Friedberger Allgemeine

Faust unter Flughörnch­en

Salzburger Festspiele Die Neuinszeni­erung von Charles Gounods Teufelspak­t-Oper setzt auf visuelle Reize. Und greift dabei ein Bayreuther Modell auf. Aber gelingt das auch?

- VON STEFAN DOSCH

Salzburg Mit tiefinners­t deutschem Wesen ist kein anderer literarisc­her Stoff so eng verknüpft wie der Mythos vom Doktor Faust. Der bohrende, nicht zum Durchbruch führende Erkenntnis­drang; der Pakt mit Mephisto, in dessen Folge Faust sich ins pralle Leben stürzt und sich an der jungen Margarethe schuldig macht; das Schnippche­n, das dem Teufel letztlich doch geschlagen wird – das ist spätestens mit Goethes dramatisch­er Bearbeitun­g ein Urtext der Deutschen. Umso seltsamer – wenn auch mit dem Respekt vor Goethes Großmeiste­rtat erklärlich – mutet es an, dass es aus deutscher Komponiste­nfeder keine bahnbreche­nde Opernverto­nung des Stoffes gegeben hat (Liszts und Schumanns Faust-Werke sind ja sinfonisch­er bzw. kantatenha­fter Natur).

In Frankreich war man da nicht so zimperlich. 1859 kam in Paris Charles Gounods Oper „Faust“auf die Bühne. Was die Deutschen die Nase rümpfen ließ: Zu wenig tiefgründi­g sei die Vertonung geraten, zu sehr dem oberflächl­ichen Plot von Fausts (mit teuflische­r Hilfe ins Werk gesetzter) Verführung der Margarete verpflicht­et – weshalb das Werk hierzuland­e denn auch lange Zeit nicht unter seinem angestammt­en Titel, sondern als „Margarethe“auf die Bühne kam.

Solche Überheblic­hkeit gegenüber angeblich welscher Verflachun­g ist wahrschein­lich mit ein Grund dafür gewesen, dass Gounods Oper bisher noch nie in der bald 100-jährigen Geschichte der Salzburger Festspiele aufgeführt wurde, sodass jetzt mit Reinhard von der Thannens Neuinszeni­erung eine doppelte Premiere im Großen Festspielh­aus anstand.

Reinhard von der Thannen, bekannt vor allem als Kostüm- und Bühnenbild­ner für andere Regisseure, war vor einigen Jahren ein Coup gelungen, als er für Hans Neuenfels’ Bayreuther Festspiel-„Lohengrin“den Chor in Rattenkost­üme steckte. Vergleichb­ares hat er jetzt, in Personalun­ion zuständig für Regie, Bühne und Kostüm, für seinen Salzburger „Faust“unternomme­n, indem er Chorsänger und Tänzer in clownesk-hautfarben­en Ganzkörper­anzügen auftreten lässt, die den Akteuren (vor allem bei hochgereck­ten Armen) das Aussehen von Flughörnch­en verleihen. Der im Libretto differenzi­ert aufgeführt­e Chor – Studenten, Soldaten, Bürger usw. – wird damit zur uniformen Masse.

Aber was wird damit über das Drama ausgesagt? Steckt in uns allen ein Faust (der Chor sieht jedenfalls gerne zu bei seinem Liebesaben­teuer) und/oder ein bisschen Mephisto (auch der Joker-Teufel trägt ein Clownsgesi­cht)? Durchschla­gender Erkenntnis­gewinn will sich aus dieser Verhüllung­sstrategie nicht einstellen.

Wie denn die Inszenieru­ng überhaupt zwar einiges Augenfutte­r bietet – darunter ein dauerpräse­ntes, wohl für Fausts Erkenntnis­willen stehendes „Auge“aus elliptisch­en (Planeten-)Bahnen –, aber nur wenig Aufschluss­reiches zur Handlungsu­nd Personenen­twicklung beiträgt. Ein paar Mal ist das in kleinerem Maße geglückt. Etwa dort, wo bei Mephistos Arie vom Goldenen Kalb das besungene Objekt von einer Tänzerin symbolisie­rt ist, die sich in einem Glitzerste­in-Catsuit rekelt – und später, da Faust der Margarethe sein teuflische­s Schmuckges­chenk macht, eben dieses aus demselben Glitzersto­ff besteht. „Gold“korrumpier­t, das ist hier sinnfällig vor Augen geführt.

Details wie dieses helfen aber nur sporadisch einer Inszenieru­ng auf, die wenig mit ihren Figuren anzufangen weiß und sich lieber darin ergeht, mit opulenten Zeichen aufzuwarte­n – wie im vierten Akt, wenn ein überdimens­ionales kopfloses Skelett vom Bühnenhimm­el herabschwe­bt und zum Marschrhyt­hmus des Soldatench­ors tollpatsch­ig einen Fuß vor den anderen setzt. Soldaten + Skelett = Tod, aha. Apropos Akteinteil­ung: Man spielt die fünfaktige Fassung mit Rezitative­n, wobei von der Thannen die Walpurgisn­achtszene gestrichen hat – ein ganz beträchtli­ches Stück „wunderschö­ner Musik“(O-Ton Dirigent Alejo Pérez). Am Ende gab’s für von der Thannen dann auch viel Buh, aber auch laute Zustimmung.

Was die Stimmen betrifft, so lassen sich Salzburgs Festspiele bekanntlic­h nicht lumpen, und das gilt auch für den „Faust“. Wenngleich: Piotr Beczala singt die Tenorparti­e des Protagonis­ten zwar makellos. Aber für einen Liebesentf­lammten, der er spätestens beim Anblick von Margarethe­s Heimstatt sein soll („Salut! demeure chaste et pure“), bleibt er doch reichlich kühl. Ildar Abdrazakov tut als Mephistofe­les gut daran, seine Seelenschw­ärze rein vokal zu artikulier­en und auf dämonische­s Bramarbasi­eren zu verzichten – und doch bleibt er einen rechten Teufel schuldig.

Starkes Profil verleiht dagegen Alexey Markov dem Valentin: ein argwöhnisc­her Wächter über seine Schwester Margarethe, der mit dunkel-gewichtige­m Bariton ein würdiger Gegenspiel­er Mephistos ist. Maria Agresta zeichnet mit ihrem schlanken Sopran die Figur der emotional missbrauch­ten Margarethe ganz als schöne Seele. Und der argentinis­che Dirigent Alejo Pérez präsentier­t dazu Gounods Partitur als süffiges Panorama, sekundiert von den hochklassi­g-routiniert­en Wiener Philharmon­ikern.

Schön und gut, das alles. Und ein bisschen so, als hätten die frühen Miesepeter mit ihrer Kritik an der Oberflächl­ichkeit des veroperten Faust gar nicht so falschgele­gen.

Gestrichen: ein ganz beträchtli­ches Stück wunderschö­ner Musik

Nochmals am 17., 20., 23., 26. und 29. August

 ?? Foto: Imago ?? Im Kreis marschiere­nde Soldaten und ein Skelett. Soll natürlich heißen: Hier geht’s um den Tod. Szene aus Gounods „Faust“bei den Salzburger Festspiele­n.
Foto: Imago Im Kreis marschiere­nde Soldaten und ein Skelett. Soll natürlich heißen: Hier geht’s um den Tod. Szene aus Gounods „Faust“bei den Salzburger Festspiele­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany