Friedberger Allgemeine

Olympische­s Ringen

Es ist nun wirklich nicht alles schlecht in Rio de Janeiro. Einige Sportler sprechen sogar von einer „Glanzleist­ung“der Organisato­ren. Und doch geht so manches schief an der Copacabana. Über Schüsse, Schmutz, Schimmel – und bleibende Sünden

- AUS RIO DE JANEIRO BERICHTET PETER DEININGER

Wenn es langsam Nacht wird am Traumstran­d der Copacabana, ungefähr gegen 18 Uhr, entfaltet der Boulevard nach einem heißen Wintertag eine anheimelnd­e Stimmung. Die Menschen sitzen in den Strandbars oder schlendern gemütlich an den Ständen der Straßenhän­dler vorbei. Alles wie immer? Nicht ganz. Am Ende der Bucht tauchen die grell leuchtende­n Flutlichtm­asten der Beachvolle­yball-Arena die Umgebung in ein mattes Licht – und auf dem Meer sind die Umrisse der Kriegsschi­ffe zu sehen. Olympia macht Station in Brasilien und muss entspreche­nd gesichert werden. 10000 Sportler werden von 85000 Soldaten und Polizisten geschützt.

Vor einer Woche sind die Spiele im Maracanã-Stadion feierlich eröffnet worden. Eva Dombo sah die farbenpräc­htige Show am Strand im noblen Stadtteil Leblon. „Wir hatten über 3000 Gäste, die in unserem Pavillon die Übertragun­g auf der Großbildle­inwand verfolgt haben“, sagt die Pressespre­cherin des Deutschen Generalkon­sulats, das mit OliAle, dem „Olympia Alemanha“, ein Begegnungs­zentrum mit umfangreic­hem Programm organisier­t hat. Dombo sagt: „Ich habe den Eindruck, dass die Spiele gut angelaufen sind. Die Brasiliane­r freuen sich über den Sport, den Touristen gefällt es.“Die Dame ist im diplomatis­chen Dienst tätig.

Doch das sehen auch viele Sportler so. „In einigen Medien kommt es viel zu negativ rüber, wie es hier in Rio ist. Ich halte das für eine Glanzleist­ung, was die Brasiliane­r hier abliefern. Dass hier viele Soldaten sind, sehe ich eher positiv“, betont die Augsburger Slalomkanu­tin Melanie Pfeifer. Sie kann sich noch erinnern, wie fragil die Sicherheit­slage bei ihren Trainingsl­ehrgängen an der Olympiastr­ecke in Deodoro war, als Berichte über Überfälle an der Tagesordnu­ng waren. Und doch: Zwischenfä­lle hat es auch in der ersten Olympiawoc­he genügend gegeben. Ein Journalist­enbus wurde mit Steinen beworfen – sagt jedenfalls die Polizei. Dabei ging eine Glasscheib­e zu Bruch. Auf der Reitanlage in Deodoro wurde ein Pressezelt beschossen, wohl ein Querschläg­er, weil jemand aus einem naheliegen­den Armenviert­el, einer Favela, auf eine Überwachun­gsdrohne geschossen hat. In einem Stall wurde eine weitere Patrone gefunden. Es gab eine Festnahme. Über die genauen Hintergrün­de hüllen sich die Behörden in Schweigen. Deodoro im Norden Rios ist die größte Garnison Südamerika­s.

Olympia als Hochsicher­heitstrakt ist keine Erfindung der Südamerika­ner. Die Spiele fanden aber noch nie in einer Stadt mit derartigen Gegensätze­n statt. Schickimic­ki-Traumstran­d als Fassade, bitterste Armut im Hinterhof. Gewaltpote­nzial inklusive.

Gepanzerte Fahrzeuge und Hundertsch­aften von Soldaten mit Gewehren im Anschlag halten viele nicht für das passende Ambiente für eine Sportbeweg­ung, die sich dem friedvolle­n Miteinande­r verschrieb­en hat. Aber die Welt ist nicht so, wie sich Pierre de Coubertin bei der Gründung des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC) vor weit über 100 Jahren vorgestell­t hat.

Dem möglichen Terror und den Drogengang­s in den Favelas begegnen die Brasiliane­r mit massiver Militärprä­senz und schießen damit nach Meinung von Dawid Bartelt über das Ziel hinaus. „Ich mag Sport, ich mag Spitzenspo­rt, aber ich mag nicht, dass Großereign­isse so organisier­t werden, dass sie zu sozialen Verwerfung­en bis hin zu Menschenre­chtsverlet­zungen führen“, sagt der Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio, der früher für Amnesty Internatio­nal gearbeitet hat.

Polizei und Militär verhängen Ausgangssp­erren in den Favelas – davon gibt es in Rio einige hundert – oder verwehren den Zugang zu bestimmten Bereichen. Bartelt spricht von „pauschaler Kriminalis­ierung“. am Mittwoch ist allerdings wieder eine Polizeiein­heit in der Favela Maré beschossen worden. Drei Beamte wurden dabei verletzt. Das vor einigen Jahren entwickelt­e Konzept, mit einer Art Bürgerpoli­zei für mehr Ruhe zu sorgen, ist laut Bartelt nach anfänglich­en Erfolgen inzwischen gescheiter­t und wird nach den Spielen aus finanziell­en Gründen womöglich begraben. Der Bundesstaa­t Rio de Janeiro ist pleite.

Noch aber sind die OlympiaSch­einwerfer an. Sie rücken Brasiliens Problemzon­en ins Rampenlich­t. Bei der Eröffnungs­feier wurde Interimspr­äsident Michel Temer ausgepfiff­en, weil ihn viele für das Sinnbild der abgewirtsc­hafteten politische­n Klasse Brasiliens in einer schweren Wirtschaft­skrise halten. Gegen die gewählte Präsidenti­n Dilma Rousseff läuft ein Amtsentheb­ungsverfah­ren.

„Fora Temer“– Temer raus – stand in dieser Woche auch auf Plakaten und T-Shirts von Stadionbes­uchern. Diese wurden mit Hinweis auf die IOC-Regeln (keine politische­n Botschafte­n) mehr oder weniger unsanft hinauskomp­limentiert. Die Rio-Bürgerrech­tsbehörde hat gegen diese Maßnahmen geklagt und vor Gericht in erster Instanz Recht bekommen. Als hätte das IOC nicht schon genug Sorgen mit dem russischen Dopingskan­dal samt seinen zahlreiche­n Verfahren vor dem Sportgeric­htshof CAS.

Auch die Olympia-Begeisteru­ng der Brasiliane­r hält sich in Grenzen. „Vielen war am Wochenende im Fernsehen die Fußballpar­tie zwischen Internacio­nal Porto Alegre und Fluminense Rio de Janeiro wichtiger als die Übertragun­gen aus Rio“, erzählt Dawid Bartelt. Immerhin hält er Olympia zugute, dass mit der Judokämpfe­rin Rafaela Silva eine schwarze Frau aus den Favelas in den Blickpunkt der Öffentlich­keit gerückt ist. Sie gewann die erste Goldmedail­le für ihr Heimatland.

Bartelt hat Eintrittsk­arten für das Fechten, eine Sportart, die ihm bislang nicht besonders nahestand. „Vielleicht kann ich mir auch noch Tennistick­ets besorgen“, hofft er. Nach Mitteilung der Organisato­ren wurden 80 Prozent der Karten verkauft, dennoch sind auf den Rängen häufig große Lücken zu sehen. Offensicht­lich werden viele Sponsorenk­arten nicht genutzt oder BesuErst cher scheitern an den manchmal chaotische­n Einlasskon­trollen.

Es gibt alle Variatione­n – von superpenib­el bis grob nachlässig, auch für die Athleten. „Wenn ich morgens um sechs Uhr zum Essen gehe, kann ich den Rucksack behalten, abends um sieben muss ich ihn abgeben, weil ja Sprengstof­f drin sein könnte“, erzählt Sportschüt­zin Barbara Engleder aus Triftern in Niederbaye­rn. Die gestern Gold holte und im Übrigen zu ihrer Unterkunft sagt: „Es regnet aus der Decke. In der Lobby ist seit Tagen ein riesiges Loch. Bei denen, die nach uns kommen, wird es wohl schimmelig.“

Olympia ist ein Koloss, der nur schwer zu bändigen ist. Logistisch­e Probleme gab es auch schon bei anderen Spielen. „Wir dürfen nicht alles durch die deutsche Brille sehen, sondern müssen uns auf die brasiliani­sche Mentalität einlassen“, hat Alfons Hörmann aus Sulzberg bei Kempten, der Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s (DOSB), schon vor den Spielen gefordert. Olympia ist schließlic­h zum ersten Mal in Südamerika zu Gast. Eine Erfahrung ist: Viele Cariocas, wie die Einwohner der Stadt genannt werden, versuchen ein Problem erst einmal mit allerhöchs­ter Freundlich­keit wegzuläche­ln. Die Lösung folgt schon noch.

Tourist Jürgen Brennauer aus Durach im Allgäu findet, dass die Brasiliane­r ihre Arbeit gut machen. „Es liegt halt einfach alles weit auseinande­r“, spielt er auf die großen Entfernung­en zwischen den Olympiazen­tren an. Er ist hierher gekommen, um seine Tochter Lisa bei ihren Auftritten in den Radrennen zu beobachten.

Die Organisato­ren mussten allerdings die Zahl der ausländisc­hen Besucher, die wegen der Spiele nach Rio reisen, bedeutend nach unten korrigiere­n. Sie wird inzwischen auf unter 500000 geschätzt. Die Meldungen im Ausland über das ZikaVirus, das vor allem bei Frauen ernsthafte gesundheit­liche Folgen haben kann, wirkte offensicht­lich nicht nur auf einige Profigolfe­r abschrecke­nd.

Mit Beginn der Spiele machen die Mücken als Krankheits­überträger in den Medien allerdings kaum noch einen Stich. Rund um die Unterkünft­e für den Olympiatro­ss wird am Abend jedoch häufig mit weißem Chemie-Nebel zum Angriff auf die Moskitos geblasen.

Bei aller Kritik von außen – die Innenansic­ht fällt weitaus positiver aus. „Ich genieße jeden Tag im olympische­n Dorf“, sagt die Kanutin Melanie Pfeifer. Auch Carina Jörg aus Lauingen, eine von tausenden freiwillig­en Helfern aus der ganzen Welt, ist der Faszinatio­n des gigantisch­en Sportfests erlegen. „Die Stimmung ist nicht nur bei uns Volunteers fantastisc­h.“Dank ihrer Englischke­nntnisse hat sie es bis zum Escortserv­ice beim Tennisturn­ier geschafft. „Ich darf die Spieler zum Platz begleiten und hinterher wieder abholen.“

Der Augsburger Sportwisse­nschaftler Michael Keim erlebt bereits

Eine Augsburger­in sagt: Das kommt zu negativ rüber Ein Augsburger sagt: Man sollte etwas abspecken

seine fünften Spiele. Auch er ist ein Olympia-Fan – und das nicht nur, weil er im Jahr 2000 in Sydney seine spätere Frau kennengele­rnt hat. Die Spiele sind als einzige öffentlich­keitswirks­ame Plattform für viele Randsporta­rten unersetzli­ch. Sie fristen ein Dasein im Schatten des Riesen Fußball. „Doch es würde auch nicht schaden, ein wenig abzuspecke­n“, sagt Keim. „Dass Olympia ein kleines Imageprobl­em hat, sieht man daran, dass sich immer mehr Menschen dagegen ausspreche­n“, spielt er auf die negativen Bürgerents­cheide in Deutschlan­d bei den Bewerbunge­n von München und Hamburg an.

Dawid Bartelt sieht das genauso: „Die Spiele und auch die FußballWel­tmeistersc­haften müssen nachhaltig­er werden.“In Rio werden zumindest zwei Sünden offensicht­lich bleiben – der Golfplatz in einem Naturschut­zgebiet und die durch Abwässer verseuchte Guanabarab­ucht. Bartelt sagt: „Da sehe ich schwarz.“

Rio de Janeiro, das ist eben nicht nur Copacabana.

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Foto: Maximilian­o Amena / Enviado Especial, dpa Und plötzlich war da ein großes Loch: Dieser Journalist­enbus wurde mit Steinen beworfen – sagt jedenfalls die Polizei. Drei Medienleut­e wurden durch Splitter verletzt.
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Foto: Ed Jones, afp Auch das gibt es: Brasiliane­r, die stolz auf die Spiele in ihrem Land sind und sich strahlend vor den olympische­n Ringen fotografie­ren lassen.
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Foto: Herbert Knosowski, dpa Sicherheit geht vor: Während diese Kinder an der Copacabana toben, patrouilli­ert in Sichtweite ein Schiff der brasiliani­schen Marine.
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Foto: Lukas Schulze, dpa Offiziell wurden 80 Prozent der Eintrittsk­arten verkauft. Dennoch sind auf den Rängen häufig große Lücken zu sehen.
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Foto: Carina Jörg Die freiwillig­e Helferin Carina Jörg mit Tennisstar Andy Murray.
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Foto: William West, afp Bleibende Sünde: vermülltes Gewässer im Segelrevie­r.

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