Für Erdogans Türkei ist in der EU kein Platz
Ein Beitritt ist ausgeschlossen. Wozu also weiterverhandeln? Deutschland droht zum Nebenschauplatz schwerer innertürkischer Konflikte zu werden
Europas Spitzenpolitiker reden in Sachen Türkei gerne um den heißen Brei herum. Österreichs Kanzler spricht Klartext. Die Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit Ankara seien eine Fiktion und sollten beendet werden, sagt der Sozialdemokrat Kern. Es ist sicher so, dass der neue Chef in der Hofburg damit innenpolitisch Punkte sammeln will. Und natürlich führte ein formeller Abbruch der Gespräche zu einer Totalvereisung der Beziehungen, woran Europa wegen der auch in seinem Interesse liegenden wirtschaftsund sicherheitspolitischen Zusammenarbeit nicht gelegen sein kann. Aber im Grunde hat Kern ja recht.
Wozu weiterverhandeln und so tun, als ob die Türkei Vollmitglied der EU werden könnte? Wozu weiter „Heranführungshilfe“in Milliardenhöhe leisten, wenn sich das Land unter dem Präsidenten Erdogan von Europa wegbewegt? Wozu überhaupt noch einen Beitritt in Aussicht stellen, wo doch jedem klar sein müsste, dass die bevölkerungsreiche und islamisch geprägte Türkei die innere Statik der viel zu rasch erweiterten EU völlig verändern würde? Wozu nicht endlich klar sagen, dass eine Mitgliedschaft der Türkei auf Jahrzehnte hinaus ausgeschlossen ist? Es ist also an der Zeit, die Farce dieser 2005 mit dem Ziel eines „Angleichungsprozesses“begonnenen Verhandlungen zu beenden und andere Formen partnerschaftlicher Kooperation ernsthaft zu prüfen.
Das gilt umso mehr, als der Nationalist Erdogan dabei ist, die Türkei in einen autoritär geführten Staat umzubauen. In Erdogans „neuer“islamistischer, von osmanischer Größe träumenden Türkei ist es um die demokratischen und rechtsstaatlichen Grundwerte Europas schlecht bestellt. Für diese Türkei führt gewiss kein Weg in die EU. Erdogan hat es verstanden, die Mehrheit seines Volkes hinter sich zu vereinen. Aber die inneren Konflikte, die es zwischen Anhängern und Gegnern Erdogans sowie zwischen Türken und Kurden gibt, haben sich dramatisch verschärft. Deutschland mit seinen über drei Millionen türkischstämmigen Bürgern läuft Gefahr, zu einem Nebenschauplatz dieser Auseinandersetzungen zu werden.
AKP-Chef Erdogan gebärdet sich als Regierungschef der Deutschtürken und findet damit insbesondere in der dritten Generation der Einwanderer, die sich mehr mit dem Herkunftsland ihrer Vorfahren als mit Deutschland identifiziert, Gehör. Der Nationalismus, den Erdogan predigt und predigen lässt, ist Gift für die Integration. Die deutsche Politik hat die Probleme, die daraus für den inneren Frieden erwachsen, lange auf die leichte Schulter genommen. Erst jetzt, da die türkischen Richtungskämpfe auch hierzulande ausgetragen werden und die innere Distanz vieler hier lebender Türken und Erdogan-Anhänger gegenüber Deutschland offen zutage tritt, ist man alarmiert. Die Bundesregierung muss klarmachen, dass sie weder Erdogans Einmischung noch den Import ideologischer Konflikte duldet. Und sie muss endlich dem größten türkischen Dachverband „Ditib“, der als Sprachrohr Erdogans dient, aus Ankara gesteuert wird und Einfluss nimmt auf den islamischen Religionsunterricht, auf die Finger schauen. Unser Staat darf keinen „Staat im Staat“dulden, der den Kurs Erdogans propagiert und zum Hindernis für die bessere Eingliederung Türkischstämmiger wird.
An der Kritik vieler Türken, die deutsche Gesellschaft vermittle ihnen bis heute nicht das Gefühl der Zugehörigkeit, ist einiges dran. Umgekehrt gilt aber auch: Wer hier lebt, muss auch dazugehören wollen. Das setzt eine gewisse Loyalität zu jenem Staat voraus, der – im Gegensatz zur Türkei – Religionsfreiheit respektiert und demokratische Freiheiten gewährt.
Wer hier lebt, muss auch dazugehören wollen