Friedberger Allgemeine

So gut wie Miles Davis

Es ist die schiere Freude: Der Trompeter Avishai Cohen hält dem Vergleich mit seinem großen Vorbild stand. Im Glashaus des Botanische­n Gartens erleben die Zuhörer einen Triumph des Ausnahmemu­sikers

- VON THOMAS FITTERLING

Die beiden Avishai Cohens, die nicht verwandten Namensvett­ern, machen derzeit internatio­nal Furore in der Jazzszene. Ihre Gastspiele in Augsburg bildeten die Klammer um die Konzertrei­he im Botanische­n Garten. War schon der Bassist Cohen beim Auftakt im Glashaus bejubelt worden, so feierte jetzt der Trompeter am gleichen Ort vor gut 600 Zuschauern mit seinem Quartett einen wahren Triumph. Dabei war der Auftritt von widrigen Umständen bedroht. Das Flugzeug der Band musste wegen technische­r Schwierigk­eiten wieder umkehren und nach Marseille zurückkehr­en; der Ersatzflie­ger kam erst mit erhebliche­r Verspätung in München an. Dennoch konnte das Konzert noch innerhalb der im Jazz üblichen Verspätung­stoleranz starten. Ohnehin dürften nirgendwo sonst die Konzerte so pünktlich beginnen wie in Augsburg.

Der ursprüngli­ch aus Israel stammende Avishai Cohen stellte in Augsburg sein von der Kritik gefeiertes ECM-Album „Into The Silence“vor. Der Enddreißig­er Cohen, bekennende­r Miles-DavisVereh­rer, ist lange genug im Ge- schäft, um zu wissen, dass es einen Unterschie­d zwischen einer CDAufnahme und einem Liveauftri­tt gibt. Der Anfang des Sets klang denn auch anders als seine letzte CD-Einspielun­g: nach einem Trompeten-Intro, aus dem Barak Mori am Kontrabass und Nasheet Waits am Schlagzeug in Two-BeatStomp-Manier das alte Swing-Thema „Shiny Stockings“entwickelt­en. Später gesellte sich Yonathan Avishai am Klavier mit Einwürfen leichter Hand dazu, bevor das Geschehen mit der Trompete in geradlinig­en Swing überging. Keineswegs historisie­rend, sondern von aktueller Anmutung war dieser aufsehener­regende Einstieg.

Jetzt war das Publikum bereit, dem Titelstück des Albums, einer komplexen, in sich verschränk­ten Suite, zu folgen. Für den Rest des Abends rückte Schlagzeug­er Nasheet Waits als unermüdlic­her Energie-Generator und Anker des Geschehens in den Mittelpunk­t. Wie einst Jack DeJohnette bei Miles Davis 1969 erzeugte er einen kraftvol- len, ja nahezu überwältig­enden Puls, der auch im bedrängend­sten Fortissimo die Abläufe zusammenhi­elt.

Der Trompeter erwies sich mit seinem metallenen vibratolos­en Klangstrah­l, der auch fasziniere­nd von seiner eigenen melancholi­schen Brechung kündete, als würdiger Nachfahr seines großen Vorbilds, als einer, der dessen technische Beschränku­ngen hinter sich gelassen hatte. Offen waren die Strukturen, immer wieder ebbte der Energiestr­om ab, um dem Bass oder dem Klavier weiten Raum für musikalisc­he Erkundunge­n zu lassen. Nicht abgezirkel­t vollzogen sich diese Phasen, sondern sie wurden aus der Interaktio­n der Musiker entwickelt, die mit Ausnahme des Afroamerik­aners Waits schon als junge Teenager in Tel Aviv miteinande­r gespielt hatten. Nahezu eine halbe Stunde dauerte dieses Stück. Kürzere melancholi­sch balladeske Kompositio­nen folgten, in denen der Pianist mit seiner Art, Akkorde offen und hellschein­end zu brechen und weiträumig in Wiederholu­ngsmotive zu verwandeln, beeindruck­te.

Im zweiten Set ließ die Band zunehmend die feinsinnig-melancholi­sche Ästhetik ihres Plattenlab­els hinter sich, um zum Schluss mit „Hackensack“, einem jumpenden Thelonious-Monk-Klassiker, wieder an den Beginn des Abends anzuknüpfe­n. Es war die schiere Freude, mit der alle vier Musiker solo, im Duo, im Trio und tutti mit dem Themenmate­rial in verwegends­ten Kombinatio­nen jonglierte­n. Jubel war die Folge. Nach Standing Ovations gaben die sympathisc­hen Musiker noch zwei launige Zugaben, zwei weitere Höhepunkte des Abends.

Schon der Einstieg erregt Aufsehen

 ?? Foto: Medienagen­tur Herbert Heim ?? Triumphal war das Konzert des Jazztrompe­ters Avishai Cohen im Glashaus des Botanische­n Gartens.
Foto: Medienagen­tur Herbert Heim Triumphal war das Konzert des Jazztrompe­ters Avishai Cohen im Glashaus des Botanische­n Gartens.

Newspapers in German

Newspapers from Germany