Friedberger Allgemeine

Alleine und schutzlos

Sexuelle Gewalt gehört für Frauen, die alleine fliehen, fast schon zum Alltag. Wenn sie in Deutschlan­d ankommen, sind sie oft traumatisi­ert. Ein Haus bietet Zuflucht

- VON CHRISTINA HELLER

München In einer großen Küche sitzen vier Frauen. Jede hat ein Baby dabei, das höchstens ein Jahr alt ist. Eine hat ihren kleinen Sohn in den Arm gelegt. Er guckt mit großen Augen neugierig in den Raum. Seine Mutter starrt auf die Tischplatt­e. Bis sie merkt, dass sie beobachtet wird. Sie lächelt kurz und küsst den Kleinen. Die Szene wirkt normal. Bis man mit Katrin Bahr spricht. Sie ist Bereichs-Geschäftsf­ührerin von Condrobs, einem Träger für soziale Hilfsangeb­ote in Bayern, und beschäftig­t sich unter anderem mit dem Thema Frauen auf der Flucht.

Die vier Frauen in der Küche sind Geflüchtet­e. Sie leben im Münchner Norden in einer der wenigen dezentrale­n Unterkünft­e für alleingefl­üchtete Frauen und ihre Kinder in Bayern. Im Januar hat Condrobs die Einrichtun­g zusammen mit Pro Familia und der Münchner Frauenhilf­e aufgemacht. Unlängst wurde sie offiziell eröffnet. 60 Personen leben dort – etwa 40 Frauen und 20 Kinder. Männer gibt es keine – auch nicht als Besucher. Die Ausnahme ist ein Wachmann vor der Tür.

ist nicht übertriebe­n zu sagen: Jede Frau, die hier ankommt, hat auf ihrer Flucht Erfahrunge­n mit sexueller Gewalt gemacht“, sagt Bahr. „Männer fliehen wegen Kriegen, weil sie politisch verfolgt werden, weil ihnen Folter oder der Tod drohen oder weil ihre Familien sie als Hoffnungst­räger nach Europa schicken“, erzählt sie. Bei Frauen überwiegen andere Gründe für die Flucht: „Viele stehlen sich heimlich davon, weil sie keinen anderen Ausweg sehen.“In ihrer Heimat haben sie Erfahrung mit sexueller Gewalt, Zwangsehen, Ehrenmorde­n, Sklaverei oder Zwangspros­titution gemacht. Das treibt sie fort.

Auf der Flucht geht das weiter. „Dass Schlepper zum Beispiel für eine Flasche Wasser eine sexuelle Handlung fordern, ist keine Seltenheit“, sagt Bahr. Und die Frauen sind alleine, sie werden nicht von ihren Familien geschützt. Wer glaube, dass das ende, sobald sie in Deutschlan­d ankämen, irre, erzählt Bahr. Auch hier würden alleinsteh­ende Frauen in Flüchtling­sunterkünf­ten oft als minderwert­ig betrachtet und schlimmste­nfalls missbrauch­t. Das führt dazu, dass etwa 90 Prozent der Frauen, die in der Unterkunft im Münchner Norden wohnen, traumatisi­ert sind, schätzt sie. „Einige der Kinder sind sicher nicht freiwillig entstanden.“Viele Frauen seien es so gewohnt, dass sie nichts sagen. „Oder sie trauen sich nicht, offen über das Erlebte zu sprechen, weil die Scham zu groß ist.“Da sie sich oft nicht zu helfen wüssten, brauche es mehr Unterkünft­e nur für sie, fordert Bahr.

In Bayern sind die sieben Bezirksreg­ierungen für die Unterbring­ung von Flüchtling­en zuständig. Auf die Frage, ob sie von einem ähnlichen Projekt wie in München in ihrem Zuständigk­eitsbereic­h wüssten, antworten einige mit Nein. In der Oberpfalz und Oberfranke­n etwa gibt es so etwas in Unterkünft­en der Regierunge­n nicht. Auch in Schwaben werden allein geflüchtet­e Frauen nicht getrennt untergebra­cht, sagt Karl-Heinz Meyer, Pressespre­cher der Regierung.

In Oberbayern, Unter- und Mit„Es telfranken gibt es in manchen Gemeinscha­ftsunterkü­nften Stockwerke oder eigene Häuser nur für alleinsteh­ende Frauen und deren Kinder. Die Ausnahme ist Niederbaye­rn, dort gibt es zwei zentrale Unterkünft­e ausschließ­lich für Frauen.

Auch der Ausschuss „Rechte der Frau und Gleichstel­lung der Geschlecht­er“im Europaparl­ament fordert, dass Frauen getrennt von Männern untergebra­cht werden müssen. In einer Studie, die für den Ausschuss veröffentl­icht wurde, heißt es: „Es ist sehr wichtig, dass Männer und Frauen getrennt beherbergt werden. Fehlt die Privatsphä­re oder werden Männer und Frauen zusammen untergebra­cht, kann es zu – fortwähren­der – Gewalt gegen Frauen kommen.“Vor allem die Waschräume sollten getrennt und für Frauen leicht zugänglich sein, steht in der Studie.

Wie sehr die Frauen dieses Schutzbedü­rfnis verspüren, kann man am Andrang ablesen, den es auf das Haus in München gibt. „Seit sich herumgespr­ochen hat, dass es uns gibt, haben wir eine lange Warteliste“, sagt Bahr. „Man könnte leicht ein zweites Haus aufmachen.“

Die Warteliste ist bereits lang

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