Olympisches Ringen
Es ist nun wirklich nicht alles schlecht in Rio de Janeiro. Einige Sportler sprechen sogar von einer „Glanzleistung“der Organisatoren. Und doch geht so manches schief an der Copacabana. Über Schüsse, Schmutz, Schimmel – und bleibende Sünden
Wenn es langsam Nacht wird am Traumstrand der Copacabana, ungefähr gegen 18 Uhr, entfaltet der Boulevard nach einem heißen Wintertag eine anheimelnde Stimmung. Die Menschen sitzen in den Strandbars oder schlendern gemütlich an den Ständen der Straßenhändler vorbei. Alles wie immer? Nicht ganz. Am Ende der Bucht tauchen die grell leuchtenden Flutlichtmasten der Beachvolleyball-Arena die Umgebung in ein mattes Licht – und auf dem Meer sind die Umrisse der Kriegsschiffe zu sehen. Olympia macht Station in Brasilien und muss entsprechend gesichert werden. 10000 Sportler werden von 85000 Soldaten und Polizisten geschützt.
Vor einer Woche sind die Spiele im Maracanã-Stadion feierlich eröffnet worden. Eva Dombo sah die farbenprächtige Show am Strand im noblen Stadtteil Leblon. „Wir hatten über 3000 Gäste, die in unserem Pavillon die Übertragung auf der Großbildleinwand verfolgt haben“, sagt die Pressesprecherin des Deutschen Generalkonsulats, das mit OliAle, dem „Olympia Alemanha“, ein Begegnungszentrum mit umfangreichem Programm organisiert hat. Dombo sagt: „Ich habe den Eindruck, dass die Spiele gut angelaufen sind. Die Brasilianer freuen sich über den Sport, den Touristen gefällt es.“Die Dame ist im diplomatischen Dienst tätig.
Doch das sehen auch viele Sportler so. „In einigen Medien kommt es viel zu negativ rüber, wie es hier in Rio ist. Ich halte das für eine Glanzleistung, was die Brasilianer hier abliefern. Dass hier viele Soldaten sind, sehe ich eher positiv“, betont die Augsburger Slalomkanutin Melanie Pfeifer. Sie kann sich noch erinnern, wie fragil die Sicherheitslage bei ihren Trainingslehrgängen an der Olympiastrecke in Deodoro war, als Berichte über Überfälle an der Tagesordnung waren. Und doch: Zwischenfälle hat es auch in der ersten Olympiawoche genügend gegeben. Ein Journalistenbus wurde mit Steinen beworfen – sagt jedenfalls die Polizei. Dabei ging eine Glasscheibe zu Bruch. Auf der Reitanlage in Deodoro wurde ein Pressezelt beschossen, wohl ein Querschläger, weil jemand aus einem naheliegenden Armenviertel, einer Favela, auf eine Überwachungsdrohne geschossen hat. In einem Stall wurde eine weitere Patrone gefunden. Es gab eine Festnahme. Über die genauen Hintergründe hüllen sich die Behörden in Schweigen. Deodoro im Norden Rios ist die größte Garnison Südamerikas.
Olympia als Hochsicherheitstrakt ist keine Erfindung der Südamerikaner. Die Spiele fanden aber noch nie in einer Stadt mit derartigen Gegensätzen statt. Schickimicki-Traumstrand als Fassade, bitterste Armut im Hinterhof. Gewaltpotenzial inklusive.
Gepanzerte Fahrzeuge und Hundertschaften von Soldaten mit Gewehren im Anschlag halten viele nicht für das passende Ambiente für eine Sportbewegung, die sich dem friedvollen Miteinander verschrieben hat. Aber die Welt ist nicht so, wie sich Pierre de Coubertin bei der Gründung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) vor weit über 100 Jahren vorgestellt hat.
Dem möglichen Terror und den Drogengangs in den Favelas begegnen die Brasilianer mit massiver Militärpräsenz und schießen damit nach Meinung von Dawid Bartelt über das Ziel hinaus. „Ich mag Sport, ich mag Spitzensport, aber ich mag nicht, dass Großereignisse so organisiert werden, dass sie zu sozialen Verwerfungen bis hin zu Menschenrechtsverletzungen führen“, sagt der Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio, der früher für Amnesty International gearbeitet hat.
Polizei und Militär verhängen Ausgangssperren in den Favelas – davon gibt es in Rio einige hundert – oder verwehren den Zugang zu bestimmten Bereichen. Bartelt spricht von „pauschaler Kriminalisierung“. am Mittwoch ist allerdings wieder eine Polizeieinheit in der Favela Maré beschossen worden. Drei Beamte wurden dabei verletzt. Das vor einigen Jahren entwickelte Konzept, mit einer Art Bürgerpolizei für mehr Ruhe zu sorgen, ist laut Bartelt nach anfänglichen Erfolgen inzwischen gescheitert und wird nach den Spielen aus finanziellen Gründen womöglich begraben. Der Bundesstaat Rio de Janeiro ist pleite.
Noch aber sind die OlympiaScheinwerfer an. Sie rücken Brasiliens Problemzonen ins Rampenlicht. Bei der Eröffnungsfeier wurde Interimspräsident Michel Temer ausgepfiffen, weil ihn viele für das Sinnbild der abgewirtschafteten politischen Klasse Brasiliens in einer schweren Wirtschaftskrise halten. Gegen die gewählte Präsidentin Dilma Rousseff läuft ein Amtsenthebungsverfahren.
„Fora Temer“– Temer raus – stand in dieser Woche auch auf Plakaten und T-Shirts von Stadionbesuchern. Diese wurden mit Hinweis auf die IOC-Regeln (keine politischen Botschaften) mehr oder weniger unsanft hinauskomplimentiert. Die Rio-Bürgerrechtsbehörde hat gegen diese Maßnahmen geklagt und vor Gericht in erster Instanz Recht bekommen. Als hätte das IOC nicht schon genug Sorgen mit dem russischen Dopingskandal samt seinen zahlreichen Verfahren vor dem Sportgerichtshof CAS.
Auch die Olympia-Begeisterung der Brasilianer hält sich in Grenzen. „Vielen war am Wochenende im Fernsehen die Fußballpartie zwischen Internacional Porto Alegre und Fluminense Rio de Janeiro wichtiger als die Übertragungen aus Rio“, erzählt Dawid Bartelt. Immerhin hält er Olympia zugute, dass mit der Judokämpferin Rafaela Silva eine schwarze Frau aus den Favelas in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt ist. Sie gewann die erste Goldmedaille für ihr Heimatland.
Bartelt hat Eintrittskarten für das Fechten, eine Sportart, die ihm bislang nicht besonders nahestand. „Vielleicht kann ich mir auch noch Tennistickets besorgen“, hofft er. Nach Mitteilung der Organisatoren wurden 80 Prozent der Karten verkauft, dennoch sind auf den Rängen häufig große Lücken zu sehen. Offensichtlich werden viele Sponsorenkarten nicht genutzt oder BesuErst cher scheitern an den manchmal chaotischen Einlasskontrollen.
Es gibt alle Variationen – von superpenibel bis grob nachlässig, auch für die Athleten. „Wenn ich morgens um sechs Uhr zum Essen gehe, kann ich den Rucksack behalten, abends um sieben muss ich ihn abgeben, weil ja Sprengstoff drin sein könnte“, erzählt Sportschützin Barbara Engleder aus Triftern in Niederbayern. Die gestern Gold holte und im Übrigen zu ihrer Unterkunft sagt: „Es regnet aus der Decke. In der Lobby ist seit Tagen ein riesiges Loch. Bei denen, die nach uns kommen, wird es wohl schimmelig.“
Olympia ist ein Koloss, der nur schwer zu bändigen ist. Logistische Probleme gab es auch schon bei anderen Spielen. „Wir dürfen nicht alles durch die deutsche Brille sehen, sondern müssen uns auf die brasilianische Mentalität einlassen“, hat Alfons Hörmann aus Sulzberg bei Kempten, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), schon vor den Spielen gefordert. Olympia ist schließlich zum ersten Mal in Südamerika zu Gast. Eine Erfahrung ist: Viele Cariocas, wie die Einwohner der Stadt genannt werden, versuchen ein Problem erst einmal mit allerhöchster Freundlichkeit wegzulächeln. Die Lösung folgt schon noch.
Tourist Jürgen Brennauer aus Durach im Allgäu findet, dass die Brasilianer ihre Arbeit gut machen. „Es liegt halt einfach alles weit auseinander“, spielt er auf die großen Entfernungen zwischen den Olympiazentren an. Er ist hierher gekommen, um seine Tochter Lisa bei ihren Auftritten in den Radrennen zu beobachten.
Die Organisatoren mussten allerdings die Zahl der ausländischen Besucher, die wegen der Spiele nach Rio reisen, bedeutend nach unten korrigieren. Sie wird inzwischen auf unter 500000 geschätzt. Die Meldungen im Ausland über das ZikaVirus, das vor allem bei Frauen ernsthafte gesundheitliche Folgen haben kann, wirkte offensichtlich nicht nur auf einige Profigolfer abschreckend.
Mit Beginn der Spiele machen die Mücken als Krankheitsüberträger in den Medien allerdings kaum noch einen Stich. Rund um die Unterkünfte für den Olympiatross wird am Abend jedoch häufig mit weißem Chemie-Nebel zum Angriff auf die Moskitos geblasen.
Bei aller Kritik von außen – die Innenansicht fällt weitaus positiver aus. „Ich genieße jeden Tag im olympischen Dorf“, sagt die Kanutin Melanie Pfeifer. Auch Carina Jörg aus Lauingen, eine von tausenden freiwilligen Helfern aus der ganzen Welt, ist der Faszination des gigantischen Sportfests erlegen. „Die Stimmung ist nicht nur bei uns Volunteers fantastisch.“Dank ihrer Englischkenntnisse hat sie es bis zum Escortservice beim Tennisturnier geschafft. „Ich darf die Spieler zum Platz begleiten und hinterher wieder abholen.“
Der Augsburger Sportwissenschaftler Michael Keim erlebt bereits
Eine Augsburgerin sagt: Das kommt zu negativ rüber Ein Augsburger sagt: Man sollte etwas abspecken
seine fünften Spiele. Auch er ist ein Olympia-Fan – und das nicht nur, weil er im Jahr 2000 in Sydney seine spätere Frau kennengelernt hat. Die Spiele sind als einzige öffentlichkeitswirksame Plattform für viele Randsportarten unersetzlich. Sie fristen ein Dasein im Schatten des Riesen Fußball. „Doch es würde auch nicht schaden, ein wenig abzuspecken“, sagt Keim. „Dass Olympia ein kleines Imageproblem hat, sieht man daran, dass sich immer mehr Menschen dagegen aussprechen“, spielt er auf die negativen Bürgerentscheide in Deutschland bei den Bewerbungen von München und Hamburg an.
Dawid Bartelt sieht das genauso: „Die Spiele und auch die FußballWeltmeisterschaften müssen nachhaltiger werden.“In Rio werden zumindest zwei Sünden offensichtlich bleiben – der Golfplatz in einem Naturschutzgebiet und die durch Abwässer verseuchte Guanabarabucht. Bartelt sagt: „Da sehe ich schwarz.“
Rio de Janeiro, das ist eben nicht nur Copacabana.