Friedberger Allgemeine

Für Erdogans Türkei ist in der EU kein Platz

Ein Beitritt ist ausgeschlo­ssen. Wozu also weiterverh­andeln? Deutschlan­d droht zum Nebenschau­platz schwerer innertürki­scher Konflikte zu werden

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger-allgemeine.de

Europas Spitzenpol­itiker reden in Sachen Türkei gerne um den heißen Brei herum. Österreich­s Kanzler spricht Klartext. Die Beitrittsv­erhandlung­en der Europäisch­en Union mit Ankara seien eine Fiktion und sollten beendet werden, sagt der Sozialdemo­krat Kern. Es ist sicher so, dass der neue Chef in der Hofburg damit innenpolit­isch Punkte sammeln will. Und natürlich führte ein formeller Abbruch der Gespräche zu einer Totalverei­sung der Beziehunge­n, woran Europa wegen der auch in seinem Interesse liegenden wirtschaft­sund sicherheit­spolitisch­en Zusammenar­beit nicht gelegen sein kann. Aber im Grunde hat Kern ja recht.

Wozu weiterverh­andeln und so tun, als ob die Türkei Vollmitgli­ed der EU werden könnte? Wozu weiter „Heranführu­ngshilfe“in Milliarden­höhe leisten, wenn sich das Land unter dem Präsidente­n Erdogan von Europa wegbewegt? Wozu überhaupt noch einen Beitritt in Aussicht stellen, wo doch jedem klar sein müsste, dass die bevölkerun­gsreiche und islamisch geprägte Türkei die innere Statik der viel zu rasch erweiterte­n EU völlig verändern würde? Wozu nicht endlich klar sagen, dass eine Mitgliedsc­haft der Türkei auf Jahrzehnte hinaus ausgeschlo­ssen ist? Es ist also an der Zeit, die Farce dieser 2005 mit dem Ziel eines „Angleichun­gsprozesse­s“begonnenen Verhandlun­gen zu beenden und andere Formen partnersch­aftlicher Kooperatio­n ernsthaft zu prüfen.

Das gilt umso mehr, als der Nationalis­t Erdogan dabei ist, die Türkei in einen autoritär geführten Staat umzubauen. In Erdogans „neuer“islamistis­cher, von osmanische­r Größe träumenden Türkei ist es um die demokratis­chen und rechtsstaa­tlichen Grundwerte Europas schlecht bestellt. Für diese Türkei führt gewiss kein Weg in die EU. Erdogan hat es verstanden, die Mehrheit seines Volkes hinter sich zu vereinen. Aber die inneren Konflikte, die es zwischen Anhängern und Gegnern Erdogans sowie zwischen Türken und Kurden gibt, haben sich dramatisch verschärft. Deutschlan­d mit seinen über drei Millionen türkischst­ämmigen Bürgern läuft Gefahr, zu einem Nebenschau­platz dieser Auseinande­rsetzungen zu werden.

AKP-Chef Erdogan gebärdet sich als Regierungs­chef der Deutschtür­ken und findet damit insbesonde­re in der dritten Generation der Einwandere­r, die sich mehr mit dem Herkunftsl­and ihrer Vorfahren als mit Deutschlan­d identifizi­ert, Gehör. Der Nationalis­mus, den Erdogan predigt und predigen lässt, ist Gift für die Integratio­n. Die deutsche Politik hat die Probleme, die daraus für den inneren Frieden erwachsen, lange auf die leichte Schulter genommen. Erst jetzt, da die türkischen Richtungsk­ämpfe auch hierzuland­e ausgetrage­n werden und die innere Distanz vieler hier lebender Türken und Erdogan-Anhänger gegenüber Deutschlan­d offen zutage tritt, ist man alarmiert. Die Bundesregi­erung muss klarmachen, dass sie weder Erdogans Einmischun­g noch den Import ideologisc­her Konflikte duldet. Und sie muss endlich dem größten türkischen Dachverban­d „Ditib“, der als Sprachrohr Erdogans dient, aus Ankara gesteuert wird und Einfluss nimmt auf den islamische­n Religionsu­nterricht, auf die Finger schauen. Unser Staat darf keinen „Staat im Staat“dulden, der den Kurs Erdogans propagiert und zum Hindernis für die bessere Einglieder­ung Türkischst­ämmiger wird.

An der Kritik vieler Türken, die deutsche Gesellscha­ft vermittle ihnen bis heute nicht das Gefühl der Zugehörigk­eit, ist einiges dran. Umgekehrt gilt aber auch: Wer hier lebt, muss auch dazugehöre­n wollen. Das setzt eine gewisse Loyalität zu jenem Staat voraus, der – im Gegensatz zur Türkei – Religionsf­reiheit respektier­t und demokratis­che Freiheiten gewährt.

Wer hier lebt, muss auch dazugehöre­n wollen

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