewusstseins für eine speziell jüdische Tradition werde auch deutlich, wie sehr sich die Gemeinde in ihrem Selbstverständnis als Teil der Stadtgesellschaft begriffen habe, erklärt Fassl und weist auf den Eingang zur Vorhalle hin. Dort sind der Augsburger Pinienzapfen und das älteste Siegel der jüdischen Gemeinde in Augsburg aus dem Jahr 1298 an der Außenfassade angebracht.
Dass die jüdische Gemeinde Augsburg nicht nur sehr gut integriert war, sondern auch sehr liberal und reformbereit, zeigt sich an zwei Dingen: Die Davidfigur auf einem Brunnen umgeht das orthodox jüdische Verbot, Menschen abzubilden. Zur Entstehungszeit der Synagoge befand sich außerdem auf der Ostempore des Kultraums eine Orgel, laut Fassl ebenfalls ein Zeichen für die Weltoffenheit der Augsburger Gemeinde, „denn eine Orgel ist nach jüdischem Verständnis Zeichen reinen Heidentums“. 1940 musste die Gemeinde das Instrument aber aus Geldnot verkaufen. An ihrer Stelle steht heute ein riesiger siebenarmiger Leuchter über dem Thoraschrein.
Ansonsten bietet sich heutigen Besuchern des Gebetsraums das gleiche Bild wie zur Entstehungszeit des Gebäudes: ein imposanter Raum in der Form eines byzantinischen Kreuzes, über den sich 29 Meter hoch eine mit grün-goldenem Mosaik verkleidete Kuppel erhebt – zu damaliger Zeit ein Meisterwerk der Konstruktion und Zeichen großer Würde eines Gebäudes. Nur wenig indirektes Licht dringt durch die mit Betonstreben gerahmten Fenster und gibt dem Raum eine mystische Stimmung. Dessen Mittelpunkt ist der Thoraschrein, zu dem eine Marmortreppe hinaufführt.
Jüdische Traditionsmotive aus der Bibel und dem Talmud füllen den Innenraum mit theologischem Inhalt. Auf vier Stuckreliefs am Übergang von Kuppel und Raum sind Leitsätze aus dem Talmud abgebildet. Für Fassl der schönste ist der von den Kronen. Drei kleine Kronen sind auf dem Relief abgebildet, die Symbol sind für König, Priester und Richter. Darüber befindet sich eine große. „Das ist die Krone des guten Namens, die steht über allem“, erklärt Fassl. „Das ist ein wunderschönes Bild dafür, dass Rechtschaffenheit wichtiger ist als alles andere.“
Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie die Gestaltung eines Gotteshauses Leitsätze des Glaubens abbildet. Die Augsburger Synagoge ist reich an emblematischen Darstellungen, die jüdisches Selbstverständnis darstellen.