So gut wie Miles Davis
Es ist die schiere Freude: Der Trompeter Avishai Cohen hält dem Vergleich mit seinem großen Vorbild stand. Im Glashaus des Botanischen Gartens erleben die Zuhörer einen Triumph des Ausnahmemusikers
Die beiden Avishai Cohens, die nicht verwandten Namensvettern, machen derzeit international Furore in der Jazzszene. Ihre Gastspiele in Augsburg bildeten die Klammer um die Konzertreihe im Botanischen Garten. War schon der Bassist Cohen beim Auftakt im Glashaus bejubelt worden, so feierte jetzt der Trompeter am gleichen Ort vor gut 600 Zuschauern mit seinem Quartett einen wahren Triumph. Dabei war der Auftritt von widrigen Umständen bedroht. Das Flugzeug der Band musste wegen technischer Schwierigkeiten wieder umkehren und nach Marseille zurückkehren; der Ersatzflieger kam erst mit erheblicher Verspätung in München an. Dennoch konnte das Konzert noch innerhalb der im Jazz üblichen Verspätungstoleranz starten. Ohnehin dürften nirgendwo sonst die Konzerte so pünktlich beginnen wie in Augsburg.
Der ursprünglich aus Israel stammende Avishai Cohen stellte in Augsburg sein von der Kritik gefeiertes ECM-Album „Into The Silence“vor. Der Enddreißiger Cohen, bekennender Miles-DavisVerehrer, ist lange genug im Ge- schäft, um zu wissen, dass es einen Unterschied zwischen einer CDAufnahme und einem Liveauftritt gibt. Der Anfang des Sets klang denn auch anders als seine letzte CD-Einspielung: nach einem Trompeten-Intro, aus dem Barak Mori am Kontrabass und Nasheet Waits am Schlagzeug in Two-BeatStomp-Manier das alte Swing-Thema „Shiny Stockings“entwickelten. Später gesellte sich Yonathan Avishai am Klavier mit Einwürfen leichter Hand dazu, bevor das Geschehen mit der Trompete in geradlinigen Swing überging. Keineswegs historisierend, sondern von aktueller Anmutung war dieser aufsehenerregende Einstieg.
Jetzt war das Publikum bereit, dem Titelstück des Albums, einer komplexen, in sich verschränkten Suite, zu folgen. Für den Rest des Abends rückte Schlagzeuger Nasheet Waits als unermüdlicher Energie-Generator und Anker des Geschehens in den Mittelpunkt. Wie einst Jack DeJohnette bei Miles Davis 1969 erzeugte er einen kraftvol- len, ja nahezu überwältigenden Puls, der auch im bedrängendsten Fortissimo die Abläufe zusammenhielt.
Der Trompeter erwies sich mit seinem metallenen vibratolosen Klangstrahl, der auch faszinierend von seiner eigenen melancholischen Brechung kündete, als würdiger Nachfahr seines großen Vorbilds, als einer, der dessen technische Beschränkungen hinter sich gelassen hatte. Offen waren die Strukturen, immer wieder ebbte der Energiestrom ab, um dem Bass oder dem Klavier weiten Raum für musikalische Erkundungen zu lassen. Nicht abgezirkelt vollzogen sich diese Phasen, sondern sie wurden aus der Interaktion der Musiker entwickelt, die mit Ausnahme des Afroamerikaners Waits schon als junge Teenager in Tel Aviv miteinander gespielt hatten. Nahezu eine halbe Stunde dauerte dieses Stück. Kürzere melancholisch balladeske Kompositionen folgten, in denen der Pianist mit seiner Art, Akkorde offen und hellscheinend zu brechen und weiträumig in Wiederholungsmotive zu verwandeln, beeindruckte.
Im zweiten Set ließ die Band zunehmend die feinsinnig-melancholische Ästhetik ihres Plattenlabels hinter sich, um zum Schluss mit „Hackensack“, einem jumpenden Thelonious-Monk-Klassiker, wieder an den Beginn des Abends anzuknüpfen. Es war die schiere Freude, mit der alle vier Musiker solo, im Duo, im Trio und tutti mit dem Themenmaterial in verwegendsten Kombinationen jonglierten. Jubel war die Folge. Nach Standing Ovations gaben die sympathischen Musiker noch zwei launige Zugaben, zwei weitere Höhepunkte des Abends.
Schon der Einstieg erregt Aufsehen